Den Schweinen gehört unsere ungeteilte kulinarische Aufmerksamkeit – was sich in einem Jahreskonsum von knapp unter 50 Kilo niederschlägt.

Den Schweinen gehört unsere ungeteilte kulinarische Aufmerksamkeit – was sich in einem Jahreskonsum von knapp unter 50 Kilo niederschlägt.
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

Honey & Bunny: Wir armen Schweine

Kein Tier ist den Primaten ähnlicher als das Schwein. Trotzdem – oder genau deshalb? – essen wir auch kein Tier lieber und häufiger. Doch vorher machen wir ihnen ihr kurzes Leben noch zur Hölle. Oder aber wir ächten sie als unrein. Es ist jedenfalls ein saumäßiges Durcheinander.

Hatten Sie Schwein in letzter Zeit? Vermutlich ahnen Sie bereits, dass diese Frage nicht auf die Sau1 beim Schnapsen2 oder einen Neujahrsglücksbringer aus Marzipan, sondern auf Fleisch hinausläuft. Wir schreiben hier von Stelze3, Knierling4, Blunze5 oder einem Kümmelbraten. 

Zurück zu unserer Frage, die wohl viele Leserinnen und Leser mit einem Ja! beantworten, denn irgendjemand muss ja die etwa 35 Millionen Schweine verspeisen, die derzeit pro Jahr in deutschsprachigen Ländern gemästet werden. Das ist etwa ein Drittel der zweibeinigen Bevölkerung in diesem Raum. Es geht aber noch besser: In Dänemark gibt es mehr Schweine als Menschen. Und die »Schweinemächte« China, USA und Deutschland bringen gemeinsam mehr als sechzig Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr auf den Weltmarkt. Süßsaurer Schweinebauch oder kross gebratener Frühstücksspeck sind eben echte Dauerbrenner und fixe Bestandteile kulinarischer Identitäten. Durchaus saftig und echt fett!

Das Wiener Schnitzel – in seiner klassischen Form vom Kalb, doch mit Abstand am beliebtesten vom Schwein. Nicht zuletzt deshalb werden alleine im deutschsprachigen Raum jährlich 35 Millionen Schweine gegessen.
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita
Das Wiener Schnitzel – in seiner klassischen Form vom Kalb, doch mit Abstand am beliebtesten vom Schwein. Nicht zuletzt deshalb werden alleine im deutschsprachigen Raum jährlich 35 Millionen Schweine gegessen.

Ein Schweine-Leben

Schwein zu haben ist aber jedenfalls deutlich besser, als Schwein zu sein, denn die Lebensqualität der armen Tiere ist kaum besser als die Aussicht, als Schnitzel oder Schinken zu enden. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg bauten unsere Hochkulturen die industrialisierte Massenproduktion von Schweinefleisch auf, um den Schweinefleischhunger in den Griff und das Geschäft unter Kontrolle zu bekommen. Betriebe, die mehr als 50.000 Tiere halten, sind heute keine Seltenheit. Dabei werden Tierwohl und Profit nur selten als gemeinsames Ziel angesehen und sind Schauplatz stetiger ethischer, politischer und wirtschaftlicher Grabenkämpfe. Vom berüchtigten, kaum artgerechten Vollspaltenboden bis zum »Design« der Schlachtung wird dabei jede Lebensphase der Tiere heiß diskutiert. Jede Minute im Schweineleben muss in Gesetzen und Verordnungen festgeschrieben werden. Dass es auch anders ginge, zeigen unzählige engagierte, teils sehr junge Schweinenbauern, denen das Wohl ihrer Tiere (und damit ihrer Existenzgrundlage) sehr wohl am Herzen liegt.

Das Schwein gut zu behandeln wäre übrigens gar nicht so abwegig, denn die pummeligen Vierbeiner sind uns ziemlich ähnlich. Kein anderes Tier steht den Primaten genetisch so nahe. Der Verzehr eines Schnitzels geht also hart in Richtung Verwandtenverspeisen. Kannibalismus? Das ginge jetzt wohl zu weit! Aber auch die Intelligenz und die Fähigkeit, Empathie zu empfinden, sind bei Schweinen im Vergleich zu anderen Tieren ziemlich ausgeprägt. Mithilfe von Joysticks können sie komplexere Computeraufgaben lösen und sie bauen Langzeitbeziehungen zu Artgenossen und Menschen auf. Und Schweine empfinden füreinander. Das sind Eigenschaften, die wir Menschen den Tieren eigentlich nicht zutrauen (oder zubilligen wollen). Schließlich bilden wir uns nach wie vor ein, dass wir eine Art Überwesen sind, das sich die Erde untertan machen darf.

Tierische Konkurrenz

Aber schmutzig sind sie! Schweine suhlen sich im Dreck – mit Leidenschaft und wohligem Grunzen. Dieses Bad kühlt die Tiere, denn sie haben keine Schweißdrüsen, können also nicht schwitzen. Und die Schlammschicht tragen Schweine beim Suhlen deshalb auf ihre kahle, zartrosa Haut auf, um diese vor schmerzhaftem Sonnenbrand zu schützen. Die (deshalb?) weit verbreitete Ansicht, dass Schweine unrein sind, schützt sie immerhin in vielen Regionen der Welt vor dem Tod durch Schlachtung, denn manche Religionen verbieten den Verzehr von Schweinefleisch. Die Hintergründe dieses Tabus sind nicht exakt bekannt und umstritten. Eine Theorie besagt, dass sich die jüdischen und muslimischen Bewohner des Vorderen Orients vor der Übertragung von Krankheiten durch Schweine fürchteten. Schweine sind ja nicht nur Omnivoren wie wir, sondern können auch für Menschen brandgefährliches Aas fressen. Und sie verspeisen auch menschliche Leichen, sollten diese zufällig in Tücher eingewickelt herumliegen – dieses Verhalten soll unsere Vorfahren verstört und verängstigt haben.

Weniger pathetisch ist jene These, die das Schwein als Nahrungskonkurrenten des Homo sapiens ausweist. Vom Zwischenstromland bis in das Nildelta bauten »wir« sukzessive den Ackerbau aus, rodeten dafür massiv Wälder und zerstörten so den Lebensraum jener Schweine, die in einer Art Symbiose mit den Menschen zusammenlebten. Der daraus folgende Mangel an Bucheckern, Eicheln und anderen Baumfrüchten trieb die Vierbeiner zur Nahrungssuche auf die kultivierten Felder. Im stark bewaldeten Europa kam es hingegen nicht zu dieser Konkurrenzsituation und das Schwein(efleisch) durfte sich in allen Regionen und Kulturen großer Beliebtheit erfreuen. Selbst in den mächtigsten und reichsten Städten der damaligen Zeit wie Nürnberg oder Florenz tummelten sich Schweine wie gern gesehene Mitbewohner auf den Straßen. 

Aber vielleicht vermag auch bei uns ein (Aber-)Glaube das Schwein künftig zu schützen … Nicht unrein, sondern ungesund soll es gemacht werden, um den weiteren Verzehr zu reduzieren. Von allem Fleisch, so heißt es, ist dieses wegen seines hohen Fettgehalts am gefährlichsten. Es macht krank, hören wir. Verzicht wollen wir aber dennoch nicht, also schnippeln wir gesundheitsbewusst alle weißen Stellen weg und entsorgen sie im Müll. Und weil wir sie nicht mehr komplett essen, braucht man immer mehr Schweine, die in Massentierhaltung billig herangemästet werden. Oder aber wir vertrauen engagierten Köchen und der Oma, die aus allen Fleischteilen sagenhafte Köstlichkeiten zaubern können – und uns so nebenbei zeigen, dass es »wertlose« Lebensmittel schlicht nicht gibt. 


 

© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

Honey & Bunny

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren »Eat-Art-Performances« und schreiben bzw. illustrieren Bücher.

Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2023

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Sonja Stummerer
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