Gut, traditionell und ausgiebig essen – das gilt als Kernfunktion des Gasthauses. Diesen Ort nur aufs Sattwerden zu beschränken, wäre aber viel zu kurz gegriffen.

Gut, traditionell und ausgiebig essen – das gilt als Kernfunktion des Gasthauses. Diesen Ort nur aufs Sattwerden zu beschränken, wäre aber viel zu kurz gegriffen.
© Honey & Bunny | Ulrike Koeb | Daisuke Akita

Honey & Bunny: Come as you are

Dem Wirtshaus ist das Geheimnisvolle in die gastronomische DNA eingeschrieben. Ein Besuch hier folgt seinen eigenen Regeln. Und doch darf jeder so sein, wie er eben ist. Ein Beitrag zum Erfolgsrezept dieser einzigartigen Institution.

This pub is for local people only!« Mit diesen Worten wurden wir vor Jahren in der südenglischen Kleinstadt Winchester zurück auf die Straße geschickt. Es regnete in Strömen und es war ziemlich kalt. British weather!

Für uns deutlich angenehmer war da eine Situation in einem Hamburger Gasthaus. Der Wirt, ein begnadeter Sänger, der gerne und oft zum Mikrofon griff, um seine Gäste mit allerhand Schlagern zu beglücken, forderte eine Gruppe junger Männer dazu auf, im Hinterzimmer Platz zu nehmen. Auf den Einwand, dass im (viel gemütlicheren) Schankraum mehr als genügend Tische frei seien, antwortete der Wirt, dass er den anderen Gästen den Anblick dieser – Zitat – »Marketingschnösel« nicht zumuten könne. Die Herren verließen das Etablissement mit eher verdrossenen Gesichtern.

Im ach so charmanten österreichischen Wirtshaus oder Wiener Beisl passieren derartige Geschichten selbstverständlich nicht. Oder doch? In Oberösterreich verprügelte vor einigen Jahren ein Wirt seine Gäste, weil ihnen das Essen nicht geschmeckt hatte. Da waren wir aber nicht dabei. Diese Geschichte wurde uns von den Medien erzählt.

Wir gehen wahnsinnig gerne ins Wirtshaus. Es ist ein echter Wohlfühlort. Essen, Trinken, Diskurs, treffen aufeinander. Ziemlich viel Kultur also. Mit etwas Glück kommt man mit Unbekannten ins Gespräch. Was will man mehr?

Das Wirtshaus ist ein Ort der Begegnung. Die oft verschachtelte Struktur aus diversen Stuben und Hinterzimmern macht es aber auch zum idealen Rückzugsort.
© Honey & Bunny | Ulrike Koeb | Daisuke Akita
Das Wirtshaus ist ein Ort der Begegnung. Die oft verschachtelte Struktur aus diversen Stuben und Hinterzimmern macht es aber auch zum idealen Rückzugsort.

Wir sind alle gleich

Das Wirtshaus ist anders! Im Gegensatz zum Restaurant, ist es kein Laufsteg für Gäste. Der Eingangsbereich ist keine Bühne für Eintretende. Ob man »jemand!« (»wer«) oder gutaussehend oder gut gekleidet ist, spielt beim Wirt‘n keine Rolle. Dennoch kehrt kurz Ruhe ein, sobald die Türe aufgeht und neue Gäste nach Wärme, Kalorien und Wasser oder Alkohol verlangen. Neuankömmlinge werden von Stammgästen, Personal und vom Wirt argwöhnisch gemustert. Blicke wandern auf und ab. Bekannte und Freunde heißt man halbwegs herzlich mithilfe eines knappen Grußworts willkommen. Fremde ernten mitunter Kommentare zu ihrem Aussehen und werden kurz darauf mehr oder weniger ignoriert. Schlecht behandelt wird man aber (fast) nie. Gastfreundschaft ist schon irgendwie spürbar.

Die Gestaltung des Wirtshauses, also dessen Atmosphäre, funktioniert immer gleich. Das sagt Österreichs weltbester Interior-Designer Gregor Eichinger. Er studierte vor Jahren die Qualitäten und Eigenschaften des Wirtshauses. Im Gegensatz zu einem Kaffeehaus, das eine eingeschworene Stammgastgemeinschaft in einem einzigen großen Saal beherbergt, ist das Gasthaus verschachtelt. Zuerst dominiert eine beeindruckende Schank den Gastraum. Sie ist der schützende Thronraum des ebenso beeindruckenden Wirts. Diese Schank ist eine Grenze, ein Schlagbaum, der sich erst nach prüfenden Blicken und ersten Wortwechseln öffnet – oder eben nicht.

Direkt neben dem massigen und wegen der Zapfhähne verheißungsvollen Möbelstück residieren am gewaltigen Stammtisch jene Männer (und mittlerweile mancherorts auch Frauen), die sich des Wirtsvertrauens würdig erwiesen haben. Die Prätorianer. Dahinter öffnet sich ein Geflecht aus Stuben. Als Gast wird man einer davon zugewiesen. Die Fenster sind klein und verhangen. Irgendwo befindet sich noch das Jäger- oder Bürgerstüberl, vielleicht auch ein Festsaal. Zutritt zu diesen stets verschlossenen Zimmern erhalten nur Eingeweihte oder Geladene. Dem Wirtshaus ist das Geheimnisvolle in die gastronomische DNA eingeschrieben.

© Honey & Bunny | Ulrike Koeb | Daisuke Akita

Wirtshaus-Wahrheiten

Beim Wirt treffen Geschichten aufeinander und es wird Geschichte gemacht. Die Gaststube und das Hinterzimmer befinden sich im selben Haus. Vorne kann es laut werden. Hinten bleibt man eher leise. Gerüchte aus dem Gastraum sind im Hinterzimmer längst Realität. Das Wirtshaus ist ein Ort für lokale Abmachungen und für Fremde, die erzählen können. Hier treffen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kultur aufeinander. Lieder, Geschichten, Erfahrungen, Meinungen werden ausgetauscht. Manchmal endet dieser Austausch im Streit, vielleicht sogar in einer Rauferei. Dennoch ist das Wirtshaus seit Anbeginn seiner Geschichte ein sicherer Platz für alle Gäste. Handelsreisende benötigten schon vor Jahrtausenden Herbergen, die vor wilden Tieren, Räuberbanden oder gewalttätigen Gemeinschaften Schutz boten. Entlang der Seidenstraße fand sich zum Beispiel alle vierzig Kilometer eine Karawanserei. Dort konnten die Last- und Reittiere ausgetauscht oder gefüttert werden und es gab Übernachtungsmöglichkeiten innerhalb einer Palisade oder einer Befestigungsmauer. Zu Essen und zu Trinken gab es, was es eben gab. Mitunter beinhaltete das lokale Angebot auch andere Lustbarkeiten. Deswegen waren (und sind) klassische Schenken, Pubs, Beizen und Dorfwirtshäuser eher männlichen Gästen vorbehalten.

Gesandte, Händler, Krieger, Prediger, Flüchtige oder Schmuggler machten beim Wirt Pause. Sie brachten Wissen, Wahrheiten und Lügen mit. Manche hatten auch essbare Waren aus fernen Kulturen mit dabei. Andere kannten deren Zubereitungsmethoden. So wird bis heute die kulinarische und gastronomische Geschichte jeden Tag neu geschrieben. Das Wirtshaus selbst ist ein Topf, in dem Esskultur jeden Tag aufs Neue kreiert wird. Es agiert als Schmelztiegel und Experimentierraum. Und genau deshalb lieben wir das Wirtshaus, denn genau dort kann man prächtig austauschen, zuhören und sogar lernen. Das Wirtshaus ist eine Bildungsinstitution, die uns bei jedem Besuch eine ungedachte Welt zum Probieren vorlegt. Sie lässt uns kosten und naschen. Das ist wunderbar.

© Honey & Bunny | Ulrike Koeb | Daisuke Akita

Honey & Bunny

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie, sich für Food Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren Eat-Art-Performances und schreiben bzw. illustrieren Bücher.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2024

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