Thomas Bernhard kochte nie für sich selbst – und auch nicht für seine Gäste: Schon das Frühstück nahm er außer Haus ein. Und seiner Lieblings-Frittatensuppe setzte er gar ein literarisches Denkmal.

Thomas Bernhard kochte nie für sich selbst – und auch nicht für seine Gäste: Schon das Frühstück nahm er außer Haus ein. Und seiner Lieblings-Frittatensuppe setzte er gar ein literarisches Denkmal.
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Thomas Bernhard: »Das einzige, das hier gegessen werden kann, ist die Frittatensuppe«

Die bitterbösen Tragödien finden bei Thomas Bernhard stets am Esstisch statt. Seine Protagonisten lassen kauend, schlürfend, schlingend ihre Masken fallen. Auch der Dichter selbst mochte Hausmannskost für sein Leben gern. Am liebsten aß er in Wirtshäusern. Sie inspirierten ihn nicht nur kulinarisch.

Gekocht hat Thomas Bernhard nie. Nicht für sich und auch nicht für seine Gäste. Dabei hätte er in seinem Vierkant­hof im oberösterreichischen Ohlsdorf jede Möglichkeit gehabt, auch große Gesellschaften zu bewirten. Die große Küche hatte er nicht nur mit viel Liebe zum Detail eingerichtet, sondern auch technisch perfekt ausgestattet. Jeder Koch hätte seine Freude gehabt, dort ein Festmahl zu zaubern. Nicht so Bernhard. »Ich habe nie gesehen, dass er außer Tee irgendetwas zubereitet hat. Dabei war alles da, von der Feinraspel bis zum Filetiermesser«, erinnert sich der ehemalige Burgtheaterdirektor und Regisseur Claus Peymann. Ihn verband mit dem streitbaren Schriftsteller eine besondere literarisch-theatralische Beziehung.

War Bernhard in Wien, traf Peymann ihn regelmäßig zum Mittagessen. War der Dichter wieder einmal aus der Stadt aufs Land geflohen, besuchte er ihn auf seinem Gutshof. Dort in Ohlsdorf hatte Peymann allerdings so manches kulinarische Martyrium zu ertragen, vor allem abends: »Da sind wir nicht mehr essen gefahren, weil er ja nach sechs Uhr nichts mehr aß. Ich aber wollte noch etwas essen. Wir Theaterleute essen ja immer abends. ›Haben Sie nicht irgendwas für mich zu essen, Bernhard?‹, fragte ich ihn. ›Ja, ja, ich hole Ihnen was‹, sagte er. Dann hat er so ein angegammeltes Brot angeschleppt und diese schrecklichen dreieckigen Käse in Silberpapier. Ganz furchtbar! Das war das Einzige, was an Vorräten da war.«

Ein anspruchsvoller Gast

Warum hätte Bernhard auch etwas Essbares zu Hause haben sollen, wenn es doch zu seiner Gewohnheit gehörte, stets auswärts zu speisen? War er in Wien, begann er seinen Tag im »Café Bräunerhof«, weilte er in seinem Bauernhaus, frühstückte er in Gmunden im »Café Brandl«.

Die für ihn wichtigste Mahlzeit, das Mittagessen, nahm er am liebsten in einem der Wirtshäuser zu sich, die seinen Ansprüchen genügten. Und das waren nicht allzu viele. Der »Gasthof Klinger« in Gaspoltshofen im Hausruckviertel zählte dazu. Die deftige Hausmannskost, die Hausherrin Hedi Klinger damals für ihre Gäste zubereitete, schmeckte Bernhard vorzüglich: Kalbsgulasch mit Nockerln, Rehbraten, Leberbunkeln mit Erdäpfeln und Sauerkraut und Schweinsbraten mochte er besonders. Letzterer wurde im »Gasthaus Klinger« traditionell mit Mehlknödeln serviert, weil man damit den Bratensaft besonders gut auftunken kann. Bernhard aber hatte für Mehlknödel nichts übrig. Auch wenn die Gaststube proppenvoll war, bestand er darauf, dass man ihm Semmelknödel zubereite. Nicht jedes Mal entsprach die Chefin den Wünschen des kapriziösen Schriftstellers. Dass er trotzdem Stammgast blieb, zeigt, wie sehr er die Klingersche Küche schätzte.

Der Frittatensuppe der Köchin hat Bernhard in seinem Stück »Der Theatermacher« sogar ein literarisches Denkmal gesetzt. Es handelt von dem tyrannischen Staatsschauspieler Bruscon, der mit seiner Familie durch die Provinz tingelt, um in diversen Dorfgasthöfen seine Menschheitskomödie »Das Rad der Geschichte« aufzuführen. Auch in dem kleinen Kaff Utzbach im »Schwarzen Hirschen« machen er und seine Entourage halt. Doch nichts passt dem Theatermacher dort. Bei den Proben lässt er seinen Jähzorn an seiner Frau und den beiden Kindern aus. Seine Hasstiraden enden erst, als der Wirt endlich die Frittatensuppe serviert, die der Theatermacher geordert hat. Beim Suppe-Löffeln kommt Bruscon ins Philosophieren: »Das Einzige, das hier gegessen werden kann, ist Frittatensuppe. Aber nicht zu fett. Immer diese Riesenfettaugen in der Suppe. Selbst in der Frittatensuppe feiert die Provinz ihre Triumphe. Im Grunde existiere ich auf der ganzen Tournee schon von nichts anderem als von der Frittatensuppe. In Gaspoltshofen schmeckte sie ganz und gar außerordentlich. Kaum Fettaugen.«

Diese wenigen Zeilen reichten, um das Lieblingswirtshaus des Literaten weit über die oberösterreichischen Grenzen hinaus berühmt zu machen. Es wurde für Bernhard-Fans zu einer Pilgerstätte. Noch heute, 35 Jahre nach seinem Tod, zieht es seine Leser dorthin.

Nicht nur im »Theatermacher« ist ein Gasthaus Ort des Geschehens. Auch in der Erzählung »An der Baumgrenze« spielen drei Wirtshäuser in Mühlbach eine zentrale Rolle. Und in seinem Roman »Das Kalkwerk« schreibt Bernhard über das Traditionswirtshaus »Bader« in Laakirchen, das früher »Lackner« hieß.

Über viele Jahre war der Schriftsteller beim »Bader« immer wieder zu Gast. Nie, auch nicht an lauen Sommertagen, nahm der Dichter in dem schattigen Gastgarten unter den alten Kastanienbäumen Platz. Vielmehr legte er großen Wert darauf, stets im Inneren des Wirtshauses an seinem Stammplatz sitzen zu können. Diesen hatte der scharfe Beobachter für sich beansprucht, weil er von dort freien Blick auf die gesamte Gästeschar hatte, während er selbst unbemerkt Schweinslungenbraten und Fleischknödel essen und sein Bier trinken konnte.

Die bitterbösen Tragödien finden bei ihm stets am Esstisch statt. Bernhards Protagonisten lassen kauend, schlürfend, schlingend ihre Masken fallen und zeigen sich so, wie sie sind – mit all ihren Abgründen, Ängsten und Sehnsüchten.

Eine Frittatensuppe darf ja nicht zu fett sein, erklärt Thomas Bernhard in seinem Stück »Der Theater­macher«.
© CHRISTOPHER MAVRIC / Brandstätter Verlag
Eine Frittatensuppe darf ja nicht zu fett sein, erklärt Thomas Bernhard in seinem Stück »Der Theater­macher«.

Essen im Rampenlicht

»Ich kenne keinen Autor, der sich so minutiös mit dem Essen seiner Figuren beschäftigt hat wie Bernhard«, sagt Claus Peymann, der nahezu alle Stücke des Literaten uraufgeführt hat. Die berühmte Brandteigkrapfen-Szene in »Ritter, Dene, Voss« ist der beste Beweis dafür: Die zwei Schwestern haben ihren Bruder Ludwig aus Steinhof, der Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke, geholt und »beglücken« ihn mit seinem Lieblingsessen. Ludwig isst wider Willen, was sie ihm vorsetzen. Als sie zum Dessert Brandteigkrapfen auftischen, kommt es zur Eskalation: Ludwig stopft sich einen Brandteigkrapfen nach dem anderen hinein, würgt sie hinunter, um sie sofort wieder in hohem Bogen herauszuhusten. Zum Schluss reißt er das Tischtuch mitsamt dem Porzellangeschirr von der Tafel und schreit: »Dem Leben einen Sinn geben!«

Peymann erinnert sich noch heute haargenau an die schauderhaften Proben mit den drei Paradeschauspielern Ritter, Dene und Voss, für die Bernhard das Stück 1986 eigens geschrieben hat: »Voss hat sie unnachahmlich in sich hineingegessen in seiner Gier – die Brandteigkrapfen! – und ist fast daran erstickt. Jedes Mal dachte ich, der stirbt mir gleich. Unvergesslich dieser Moment der Aussichtslosigkeit eines Menschen. Und der Anlass: lächerliche Brandteigkrapfen!«

Auf der Speisekarte des Gasthauses »Eckel« in Sievering finden sich nicht immer Brandteigkrapfen. Trotzdem hat Bernhard dort gerne zu Mittag gegessen, denn Tafelspitz, eine seiner Leibspeisen, gab und gibt es beim »Eckel« tagein, tagaus. Mit Wegbegleitern wie Peymann saß der Schriftsteller oft stundenlang zusammen. Geredet hat immer nur er, gezahlt auch.

Lang ist’s her. Wenige Hundert Meter entfernt ist Thomas Bernhard am Grinzinger Friedhof begraben. Er träume immer noch von ihm, sagt Peymann: »Wir treffen uns in einem der Wirtshäuser. Er sitzt da in fröhlicher Runde. Ich sage: ›Mein Gott Bernhard, Sie leben noch?‹. ›Ja‹, sagt er, ›nicht weitererzählen, ich lebe unter einem anderen Namen. Schauen Sie nicht so verblüfft. Morgen telefonieren wir und gehen zusammen essen.‹«

ZUM REZEPT: FRITTATENSUPPE


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Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2024

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Judith Hecht
Autor
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