© Jonathan Meese

Interview: »Meese liebt fast alle Fressalien«

Für die Wiener Festwochen inszeniert er Richard Wagners »Parsifal«, für Falstaff seine persönliche Genusswelt: Jonathan Meese über die »Gastronomie der Liebe«, seine japanische »Erzbabyprägung« und warum Kunst aus dem Bauch kommt.

FALSTAFF Man weiß zwar seit Richard Wagners »Parsifal«, dass ein Festmahl ohne Gral sinnlos ist, wie aber würde Ihr persönliches Festmahl aussehen?
Jonathan Meese Meeses persönliches Festmahl besteht aus Liebe, also Respekt zu allem, was bei Tisch ist. Essen, Trinken, Gäste und Räumlichkeit muss liebevollst ineinandergreifen, ohne Angst, ohne Ideologie, ohne Religion und ohne Politik.
Was müsste Ihr Gral können?
Der Gral müsste entheiligt werden, also Evolution sein. Der Gral muss entmachtet sein, am besten er entmachtet sich selbst, denn er ist nur Projektion.
Der »Parsifal« war zuweilen für Sie mit recht dramatischen Momenten verbunden – zuletzt endete Bayreuth mit einem Rausschmiss. Haben Sie schon Ähnliches in der Gastronomie erlebt?
In der Gastronomie erlebt Meese nur Kunstbestes. Es gilt: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Meese liebt »Gastronomie der Liebe« und genießt ohne Hintergedanken. Meese ist kunstliebevollster Gast jeder liebevollen Gastronomie. 
Sind Köche Künstler?
Köche, die mit Liebe kochen, sind immer Künstler, also Zukunft, also kunstvollste Spielkinder. Essen, Trinken und Schlafen sind Grundvoraussetzungen des Lebens.
Köche, die ohne Falsch, ohne Zynismus und ohne Ideologie kochen, servieren nur Wunderbarstes. Totale Hingabe zur Kochkunst ist nicht vortäuschbar. 
Sie sagen, Sie tun sich schwer, so etwas wie ein »Lieblingsessen« zu definieren. Hängt das mit Ihrer kosmopolitischen Prägung zusammen? Sie sind ja in Tokio geboren, in Deutschland aufgewachsen und als Künstler sowieso international tätig.
Meese liebt fast alle Fressalien. Essen und Trinken darf nicht ideologisiert werden. Meese muss einmal die Woche, mindestens, erzjapanisch essen gehen, das ist die Erzbabyprägung Samurai.

Versuchen wir es trotzdem: Tokio oder Paris? Berlin oder London? 
Tokio und Berlin, dann blitzartigst Paris und London. Alles vom Speise- und Trankfeinstem.
Laut einer Story im Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« behauptet Ihre Mutter, Sie würden zu viel Essen. Stimmt das?
Mutter Meese weiß, dass Meese klarst zu viel futtert, aber was soll man machen! Meese liebt nun mal das Schnabbeln und das Weinchen und den Milchshake. Kunst kommt aus dem Bauch, nicht aus dem ideologischen Hirn.
Kann man das überhaupt, nur in einer Sache maßlos sein?
Meese ist in allem maßlos, was Kunst ist, das ist die Grundvoraussetzung und die Grundversorgung von Kunst. Meese lehnt jedes Maß der Realität ab. Meese bedient nur Antirealität.
Ihre schönste Erinnerung der Maßlosigkeit? 
Meese erlebt kulinarische Maßlosigkeit tagtäglich, das gehört zur Evolution dazu. Meese ist gerne die Raupe Nimmersatt, ein Vielfraß und Faultier zugleich.
Nun zu Wien: Kaffee- oder Wirtshaus? Ihre Lieblingslokale hier? 
Meese liebt das Wirtshaus, da »salzig«. Das Kaffeehaus ist »süß« und Meese nascht auch gerne mal. Seine Lieblingshotels und -lokale momentan sind: das »Glacis Beisl«, das »Le Méridien«, das »Sperl«, das »Carlton«, der Naschmarkt, das »K+K Hotel Maria Theresia«, das »Hawelka«, das »Josefshof«, das »Nihonbashi« und, und, und … Meese lässt sich immer gern auf Neues ein, null Problemo.
Für den »Parsifal« wurde vom »Mayer am Pfarrplatz« ein eigener »Meeswein« lanciert. Wie stark waren  Sie in dieses Projekt involviert?
Meese liebt die Cuvée vom »Mayer«, am Pfarrplatz getrunken, und hat folgerichtig das Etikett des »Meesweins« erschaffen. Er freut sich radikalst auf den Erztrank Parsifal, der geht runter wie Öl.
Welche Rolle spielt Wein bei einem Essen? Bevorzugen Sie das Prinzip »Entweder ist das Essen oder der Wein der Star« oder doch eher »Am besten ist beides vom Besten«?
Bei Meese ist »Essen« und »Wein« gesamtkunstwerkig mit größter Hingabe zu vollziehen. 
Zuletzt noch einmal kurz zum »Parsifal«: Warum bringt er den Schwan um? Einfach so, oder um ihn zu grillen und zu essen? 
Parsifal schießt den Schwan aus dem angeborenen Spieltrieb heraus, ohne Falsch. Der Schwan ist ein Drachenbaby.

Aus dem Falstaff Wiener Festwochen Spezial 2017

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