Poulard en vessie: Das Huhn aus der Blase
Manchmal macht Max Stiegl Gerichte, die es nur noch ganz selten gibt. Etwa Poularde en vessie – eine historische Speise, die auf einen der größten Köche aller Zeiten zurückgeht.
Wollten Sie immer schon einmal ein Huhn mit Gänseleber und Trüffeln stopfen und es dann in einer Kalbs- oder Schweinsblase stundenlang sanft garen? Haben Sie sich dann aber doch dagegen entschieden, weil es einfach zu viel Arbeit ist? Kein Problem, Ihnen kann geholfen werden. Max Stiegl erledigt das für Sie. Immer wieder setzt er dieses Gericht auf die Karte, man kann es aber auch vorbestellen.
Das Rezept geht auf einen der größten Köche aller Zeiten (wortwörtlich und im übertragenen Sinn) zurück: Fernand Point, fast zwei Meter groß und mit einem Bauch, der den Spitznamen »Magnum« trug, gilt als Vater der Nouvelle Cuisine und war Lehrer von Kochlegenden wie Paul Bocuse, François Bise sowie Jean und Pierre Troisgros. Er entwickelte die Technik des In-der-Blase-Garens wohl bereits in den 1930er-Jahren in seinem legendären Restaurant »La Pyramide« in Vienne, wo es heute noch auf der Karte steht – und von wo es auch seinen Weg nach Purbach fand.

Christophe Dechaux-Blanc, Souschef im »Gut Purbach«, lernte im »La Pyramide« sein Handwerk und garte dort zahlreiche der berühmten Bressehühner in Blasen. Er zeigte Stiegl die Technik und ist nun auch für die burgenländische Poularde en vessie zuständig.

Spektakel beim Servieren
Wer es bestellt, erregt unweigerlich Aufsehen im Gastraum: Die aufgeblasene Blase wird dampfend und prall gefüllt an den Tisch gebracht (hier brandet gelegentlich Applaus an den Nebentischen auf) und vor den Gästen aufgestochen. Ein Schwall trüffelige Hühnersuppe spritzt heraus, es duftet nach Pilz, Huhn und Gänseleber. Der Vogel wird auf dem Tisch zerlegt, sein Süppchen und die Füllung müssen noch kurz zurück in die Küche und werden dort mit Obers zu einer sämigen Foie-gras-Sauce passiert und reduziert. Schließlich kommt alles gemeinsam mit vergleichsweise puristischem Eierschwammerl-Risotto auf den Tisch.
Der Kritiker mag hier »altbacken«, »dekadent«, »effekthascherisch« oder »zu fett« schreien. Sobald er einen Bissen kostet, muss aber selbst der größte Nörgler zugeben: Das schmeckt einfach ganz umwerfend gut. Die Sauce ist so geil und köstlich, dass selbst ein fades Teilstück wie die Hühnerbrust – in ihr gebadet – zum dekadenten Genuss wird.
Das ganze Huhn ist dank zarter Schmortechnik und Luftabschluss herrlich saftig und geschmacksintensiv. Und die teuren Zutaten erweisen dem Huhn entsprechenden Respekt und garantieren eine Sorgfalt in seiner Zubereitung, die dafür selten geworden ist.
War das Geflügel noch bis in die 1960er-Jahre wegen der aufwendigen Haltung und Verarbeitung viel teurer als Rind oder Schwein, wurde es dank industrialisierter Haltung seither zu einem meist grausigen -Billigprodukt degradiert.
Trüffel und Foie Gras im Huhn
Der Prozess beginnt mit der Kalbs- oder Schweinsblase: Diese wird erst gründlichst gewaschen und dann mehrmals aufgeblasen und gedehnt. Das Huhn wird mit reichlich schwarzen Trüffelscheiben gespickt, die Trüffel-Abschnitte kommen zusammen mit einer ordentlichen Portion Foie gras in den Bauchraum des Tieres. Die Blase wird aufgeschnitten und das Huhn wie in einen Sack hineingepackt. Dann kommen je ein ordentlicher Schuss Cognac und Weißwein sowie Hühnersuppe dazu. Auch eine weitere Trüffel nachzuwerfen, schadet nicht.
Die Blase wird mit Küchengarn verzurrt und in ein Wasserbad gelegt. Weil sie luftdicht ist und sich die Luft in ihr dank der Hitze ausdehnt, geht sie auf wie ein Luftballon und schwimmt. Die nächsten eineinhalb bis zwei Stunden gart das Hendl im Inneren der Blase ganz sanft bei etwa 70 Grad in seinen eigenen und all den anderen guten Säften und Dämpfen. Dabei ist aber Vorsicht ge-boten: Um Risse in der Blase zu vermeiden, muss sie immer wieder sanft mit der Garflüssigkeit übergossen werden. Und wird das Wasserbad zu heiß, platzt die Blase – und all die Mühe war umsonst.

Die Schweins- oder Kalbsblase selbst ist geschmacksneutral; sie hält aber all die guten Aromen in der Sauce, die sich beim Schmoren entwickeln, und sorgt dafür, dass das zarte Hendlfleisch schonend gart – vom Prinzip her dem modernen Sous-vide-Garen sehr ähnlich.

In den vergangenen Jahren ist das Blasengaren wieder in Mode gekommen: Das Drei-Sterne-Restaurant »Eleven Madison Park« in New York etwa serviert getrüffelten grünen Spargel aus der Schweinsblase, der japanische Starkoch Masaharu Morimoto griff für die Fernsehshow »Iron Chef« auf die Technik zurück, und Paul Bocuse serviert Poularde en vessie bis heute in seinem Stammhaus als Hommage an seinen großen Lehrer.
Festhalten an Traditionen
»Sicher, man könnte das Hendl auch in ein Vakuumsackerl packen und im Kombidämpfer garen«, sagt Stiegl. »Das Schöne an dem Huhn in der Blase ist für mich aber die handwerkliche Herausforderung und dieses Festhalten an Traditionen. Wenn man nach Frankreich fährt, dann sieht man diese alten traditionellen Gerichte noch oft auf der Karte. Bei uns gibt es diese Wertschätzung für Klassiker nicht. Welches Gericht der feinen Küche aus den 1930er-Jahren ist denn noch erhalten, außer vielleicht das Wiener Schnitzel?«Vor Jahren kostete sich Stiegl auf einer Frankreich-Reise durch einige der klassischen Restaurants und Rezepte und war teilweise beeindruckt. Auch abseits französischer Klassiker versucht er seither in seinem Restaurant alte, selten gewordene Köstlichkeiten wieder hervorzuholen: etwa »Herrgott’s Bscheisserle« (Maultaschen) oder Froschschenkel.
Die Poularde en vessie gibt es im »Gut Purbach« mit zwei Unterschieden zu den Versionen, die in französischen Spitzenrestaurants serviert werden: Stiegl verwendet keine Bressehühner, sondern, wenn möglich, Purbacher Hendln. Die sind nicht minder köstlich, aber preislich etwas günstiger.
Wohl auch deshalb kostet bei Bocuse das ganze Huhn in der Blase immerhin 250 Euro. Im »Gut Purbach« ist es für rund ein Drittel zu haben.
Aus dem Falstaff Spezial Gut Purbach 2017