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Rum-reiche Karibik

Rum wird heute in vielen Ländern der Welt hergestellt. Als Ursprungsland aber gilt Barbados in der Karibik. Falstaff hat sich dort und auf einigen Nachbarinseln umgesehen.

Blutrot lehnt sich die Sonne an den Horizont. Aus den Boxen dröhnt laute Reggaemusik, in der Luft liegt der süßlich-würzige Duft bajanischer Köstlichkeiten, die zum Abendessen aufgetragen werden. »Son, we live long and happy lives here in Barbados«, grinst Frank verschmitzt, während er das Steuerrad hin und her wiegt. Aus der Ruhe scheint den betagten Skipper hier nichts zu bringen. Zur See fährt er erst seit einigen Jahren, davor war er so ziemlich alles: Farmer, Military Officer, er arbeitete in der Finanzbranche und in der Autoindustrie, und er stand lange Zeit als Koch hinterm Herd. Das Spicy Chicken, die Bohnen und Salate, die auf dem Boot hier serviert werden, hat diesmal allerdings seine Frau zubereitet. Auch sie hat mit ihren fast 90 Lenzen an Lebenserfahrung so manche Geschichte zu erzählen.
In der Tat erreichen auf Barbados erstaunlich viele Frauen und Männer nahezu biblisches Alter. Für die Centenarians – jene, die stolz die 100er-Marke knacken – gibt es gar eine Briefmarke mit dem eigenen Konterfei.
Während der Katamaran friedlich auf und ab schaukelt, meint man in Ansätzen antizipieren zu können, was den Menschen hier zum lebensverlängernden Elixier gereicht. »It’s the rum, son! It’s the sea, the sun, the climate! We’re happy people here!« Wie in die türkisblaue Brandung taucht man in eine fremde Welt ein – fernab von hektischem Alltagswahnsinn, dem Lärm der Großstadt, den Erwartungen des Daily Business. Das Handy ruht stumm irgendwo im Seesack, die Zeit verschwimmt mit den Gezeiten.
Barbados gilt als die Wiege des Rums. Angeblich wurde hier schon im 17. Jahrhundert Rum hergestellt. Zuerst für den Eigengebrauch der Insulaner, später wurde er exportiert. Und zwar in so rauen Mengen, dass die Hauptstadt Bridgetown damals reicher und größer war als Manhattan.

Shine bright like a Diamond

Wie gut, dass Frank auch der Barkeeper an Bord ist. Und wie es sich für einen guten Barmann gehört, serviert er knackige Storys zu seinen steifen Drinks. Jede Ecke der Insel, jeder Straßenstand erzählt seine Geschichte – von kolonialer Historie bis zu Nationalheldin Rihanna.
Die elektrisierende Kraft von Franks »Special« – eine tänzelnd-brüllende Mischung aus Overproof Rum, Limette und Zucker, verfeinert mit ein paar seiner lang gehegten »Würzgeheimnisse« – saugt die Gedanken zurück ins Hier und Jetzt.
Für die Locals gibt es de facto nur eine Variante von Zuckerrohr-Schnaps: weiß und stark – funky, grünliche Noten von Kochbanane, grasig frischem Zuckerrohr und tropischer Würze, getragen von alkoholisch muskulösen Schultern. Der gereifte Rum, mit seinen gezähmten Noten von Kaffee, Nougat und röstig-rauchiger Vanille ist hingegen ein eher junges Phänomen. Wie überhaupt die Kategorie des sogenannten Premium Rums als europäisierter, für den Export gedachter Geistesblitz anmutet.
Einen ebensolchen hatte Alexandre Gabriel, der Kopf hinter Maison Ferrand, als er die West Indies Rum Distillery kaufte und deren Geschicke übernahm. Die Rums seiner Plantation-Reihe sorgen seit Jahren für Furore, mit der Übernahme der wichtigsten Destillerie auf Barbados hat er endgültig alle Fäden der Produktion selbst in der Hand.
Doch neben dem eigenen Business steht ein größeres Ganzes hinter Gabriels Treiben. Der Geschichts- und Qualitätsfanatiker hat jede Menge Aufarbeitungsarbeit betrieben, alte Schriftstücke, Listen und Aufzeichnungen aus den Annalen der West Indies Rum Company ausgegraben. Kostbare Informationen, die nicht nur der innerbetrieblichen Ahnenforschung, sondern der ganzen Insel zum Segen gereichen.

Das temperierte, sonnige Klima auf Barbados schafft perfekte Bedingungen für Zuckerrohr.
© Andreas Bornstein
Das temperierte, sonnige Klima auf Barbados schafft perfekte Bedingungen für Zuckerrohr.

Melasse aus Guyana

Rund 80 Prozent der Gesamtproduktion der Insel laufen nun aus Gabriels Brennkessel. Die Miete zahlt dennoch nach wie vor Malibu, erzeugt man hier doch den Basisrum für die Likör-Weltmarke.
Ausgangsmaterial dafür, wie auch für alle eigenen Produkte, ist Melasse aus Guyana sowie Asien, wenngleich man vermehrt mit lokalen Bauern kooperiert, um heimisches Zuckerrohr zu fördern. Langfristig will man auf Eigenanbau-Melasse zurückgreifen können.
Ein Garant für Vielfalt und kreativen Entfaltungsraum der Brennerei sind die verschiedensten Kupferkessel, die man zur Verfügung hat. Teils neues Gerät, teils alte, irgendwo am Gelände ausgegrabene Relikte, die zu neuem Leben aufpoliert werden, teils kleine Potstills, teils industriell wirkende Kolonnen-Monstrositäten: Sie alle werden getestet und befeuert, um unterschiedlichste Rum-Stile herstellen, selektionieren und anschließend in diversen Kompositionen verblenden zu können.
Barbados ist eine flache Insel mit kalkreichem Boden, bietet damit ideale Bedingungen für die Produktion von bestem Rum – und damit für Handel und Wohlstand.
Das Zuckerrohr kam der Legende nach über Niederländisch-Brasilien (auch Neu-Holland genannt) ins Land. Rasch wurde Barbados zur Speerspitze der Zuckerindustrie – jede Zuckerplantage befeuerte freilich ihren eigenen Kessel. Wenngleich nur mehr eine Handvoll Destillerien übrig sind, werden deren flüssige Schätze bis heute auf der ganzen Welt genossen. Nur die aus Barbados stammende Pop-Sängerin Rihanna ist vielleicht weltweit noch bekannter. Das Elixier, der Sound, die wie ein Diamant schimmernde karibische Sonne: Sie alle verschmelzen zum lebensverlängernden Geheimnis der Bajans.

1300 Bars auf St. Lucia

Knapp 170 Kilometer weiter westlich, auf St. Lucia, gibt es gar nur eine einzige Destillerie. Doch die Herzenswärme und überbordende Freundlichkeit der Locals ist so einladend wie in der gesamten Karibik. Vielleicht liegt es ja an den mehr als 1300 Bars auf St. Lucia, eine stattliche Zahl für eine Insel mit gerade einmal 180.000 Einwohnern. Eine Bar für 138 Köpfe – Frauen und Kinder selbstverständlich miteingerechnet.
Hier wird gearbeitet, gefeiert, getrunken und ausgelassen das Leben genossen. Nur beim sakrosankten Nationalgetränk kennt man keinen Spaß. Der lokale Schnaps ist natürlich der beste – wie auf jeder Insel. Doch wen kümmern derlei Spitzfindigkeiten, wenn der Blick über saftige grüne Tropenwälder, türkisblaue Buchten und idyllische Paradiesvegetation schweift?
Dazu offeriert St. Lucias einzige Brennerei eine beachtliche Vielfalt hochprozentiger Preziosen. Die St. Lucia Distillers befeuern ein buntes Potpourri an Brennkesseln, die allesamt unterschiedliche Qualitäten hervor- zubringen verstehen: John Dore I und II sowie Vendome sind Kupferkessel klassischer Bauart, die für schwere, komplex-kräftige Destillate sorgen, während Column und Patent Still nebenan den 96-prozentigen Unterbau liefern.
Zur Ruhe gebettet werden die verschiedenen klaren Rums traditionell in ehemaligen Bourbonfässern, ergänzt durch Port-, Sherry-, Weiß- sowie Rotweinfässer. Selbst ausgediente Brandy-Gebinde weiß man geschickt einzusetzen. Sorgsam verschneidet der Master Blender alle diese Bausteine nach der Lagerung zu Admiral Rodney und Chairman’s Reserve Rum. En gros verlassen jährlich rund eine Million Liter puren Alkohols die Brennerei. Wie viel davon die 1300 Bars der Insel ausschenken, ist nicht dokumentiert.
Die Gastfreundschaft ist von rührender Herzlichkeit. Die kleinen Bars, oft nicht mehr als eine bessere Veranda mit zwei Plastikstühlen, kennen weder behördliche Abnahmen noch Registrierkassen oder Allergenverordnungen. Hier bekommt man weißen Overproof Rum und ein freudiges Lächeln serviert. Ein kaltes Bier aus dem Freezer, warmer Bass aus den Boxen. Abschalten, ankommen.

Foto beigestellt

Eine kurze und abenteuerliche Fährüberfahrt später steht man plötzlich wieder mitten in Europa. Die nördlich von St. Lucia gelegene Insel Martinique ist als Übersee-Département Teil des französischen Staatsgebiets und der Europäischen Union. Umringt von Palmen, die sich schwer unter der Last prall gefüllter Kokosnüsse beugen, scheinen die Champs-Elysées Lichtjahre entfernt.
Sattes Grün überzieht die hügelige Landschaft, ehe es jäh abbricht in das türkis-blaue Tief der Meeresbrandung. Die Menschen tragen auch auf Martinique ein infektiös gelassenes Lächeln auf den Lippen, strahlen eine lebendige Ruhe und inhärente Zufriedenheit aus. Vieles wirkt aufgeräumter, etwas braver und polierter als auf den Nachbarinseln, die eine oder andere EU-Förderungsspritze scheint hier ihre monetäre Bestimmung gefunden zu haben. Der pulsierende Rhythmus aber ist unverwechselbar karibisch, ohne steife Formalität, aufgelockert von einem Glas »Ti-Punch«, der Geist und Körper in Schwingung versetzt.
So niedlich das sprachlich-gustatorische Diminutiv des »petit« (kleinen) Punch klingen mag, so faustdick hat es die Mischung aus Zucker, Limette und Rhum hinter den Ohren. Rhum agricole – den französischen Inseln entstammend stets mit »h« geschrieben – wird im Glas mit lokalem Rohrzucker sowie einem kleinen Spritzer Limettensaft verrührt und direkt genossen. Der Ti-Punch ist hochheiliges Kulturgut auf Martinique, und jeder hat seine eigene Misch-Philosophie. Konsequenterweise bekommt man in Bars und Restaurants oft schlicht die einzelnen Komponenten separat vorgesetzt, jeder bestimmt selbst die idealen Proportionen – ein ebenso geselliger wie charmanter Zug. Der Rhum ist weiß, ungelagert und von schmetternd alkoholischer Kraft. Unter 50 Prozent geht hier nichts.
Um ebendiesen herzustellen braucht es inseleigenes Zuckerrohr, direkt in der Destillerie ausgepresst, der Saft vergoren, die Maische kontinuierlich destilliert. Eine AOC-Regulierung, wie sie in Frankreich nun einmal gang und gäbe ist, setzt klare Richtlinien für Herkunft und Produktion des geschützten Guts.
Stressen lässt sich hier niemand von derlei Politik. Dafür ist man viel zu sehr damit beschäftigt, das Leben zu genießen – mit dieser ansteckenden Gelassenheit. Während die späte Sonne langsam ihre langen Schatten über die Hügel und Buchten wirft, schweifen die Gedanken in die Weite. Wie losgelöst von Zeit und Ort, ohne Druck, ohne Erwartung. Die Menschen der Karibikinseln scheinen eine innere Ruhe und Frieden gefunden zu haben. Mit dem Moment, mit den Umständen – ungeachtet ihrer Herkunft oder Hürden –, mit einer Freude, Freundlichkeit und Offenheit, die infiziert. »Son, we live happy lives here«, so schwingt die Erinnerung, zusammen mit dem unvergesslichen Klang der Bajan und den Geschmäckern des Paradieses.

Lesen Sie im Aktuellen Falstaff Magazin 08/2018 über die »Best of Karibik-Rum«.

Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2018

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Reinhard Pohorec
Reinhard Pohorec
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