Die Weingärten der Bündner Herrschaft sind die Heimat erstklassiger Pinot Noirs – und auch einige der besten Chardonnays der Schweiz wachsen hier.

Die Weingärten der Bündner Herrschaft sind die Heimat erstklassiger Pinot Noirs – und auch einige der besten Chardonnays der Schweiz wachsen hier.
© Heidiland Tourismus / Thomas Kessler Visual

Schweizer Chardonnay: Global bekannt, lokal brilliant

Die Sorte Chardonnay ist die Grundlage für einige der größten Weissweine der Welt. Längst kommen diese nicht mehr nur aus dem Burgund oder aus Kalifornien – sondern beispielsweise auch aus Graubünden oder vom Zürichsee.

Es gibt wenige Phrasen in der Weinwelt, die derart daneben greifen wie die des ABC-Trinkers, des Weintrinker also, der »Anything but Chardonnay« – »alles ausser Chardonnay« bestellt. Chardonnay gehört zu den meistange­bauten Traubensorten der Welt und ist vielfältig wie kaum eine andere weiße Varietät – vom einfachen Apérowein über einen Grundwein für Schaumweine bis hin zum großen Terroirwein kann sie alles hervorbringen. Auch einige der höchst­bewerteten Schweizer Weißweine in der Falstaff-Datenbank sind Chardonnays.

Erklärbar ist das mit den ABC-Trinkern allerdings schon. Grund für das Aufkommen der ABC-Fraktion war ein ganz bestimmter Chardonnay-Stil. Es waren Produzenten aus Übersee, die auf die Idee kamen, Chardonnay mit viel Neuholz zu aromatisieren und mittels Batonnage – ­Aufrühren der Hefe beim Ausbau im Fass – einen buttrigen Schmelz zu verpassen. Diese von Vanille und tropischen Früchten geprägten Weine sorgten für Begeisterungsstürme und fanden auch in Europa Nachahmer. Gleichzeitig ramponierten sie den Ruf der Sorte bei einigen Weintrinkern.

No more »American Chardonnay«

Erich Meier ist seit 22 Jahren Winzer am Zürichsee, sein Chardonnay gehört zu den besten der Region und belegte mit 93 Punkten den dritten Platz bei der schweizweit ausgeschriebenen Falstaff-Chardonnay-Trophy 2022. Zu Beginn seiner Karriere produzierte er am Zürichsee einen »American Chardonnay«, wie er den Stil nennt. Vor sechs Jahren eröffnete Meier einen Kellerneubau – eine neue Ära für ihn und seine Weine begann, auch für den Chardonnay, den er heute auf 1,4 Hektar Rebfläche kultiviert. Meier entschied sich, bei allen Weinen nur mehr auf Spontan­gärung zu setzen.

Seinen Chardonnay gärt er heute als Ganztrauben in offenen Holzgärbottichen an, presst ihn ab und vergärt ihn dann im Holzfass zu Ende. Batonnage setzt er nur mehr ein, wenn es der Wein wirklich benötigt, dafür verzichtet er meist auf den biologischen Säureabbau, um die Frische zu erhalten. Sein Chardonnay zeigt sich zitrisch mit Blütennoten und dezenter Holzwürze. Am Gaumen ist er elegant, aber ebenso vollmundig. »Vielleicht hat es mit dem Alter zu tun«, sagt der heute 48-jährige Erich Meier lachend. »Je älter ich werde, desto mehr bevorzuge ich das Elegante, Burgundische. Mein Vinifi­kationsstil ist über die Jahre sicher französischer geworden.«

Die großen Chardonnay-Weine des Burgunds sind Vorbilder für viele Winzerinnen und Winzer, die mit der Sorte arbeiten. Johann-Baptista von Tscharner vom Schloss Reichenau kann gar ein ganz bestimmtes Weinerlebnis nennen, das dafür sorgte, dass er heute mit dem Churer Chardonnay 2019 den zweitbesten Chardonnay der Falstaff-Trophy 2022 produzierte. Auf dem Weingut seiner Familie wurde bis 2017 gar kein Chardonnay mit Holzausbau vinifiziert. »Mir gefällt der breite, buttrige Stil nicht so«, sagt er bestimmt. Im Jahr 2016 bekam er auf einer privaten Verkostung in Liechtenstein je 15 rote und weisse Burgunder ins Glas. »In einen der Weißweine habe ich mich sofort verliebt«, sagt von Tscharner. Es war der Meursault Les Rougeots 2002 von Coche-Dury.

Diesem Vorbild strebt er seit dem Tag nach. Den Saft füllt er hierfür direkt nach dem Pressen mit dem gesamten Trub und einer Reinzuchthefe in Barriques, wo das Ganze ein Jahr verbleibt. Batonnage praktiziert von Tscharner nicht. Er will eher reduktiv arbeiten, mitunter wohl, um den legendären Zündholz-Aromen seines grossen Vorbilds Coche-Dury nachzueifern. Einen Hauch kalten Rauch haben die Verkoster der Falstaff-Trophy dem Wein attestiert – die Verwandtschaft ist da. Die Arbeit im Rebberg ist auch für die Produktion eines großartigen Chardonnays ganz entscheidend. Johann-Baptista von Tscharner begrenzt den Ertrag und erntet eher früh, was in einem geradlinigen Stil resultiert. Die Trauben wachsen im Waisenhaus Wingert der Bürgergemeinde Chur. Von Tscharner gesteht selber ein, dass ihn die Komplexität und Tiefe dieses Weines überraschen, denn die Reben sind mit Pflanzjahr 2014 noch jung.

Chardonnay, der kompromisslos vom Terroir geprägt ist und weniger vom Ausbau, hat in der Schweiz eine eher kurze Geschichte. Auch das Weingut Wegelin aus Malans in der Bündner Herrschaft pro­duziert seit vielen Jahren Chardonnay, den Einzellagenwein Frassa aber gibt es erst seit 2018. Der Jahrgang 2020 erreichte bei der Falstaff-Trophy 94 Punkte und belegte somit den ersten Platz, der Malanser Chardonnay aus verschiedenen Lagen erreichte 92 Punkte. Rafael Hug leitet das Weingut Wegelin gemeinsam mit seiner Frau Mathilde Hug Pédeutour seit 2019. Chardonnay ist für das Önologenpaar sehr wichtig. »In Frankreich, der Heimat meiner Frau, hat die Sorte einen ganz anderen Stellenwert als bei uns«, sagt Rafael Hug. Der Frassa stammt aus der gleichnamigen Einzellage. Geprägt ist diese von einem größeren Murgang, der Boden ist hier stark von Kalk durchzogen. »Das ist der Weißwein-Hotspot im Ort«, sagt Rafael Hug.

Thomas Studach hat seinen Char­donnay gleich nebenan, und auch der Completer von Martin Donatsch wächst in nächster Nähe. Hug praktiziert Ganztraubenpressung, bringt den Saft trüb in die Fässer und vergärt spontan. Er benutzt bis zu 80 Prozent Neuholz, wobei die Fässer nur schwach getoastet sind. Das Resultat ist ganz grosses Chardonnay-Kino: aromatisch komplex, mit einer perfekten Balance aus Kargheit und Schmelz sowie einem langen, mineralischen Nachhall. Der Malanser Chardonnay unterscheidet sich von der Machart her marginal, es ist insbesondere die Lage, die den Frassa ausmacht. »Chardonnay ist für mich eine Terroir-Traubensorte«, sagt Rafael Hug, »eine Sorte, die auf den Boden anspricht. Wir haben spannende Böden in der Schweiz, Chardonnay ist dafür wie gemacht – ganz ähnlich wie unsere heutige Paradesorte Chasselas

ZUR CHARDONNAY TROPHY 2022


Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2022

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Benjamin Herzog
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