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Wissenschaft: Der perfekte Mittagsschlaf

Ein Nickerchen nach dem Mittagessen gehört in vielen südlichen Ländern dazu. Aber tut man seinem Körper damit wirklich etwas Gutes? Und wie lange dauert die perfekte Siesta?

Mittelmeerländer wie Spanien, Griechenland und auch Italien kennen sie: die Siesta. Etymologisch handelt es sich dabei um die sechste Stunde nach Sonnenaufgang (lat. sexta hora), also um die heiße Mittagszeit. Die wird im europäischen Süden mit Essen und Rasten verbracht, während die kühleren Stunden am Morgen und am späten Nachmittag für die Arbeit reserviert sind. In ­der Praxis ist mit der Siesta aber nur der Schlummer nach dem Mittagessen gemeint, und nicht, wie viele glauben, die gesamte Dauer der langen Mittagspause. Das Nickerchen erstreckt sich von einer halben bis zu zwei Stunden, je nach Zeitbudget.

Während Ältere nach wie vor die Füße hochlegen können, trinken mittlerweile aber auch im Süden arbeitende Menschen eher Kaffee, um so durchs Nachmittagstief zu tauchen. Denn ­die Siesta ist sukzessive auf dem Rückzug. Globale Unternehmen orientieren sich mit ihrer Pausenstruktur eher an zentraleuropäischen oder amerikanischen Gegebenheiten. Untertags ein Nickerchen einzulegen, wird tendenziell mit Faulheit verbunden und als Folge zu üppiger Mahlzeiten und Maßlosigkeit bewertet. Dabei würde vieles – unabhängig vom Ess- und Trinkverhalten – für einen »Powernap« sprechen. Griechische Forscher attestieren der Siesta gar Effekte wie jene, die zu erwarten sind, wenn man ausreichend frisches Gemüse isst und Olivenöl verwendet.

Siesta statt Nachtschlaf?

Generell wird mit einem Schläfchen untertags eine Reihe von Benefits assoziiert: Es soll konzentriert halten und munter machen, Kreativität und Produktivität fördern, Fehler, Unfälle und Stress samt seiner Symptome vermindern und die Aufmerksamkeit und das Erinnerungsvermögen sowie das Herz-Kreislauf-System verbessern. Eine kurze Siesta von bis zu 30 Minuten scheint außerdem dazu beizutragen, Bluthochdruck zu senken. So positiv wurde der Nachmittagsschlaf aber nicht immer gesehen.

Im Gegenteil: Anfang der 2000er-Jahre wiesen die Ergebnisse einiger Beobachtungsstudien sogar darauf hin, dass das Schlafen untertags gar mit frühzeitigem Tod verbunden sein könnte. Wer täglich eine lange Siesta von ein bis zwei Stunden hält, hätte demnach eher mit Atherosklerose und hohem Blutdruck und folglich mit Herz-Kreislauf-Problemen wie Schlaganfall und Herzinfarkt zu rechnen. Vor allem direkt nach dem Aufwachen wurde häufig erhöhter Blutdruck festgestellt und als Erklärung für frühabendliche Schlaganfälle gesehen. Ursache-Wirkung-Beziehungen sahen die Forscher jedoch nicht vorliegen und warnten auch davor, ohne überzeugende Daten Empfehlungen für oder gegen diesen traditionellen Habitus zu geben.

Über die Jahre klärte sich dann die Lage. Nicht die Siesta an sich ist für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich, viel eher kann sie als ein Hinweis auf die Schlafqualität und -dauer in der Nacht gesehen werden. Denn Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck oder koronarer Herzkrankheit schlafen eher kurz und schlecht, oftmals aufgrund von Apnoe. Untertags haben sie dann das Bedürfnis, Schlaf nachzuholen. Kurz gesagt: je schlafloser die Nacht, desto ausgiebiger die Siesta, desto häufiger die Diagnose Bluthochdruck.

Genussvoll ausruhen

Auch mit dem Risiko für Übergewicht und Adipositas gibt es Zusammenhänge. Schließlich häufen sich die Belege, dass nicht nur die Kalorienaufnahme und der Bewegungs­level eine Rolle spielen, sondern unzureichender Schlaf auch die Entwicklung des Körpergewichts beeinflusst. Dafür werden zwei Mechanismen verantwortlich gemacht: Erstens verändert sich bei Schlafmangel die Konzentration der Hormone, die für den Appetit verantwortlich sind. Ghrelin, das den Appetit steigert, geht in die Höhe, Lep­tin, das ihn senkt, wird weniger. Die Lust aufs Essen nimmt also bei kurzem Schlaf zu. Zweitens: Wer kürzer schläft, hat nicht nur mehr Gusto, sondern auch mehr Zeit zu essen.

Dass die nächtliche Schlafdauer also einen Effekt zeigt, ist anzunehmen. Weniger als fünf Stunden steigern das Risiko deutlich, aber auch bereits weniger als sieben Stunden sind mit einem Plus auf der Waage verbunden. Wie sehr sich eine Siesta auf das Körpergewicht auswirken kann, ist in der Tat überraschend und muss weiter abgeklärt werden: Ein halbstündiges Schläfchen wurde in einer Studie aus 2013 mit einem um 33 Prozent geringeren Risiko für Adipositas assoziiert. Wer auf keine sieben Stunden in der Nacht kommt, aber sich untertags bis zu einer halben Stunde Schlummer gönnt, kann damit sein Risiko für ein Gewichtsplus eindämmen. Schläft man allerdings am Nachmittag länger, ist das sowohl mit höherem Gewicht verbunden als auch ein möglicher Marker für andere gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Was gilt es also bei der Siesta zu beachten? Wesentlich ist die Dauer. Als ideal ­werden in vielerlei Untersuchungen bis ­zu 30 Minuten genannt. Am besten, man schlummert auf einem Sofa oder in einem gemütlichen Sessel. Im Bett fällt man leicht in einen Tiefschlaf; und wer zu lange träumt, nimmt sich womöglich den Bedarf für die Nacht. Und das wäre kontraproduktiv.

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2020

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Marlies Gruber
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