Klassischer italienischer Kaffee ist immer kräftig geröstet – im Süden noch dunkler als im Norden.

Klassischer italienischer Kaffee ist immer kräftig geröstet – im Süden noch dunkler als im Norden.
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Dunkle Materie: Alles über Espresso

Illy und Lavazza, Espresso und Cappuccino, sie alle kommen aus Italien. Wenn es um die Bohne geht, ist das Land immer noch eine Weltmacht. Warum eigentlich?

Die Welt ist nicht nur schwarz oder weiß. Beim italienischen Kaffee zum Beispiel ist sie schwarz oder dunkelbraun. Wie bei so vielem in Italien läuft auch hier die Grenze zwischen Nord und Süd: Die Bewohner des reichen Nordens bevorzugen ihren Kaffee etwas dunkelbraun geröstet und aus 100 Prozent Arabica-Bohnen. Der Süden mag ölig-schwarze Bohnen und einen ordentlichen Anteil an Robusta im Mix.

Norditalienische Kaffees schmecken im Idealfall ausgeprägt schokoladig und süß, ohne Säure und mit dichtem Körper – die ­guten sind balanciert und können pur genossen werden. In Süditalien hingegen werden die Bohnen mitunter so dunkel geröstet, dass sie nicht mehr karamellisiert, sondern karbonisiert sind, wie der Fachmann sagt.

Das bringt die gewollte verbrannte Note. Der Kaffee wird hier deswegen so gut wie immer gezuckert, um den Geschmack abzurunden. In vielen neapolitanischen Bars wird der Espresso sogar schon vom Barista vorgezuckert, so wie der japanische Sushi-Meister schon Sojasauce auf den Fisch streicht. Wer das nicht will, muss seinen Espresso explizit »amaro«, italienisch für bitter, bestellen.

Kaffeeweltmacht Italien

Auch wenn es seit einigen Jahren in Städten wie London, New York oder Kopenhagen die besten Kaffees der Welt gibt und Filterkaffee wieder hipper ist als Espresso – beim Kaffee, vor allem beim Kaffeerösten, ist Italien immer noch eine Weltmacht. Das Land mit seinen knapp 60 Millionen Einwohnern liegt beim Konsum weltweit zwar nur an siebenter Stelle, ist aber der drittgrößte Importeur von grünen Kaffeebohnen. Mit Illy, Lavazza, Kimbo und Passalacqua kommen einige der international bekanntesten Kaffeemarken von hier.

Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens Italiens lange Geschichte als Handelsplatz und Heimat großer Seemächte – Venedig war die erste Stadt in Europa, in der Kaffee getrunken wurde und Kaffeehäuser eröffneten, Jahrzehnte vor anderen frühen Kaffee-Adaptionen wie in London und Wien. Bis heute sind viele der großen Röstereien in den Hafenstädten Triest (Illy, Hausbrandt) und Neapel (Kimbo, Passalaqua) angesiedelt.

Zweitens, und das wiegt vielleicht noch schwerer, wurde die Espressomaschine hier erfunden. 1884 von Angelo Moriondo in Turin patentiert, und etwa 20 Jahre später erstmals gebaut und auf der Turiner Weltausstellung vorgestellt, war die Espressomaschine ursprünglich eine Möglichkeit, Kaffee sehr schnell zu brühen. Dank Dampfdruck konnte der Kaffee feiner gemahlen werden, was die Extraktion schneller macht – eine Innovation, die perfekt in eine Zeit passte, die besessen war von Geschwindigkeit im Allgemeinen und anderen modernen, dampfbetriebenen Maschinen wie der Lokomotive oder dem großen Ozeandampfer. Eines der frühen Werbeplakate für die neue Maschine zeigte entsprechend einen Mann, der sich aus einem fahrenden Zug eine Tasse Kaffee schnappt.

Die Maschine macht den Kaffee

Die Espressomaschine und ihre speziellen Anforderungen sind auch ein wesentlicher Grund dafür, dass italienischer Kaffee vergleichsweise dunkler geröstet wird als in anderen europäischen Ländern: dunkel geröstete Bohnen sind poröser, was bedeutet, dass Wasser besser und schneller hindurchrinnen kann.

Bis heute ist Italien der unangefochtene Weltmarktführer, wenn es um Espressomaschinen geht:  Egal, ob Sie einen Tankstellenkaffee in Kiev hinunterstürzen oder Single-Origin-Espresso für zehn Dollar in einer schicken Kaffeebar in Melbourne schlürfen, beide sind ziemlich sicher auf einer italienischen Maschine gebraut.

Wie auch beim Essen tut sich Italien allerdings auch beim Kaffee ein wenig schwer mit neuen Entwicklungen und einem Abweichen von alten oder eingebildeten Traditionen. Das hat dazu geführt, dass das Land bei einer neuen Generation von Kaffeetrinkern nicht sehr gut angeschrieben ist. Bei modernen Kaffees – man kann es nicht anders sagen – ist Italien ziemlich abgehängt.

In anderen Ländern, vor allem großen Städten von Shanghai bis Berlin, sind in den vergangenen zehn Jahren Specialty Coffeeshops und Röstereien wie Pilze aus dem Boden geschossen. Hier werden hell geröstete Single-Origin-Bohnen verkauft, aus denen säurebetonter Espresso oder Filterkaffee gebrüht wird, der mehr an Tee erinnert, und nicht nach Schokolade, dafür nach Heidelbeere, Zitrone oder Pfirsich schmeckt. Italien aber hat da lange nicht mitgemacht. Es ist wahrscheinlich das einzige europäische Land, in dem die Röstereien in den vergangenen Jahren weniger geworden sind, und auf der ganzen  Halbinsel gibt es weniger Specialty-Coffeeshops als in einer mittelgroßen europäischen Stadt.

Mittlerweile hat sich aber auch hier ein bisschen was getan. Rubens Gardelli, ein kleiner, moderner Röster aus der Gegend von Ravenna, konnte 2017 die Kaffeeröstweltmeisterschaft für sich entscheiden und damit ein wenig die bereits angeschlagene Ehre der italienischen Röster retten. Und zumindest im Norden haben mittlerweile ein paar bemühte Röster aufgesperrt. Der Süden hingegen ist immer noch quasi Specialty-Coffee-frei.

Warum das so ist, hat sicher viele Gründe. Der vielleicht wesentlichste: Espresso kostet hier immer noch einen Euro an der Bar – und schmeckt mit ein wenig Zucker tadellos.


Klassische Röstereien

Illy
Traditionsbetrieb aus Triest, der einst von dem Siebenbürgener Illy Ferenc in der Hafenstadt gegründet wurde. Dank Innovationen wie in Dosen verpacktem Kaffee und einer neuartigen Espressomaschinen-Technologie wuchs das Unternehmen zu einer der größten Röstereien der Welt. Illy ist immer noch in Familienbesitz.

illy.com

Lavazza
Einst als kleines Kaffeegeschäft in Turin gegründet, ist Lavazza wie Illy eine der größten Röstereien der Welt und die Rösterei mit dem größten Marktanteil in Italien – mehr als ein Drittel des in Italien konsumierten Kaffees wird von Lavazza geröstet. So wie Illy ist auch Lavazza nach wie vor in Familienbesitz.

lavazza.it

Kimbo
In den 1950er-Jahren in Neapel gegründet, ist Kimbo die wichtigste Kaffeemarke Süditaliens und hat nach Lavazza den zweitgrößten Marktanteil in Italien. Italienfans und -urlaubern ist das Unternehmen bekannt als Sponsor des FC Napoli und Kaffeelieferant der Raststationskette Autogrill.

Passalacqua
Wie Kimbo ebenfalls in  den 1940er-Jahren in Neapel gegründet, wo die Rösterei bis heute die kleine, für ihr futuristisches 50er-Jahre-Design bekannte Kaffeehauskette »Mexiko« betreibt. Nach Kimbo die zweite große Kaffeemarke des Südens.

passalacqua.com

Hausbrandt
Der österreichisch-italienische Kaffeeröster, einst von einem Offizier der k.u.k. Handelsmarine in Triest gegründet, und schon im frühen 20. Jahrhundert für ihr innovatives Marketing bekannt. Heute gehört Hausbrandt dem italienischen Kaffeeunternehmer Martino Zanetti.

hausbrandt1892.at

Mikoffee
Rösterei in der Toskana, die als eine der letzten in Italien mit traditionellen Holzröstöfen arbeitet, bei denen die Bohnen tatsächlich mit der Flamme in Kontakt kommen.

mikoffee.it

Moderne Röstereien

Gardelli
Kleine Third-Wave-Rösterei aus der Gegend von Ravenna. Als erster italienischer Röster konnte Gardelli-Gründer und Autodidakt Rubens Gardelli 2017 die Kaffeeröstweltmeisterschaft für sich entscheiden, seither sind die Packungen mit dem pinken Schwan in Third-Wave-Coffeeshops in ganz Europa zu finden.

Via Carmillo Versari 2, 47121 Forli
T: +39 0543 806574, shop.cardellicoffee.com

His Majesty the Coffee

Minirösterei in einem Vorort von Mailand. Gründer Paolo Scimone lernte Third Wave Coffee in seinen Lehrjahren in London kennen und lieben und konnte bereits zwei Mal die italienische Röstmeisterschaft gewinnen.

Via Cellini 17, 20852 Villasanta
T: +39 039 2624811, hmcmonza.com

Gearbox Coffee Roasters
Tommaso Bonginis Familie röstet bereits seit vier Generationen in der Gegend von Florenz Kaffee. Mit Gearbox versucht der Mann nun eigene Wege zu gehen und statt traditionellem italienischem Espresso Specialty Coffee zu rösten.

Via del Bagnone 24, 50032 Borgo San Lorenzo
T: +39 055 8495085, gearboxcoffeeroasters.coffee

Garage Coffee Bros
Veronas erste Specialty-Coffee-Rösterei. Davide und Andrea Cobelli, die Brüder hinter Coffeebros, wurden ebenfalls schon einmal italienische Röstmeister.

Vicolo san Silvestro 29, 37122 Verona
T: +39 3472213724, garagecoffeebros.com

Lot Zero
Mikrorösterei in Milan, gegründet von der drei-fachen italienischen Latte-Art-Meisterin Chiara Bergonzi. Die Rösterei wird ausschließlich von Frauen betrieben – was in der italienischen Kaffeeszene noch ungewöhnlicher ist als hell gerösteter Filterkaffee.

Via Valparaiso 9, 20144 Mailand
T: +39 02 36561122, lotzero.com


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Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2023

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Tobias Müller
Autor
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