© Shutterstock

Kein Most, kein Essig: Naturwein

»Forever Thirsty« verkauft das Getränk, was gerade in aller Munde ist: Naturwein. Der Trend ist mittlerweile auch in München angekommen. Ein Blick in die Szene.

In einem kleinen Laden an der Fraunhoferstraße in München, auf Holzparkettboden und in rot-schummrigen Licht wuselte es nur so an Menschen – über 200 sollen es an diesem Abend im November gewesen sein. Sie alle waren dort wegen der Shop-Eröffnung von »Forever Thirsty«. Ein weiterer Laden in München, der sich auf den Verkauf von Naturwein spezialisiert hat. Es scheint fast so, als würde sich das sonst so konservative München immer mehr an Hipster-Hochburgen wie Kopenhagen, Paris oder Berlin annähern – zumindest in der Welt der jungen, wilden Weine.

Mittlerweile bietet die Stadt, die eigentlich für ihr Bier bekannt ist, nämlich unzählige Adressen, an denen Fans der Natural-Wine-Szene ihr flüssiges Glück finden. Zum Beispiel in Weinbars wie der »Blauen Libelle«, der »Bar Mural« oder der »Weinstube in Giesing«. Und dann gibt es da noch eine Handvoll Shops wie »Forever Thirsty«. Dort kann man Flaschen des naturbelassenen Weins auch für zu Hause kaufen.

Was aber steckt hinter dem Begriff Naturwein? Wer die Komplexität dieser speziellen Art von Wein verstehen will, braucht starke Nerven. Denn zunächst muss man sich im Namens-Wirr-Warr zurechtfinden. Anstatt Naturwein gibt es nämlich auch noch die bedeutungsgleichen Bezeichnungen »Vin Naturel«, »Raw Wine« oder auch »Naked Wine«. Komplizierter wird es bei der Definition. Nach wie vor gibt es keine geschützte Bezeichnung für Naturweine. Welche Kriterien eine Flasche also erfüllen muss, legen Winzer und Weinhändler selbst fest.

 

Im Grunde gilt aber das Credo: Wer Naturwein produziert, arbeitet mit möglichst wenig Eingriffen. Konkret bedeutet das, dass Winzer schon im Weinberg biologisch, häufig auch biodynamisch arbeiten. Die Ernte erfolgt per Hand und auch im Keller wird auf Maschinen größtenteils verzichtet. Die Trauben dürfen spontan vergären: Der Einsatz von Schwefel ist tabu oder nur minimal. Keine Schönung, keine Filtration. In Naturwein geht nichts rein und nichts raus – es ist ein Experimentieren und ein kontrolliertes Nichtstun, damit der Weingeschmack so ursprünglich wie möglich bleibt.

Dass das nicht jedem schmeckt, ist kein Geheimnis. Für die edlen Weintrinker, die klar schimmernde Flüssigkeiten im Weinglas bevorzugen, mag Naturwein ein trübes Gesöff sein. Erinnerungen an Most oder gar Sauerkraut sollen bei einigen aufkommen, wenn ihre Nase im Weinglas abtaucht und sie danach die Flüssigkeit ihren Rachen hinunterrauschen lassen. Für andere ist es eine neue, überzeugende Geschmackswelt, die auf ihren Zungen explodiert.

 

»Der Wein ist lebendig und da ist eine Energie drin. Das mag esoterisch klingen, aber man merkt, dass man eine Flüssigkeit im Mund hat, die alive ist«, erzählt Max Crichton.

Mit zwei Freunden bildet er das Team bei »Forever Thirsty«. Er kümmert sich hauptsächlich um den Shop. Naturwein mit konventionellem Wein zu vergleichen – das wäre, so Crichton, wie einen naturtrüben Bio-Apfelsaft mit dem industriell hergestellten Pendant aus dem Tetra Pak gegenüberzustellen.

Sein Beispiel mag zumindest beim Look zutreffen. Denn die akkurat aufgereihten Flaschen hinter Crichton überzeugen mit durch-designten Etiketten, die man bei konventionellen Weinen oft schmerzlich vermisst. Er und seine Kollegen importieren vor allem aus Italien und Frankreich, wie er sagt. Ein großes Angebot an österreichischen und deutschen Naturweinen gebe es schon bei anderen Münchner Kollegen – etwa im »Zero Dosage« oder bei »Wir 2 lieben Wein«.

Bunt, modern und ziemlich hip

Als Pionier der Naturwein-Bewegung gilt übrigens der Franzose Jules Chauvet. Der Winzer habe in den 70er-Jahren in der Region Beaujolais als einer der ersten damit experimentiert, Wein möglichst natürlich herzustellen – entgegen den industriellen Möglichkeiten. Spätestens seitdem das Spitzenrestaurant »Noma« in Kopenhagen Naturweine zu ihrem preisgekrönten Menü ausgeschenkt hat, ist der Hype auch im Mainstream angekommen.

Crichton sitzt auf einem der neon-orangenen Höckerchen in seinem Münchner Laden, Hip-Hop-Sounds wummern durch den Raum und immer wieder spazieren junge Menschen herein, die Beanies oder Caps auf ihren Köpfen tragen. Dass die wöchentlich wechselnde Weinkarte hier nach »Funkyness« aufgeteilt ist, wundert dann auch niemanden mehr. »Süffig« soll ein Wein sein und »Spaß machen«, sagt Crichton über sein Sortiment.

Wenn man sich die Naturwein-Szene in einem Bild vorstellen soll, passt »Forever Thirsty« wohl perfekt hinein: bunt, modern und ziemlich hip. Das Ziel der Bewegung ist aber ein ganz allgemeines: Winzer hinterfragen die industrielle Weinproduktion und kehren zu alten Herstellungsmethoden zurück. So wie sich einige Menschen von Fast Fashion abwenden und ihre Jeans lieber von einem nachhaltigen Label kaufen, so verhält es sich jetzt auch mit dem Wein. Wer in diese ungezügelte und neue Geschmackswelt der natürlichen Weine eintauchen will, findet mittlerweile auch in München ein breites Angebot.


NICHTS MEHR VERPASSEN!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Melanie Strobl
Autor
Mehr zum Thema