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Keramik-Designerin Stefanie Hering: »Mein Geschirr ist nicht auf einen Gebrauch festgelegt«

Spitzenrestaurants und Luxushotels weltweit setzen auf das fein gearbeitete Porzellan von Stefanie Hering. Im Interview verrät die gefragte Berliner Keramik-Designerin, wie ein Teller Essen perfekt in Szene setzt und welche Elemente auf einem Tisch nicht fehlen sollten.

Falstaff: Frau Hering, was macht für Sie einen perfekt gedeckten Tisch aus?

 Stefanie Hering: Er signalisiert Wertschätzung, Achtsamkeit und Respekt vor Ressourcen. Ein stilvolles Tischarrangement berücksichtigt außerdem den Mehrklang von Porzellan, Glas, Besteck, Dekoration und Tischwäsche und widmet allem dieselbe Aufmerksamkeit. Ich persönlich bin Anhängerin von ausgefallenen Tischobjekten, wie man sie schon im Barock kannte. Die sorgen für Gesprächsstoff. Vor einiger Zeit habe ich mich mit dem Thema befasst: Grundlage dafür waren historische Entwürfe aus den Archiven der Schwarzburger Werkstätten in Thüringen. Ich habe diese Objekte so designt, dass sie als skulpturales Element einen zentralen Platz auf dem Tisch einnehmen und gleichzeitig als Plateaus zum Servieren dienen. Architektur auf dem Tisch zu schaffen, ist ein weiter Tipp von mir: Teller, Schalen, Kannen, Platten in unterschiedlichen Größen, Höhen, Formen, Oberflächen und Farben machen die Präsentation der Speisen spannend.

Für viele Menschen ist ein gutes Geschirrset etwas so Wertvolles, dass sie sich nur einmal im Leben eines anschaffen. Sie machen sich intensiv Gedanken über dessen Kauf und bunkern es danach die meiste Zeit im Schrank.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Mensch im Schnitt neun Monate braucht, bis er für sich ein passendes Geschirr findet. Ein Autokauf läuft schneller ab. Die Menschen, die Geschirr von Hering Berlin kaufen, haben aber keine Angst davor, es auch zu benutzen. Oftmals haben sie es zuvor schon in Restaurants im Einsatz erlebt. Meine Kollektionen sind – darauf bin ich stolz – auf allen Kontinenten in der Topgastronomie und -Hotellerie vertreten. Das ist das größte Kompliment für mich als Designerin.

Sie arbeiten vorzugsweise mit Biskuitporzellan. Das ist nicht gerade konventionell, oder?

Biskuit ist Porzellan in seiner ursprünglichsten Form: unglasiert, samtig, matt. Es fühlt sich an wie geschliffener Marmor. Bevor ich vor 30 Jahren damit begonnen hatte, wurde Biskuitporzellan von Manufakturen nur im dekorativen Bereich verwendet. Biskuitporzellan zu produzieren, erfordert einen sehr sauberen Ablauf in der Produktion und weitaus mehr Arbeitsschritte als klassisch vollglasiertes Porzellan. Zusammen mit der Porzellanmanufaktur Reichenbach, die all meine Entwürfe produziert, ist es uns jedoch gelungen, die Herstellung des Biskuitporzellans weiterzuentwickeln, um dieses im täglichen Einsatz auf die Tische der Welt zu bringen zu. Denn das Material hat einen klaren Vorteil: Saucen, Dressings und andere Flüssigkeiten können nicht eindringen. Harald Wohlfahrt wollte mal, dass ich meine Teller zum Beweis in Rotwein einlege. Ich sollte recht behalten: Das Porzellan blieb auch dabei strahlend weiß.

Was macht Hering Porzellan noch aus?

Glasur findet sich auf meinen Stücken nur da, wo ihr Einsatz es auch erfordert. Zum Beispiel an jener Stelle eines Tellers, an der man mit dem Löffel oder dem Messer entlang gleitet. Die Glasur vermeidet, dass dabei ein unschönes Geräusch entsteht.
Die Ränder dagegen lasse ich prinzipiell unglasiert. Das bietet den Vorteil, dass sie keinerlei Licht reflektieren und auf ihnen daher auch keine Glanzpunkte entstehen. Nichts lenkt vom Gericht in der Mitte des Tellers ab. Der Wechsel aus Matt und Glanz, auch an den Außenseiten der Gefäße, ist vielleicht das, was mein Porzellan am stärksten ausmacht. Ich finde nämlich, dass erst dieser Kontrast deutlich macht, welch unglaublich schöne Oberfläche das reine Material an sich hat.

Ihre Arbeit als Designerin führt sie um die ganze Welt. Wo ist die Wertschätzung für hochwertiges Porzellan am größten?

Die Wertschätzung macht sich weniger an der Geografie fest, als vielmehr an individuellen Präferenzen. Zweifelsohne gibt es viele Bewunderer in Asien – China, Korea, Japan – mit einer langen Tradition von Porzellan und Keramik und einem Sinn für die Kunst der Einfachheit. Wenn Sie mich nach meinen Erfahrungen mit anderen Kulturen fragen, fasziniert mich aber eine Sache noch viel mehr.

Und zwar?

Welch unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten Porzellan von Land zu Land bietet.  Auch meine Stücke sind nicht auf einen Gebrauch festgelegt, sie lassen unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten zu und fordern die Kreativität der Benutzenden je nach Nationalität unterschiedlich heraus. Ich habe zum Beispiel eine Espressotasse ohne Henkel und eine Sauciere gestaltet. Europäer benutzen beides dem eigentlichen Zweck gemäß. Die Taiwanesen dagegen setzten beides zusammen ein und trinken ihre feinsten Tees daraus. Die Teeblätter bleiben in der Schnaupe der Sauciere hängen, das funktioniert so einwandfrei als hätte ich sie genau für diesen Zweck entwickelt. Ich verwende die beiden Teile selbst mittlerweile so.

 

Sie arbeiten mit über 600 gastronomischen Spitzenbetrieben auf der ganzen Welt zusammen. Darunter César Ramirez’ »Chef’s Table at Brooklyn Fare« in New York, Mauro Colagrecos »Mirazur« in Menton, Gordon Ramsays »Restaurant Gordon Ramsay« in London sowie »Victor’s Fine Dining« von Christian Bau in Perl. Welche Bedeutung hat diese Zusammenarbeit für Sie?

Es sind Kollaborationen zwischen Künstlern auf Augenhöhe. Alle Köche, mit denen ich arbeite, gestehen Hering Porzellan eine herausragende Rolle bei Tisch zu – und spielen damit. So kommt es auch vor, dass sich Köche bei mir melden, wenn Ihnen eine ganz neue, richtungsweisende kulinarische Kreation vorschwebt, und es noch kein passendes Gefäß dafür gibt, oder sie etwas ganz Persönliches für ihr Restaurant wollen. Dann kreieren wir im Austausch etwas Neues. Für Tom Sellers, einen sehr gefeierten Londoner Zwei-Sterne-Koch, gestaltete ich kürzlich ein vierteiliges Tellerset mit augenfälligem Korbmuster eigens für den Frühstücksservice seines zum neuen Luxushotel 1 Hotel Mayfair gehörenden Lokals »Dovetale«. Das Porzellan sollte eine Ehrerbietung an Sellers großes Idol Marco Pierre White werden, der 1994 mit nur 33 Jahren der erste Drei-Sterne-Koch im Vereinigten Königreich wurde. White soll in den 1980ern in seinem Restaurant »Harvey‘s« ebenfalls ein Geschirr mit Korbmuster verwendet haben. Für Sellers entwickelte ich ein Korbmuster mittels eines Negativerfahrens, bei dem nur der Schattenwurf eines Korbes übertragen wurde, sodass die freibleibenden Porzellanflächen die Korbstruktur wiedergeben. Eine Art Anti-Dekor, die für mich das unangepasste und rebellisches Wesen Tom Sellers symbolisiert.

Stefanie Hering, Jahrgang 1967, ist Keramikmeisterin und Gestalterin. Als Gründerin und Kreativdirektorin von Hering Berlin hat sich Stefanie einen Ruf für ihre anspruchsvolle Arbeit erworben, die raffiniert, schön und funktional zugleich ist. Bekannt für klare Linien, minimalistische Ästhetik und Detailreichtum, wird jedes Objekt aus erlesenen Materialien handgefertigt, um stets außergewöhnliche Qualität zu gewährleisten.


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Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
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