Sven Wassmer: «Wer unverwechselbares kreieren möchte, muss zunächst geduldig und sorgfältig sein.»

Sven Wassmer: «Wer unverwechselbares kreieren möchte, muss zunächst geduldig und sorgfältig sein.»
© Claus Brechenmacher

Neue Geschmackswelten: Sven Wassmer und Heiko Nieder

Aussergewöhnlich gut ist ihnen nicht genug. Wie die Spitzenköche Sven Wassmer und Heiko Nieder sich selbst herausfordern.

Kein Gericht steht so sehr für Sven Wassmers innovative Alpenküche wie der sanft gegarte Saibling aus dem Val Lumnezia mit gebranntem Rahm und Tanne. Auf ganz harmonische Weise bietet der Signature-Dish den Gästen des Restaurants «Memories» im «Grand Resort Bad Ragaz» ein einzigartiges Geschmackserlebnis. Das Wohlgefühl, für das gewöhnlich der Duft von frischen Tannenzweigen im Wald sorgt, entsteht beim Essen in noch intensiverer Form. Das Tannenaroma ist präsent und prägend, ohne jedoch auch nur im Geringsten penetrant zu wirken. «Bei ungewöhnlichen Zutaten kommt es noch mehr als sonst auf die Dosierung an», sagt Wassmer. «Wer Unverwechselbares kreieren möchte, muss zunächst einmal geduldig und sorgfältig sein.»

Der Saibling mit Rahm und Tanne begleitet Wassmer schon seit vielen Jahren, er entstand noch an seiner vorherigen Station, dem Restaurant «7132 Silver» in Vals. Seit der 34-jährige Fricktaler in Bad Ragaz arbeitet, hat er aber noch mehr Möglichkeiten, seine Kreativität auszuleben. Ehe das «Memories» vorletzten Sommer seine Tore öffnete, durfte er zusammen mit einem Kernteam um Souschef Benedikt Gerster und Patissier Andy Vorbusch rund ein Jahr in einer Testküche im benachbarten Golfclub nach Herzenslust tüfteln.

Würzsauce aus Kaffeesatz

Vieles, was heute die «Memories»-Küche ausmacht, wurzelt in dieser Zeit. ­So etwa das Selbstverständnis, wichtige Bausteine wie Würzsaucen oder Essige selbst herzustellen. Statt Sojasauce verwendet Wassmer ein Eigenprodukt aus mit Koji-Pilzen angesetztem Kaffeesatz, statt Fischsauce eine alpine Spielart des altrömischen Garum. Für sein Garum salzt er die Innereien von Saiblingen grosszügig, impft sie mit Koji-Pilzen und lässt sie bei 60 Grad drei Monate reifen. «Wir haben einen prägnanten Umami-Geschmack geschaffen und dem Fisch gleichzeitig noch mehr Respekt erwiesen», resümiert der Culinary Director des «Grand Resort».

Aus Kirschkernen wird Glace

Der Nachhaltigkeitsgedanke ist im «Memories» auch sonst ein wichtiger Treiber der Innovation. «Als wir im Sommer wunderbare Kirschen geliefert bekamen, fragte ich mich, ob wir nicht auch aus den Steinen etwas Spannendes machen und so den Kreis schliessen könnten», erinnert sich Sven Wassmer. Heraus kam eine Glace aus gerösteten und gemälzten Kirschsteinen, die nun zusammen mit vergorenen Kirschen ein Dessert ganz nach Wassmers Geschmack bildet. «Mich fasziniert, welche wunderbaren schokoladig-malzigen Aromen die in der traditionellen Küche bedeutungslosen Kirschkerne enthalten», erklärt der alpine Avantgardist.

Arve trifft auf Poulet

Ebenso einzigartig wie die süsse Kreation mit der Kirschkernglace oder der Saibling mit gebranntem Rahm und Tanne ist Wassmers kulinarische Annäherung an einen weiteren Nadelbaum: die Arve. «Weil sie in den Alpen als Königin der Bäume gilt, lag es für mich nahe, sie wie die Tanne in ein Gericht einzubinden. Nach einigem Überlegen habe ich mich für die fein geschnittenen Nadeln entschieden. Ihre ätherischen Öle vereinigen sich mit einem über drei Tage eingekochten Jus aus gerösteten Pouletflügeli und im Ofen gebackener Knollensellerie», schildert er. Dass der eine oder andere Gast über die spezielle Aromatik stolpern könnte, stört ihn nicht wirklich. Im Gegenteil. «Ich bin regelrecht verliebt in das Gericht. Es fordert die Leute, bleibt ihnen letztlich aber eigentlich stets positiv in Erinnerung.»

Immer wieder taucht im «Memories» ­Fermentiertes auf. Und sehr oft bildet in ­diesen Fällen Kombucha die Basis. Je länger der Kombucha-Pilz arbeitet, desto saurer wird die Flüssigkeit, in der er sich befindet. Zum Schluss der zweiten Fermentation entspricht der Säuregehalt in etwa dem von Essig. «Die Säure ist aber viel weniger spitz und das Aroma bedeutend komplexer», betont Andy Vorbusch, der im «Memories» als Patissier für das Finale zuständig ist. Natürlich kann man die zweite Fermentation aber auch schon früher stoppen – und etwa mit Brombeeren und gedörrten Pflaumen ein kohlensäurehaltiges Getränk erzeugen, dessen Geschmack frappant an Balsamico erinnert.

Lakritze und Banane

Heiko Nieder, Spiritus Rector des Fine-Dining-Lokals «The Restaurant» im Zürcher «The Dolder Grand», verleiht seinen Gerichten gerne durch die Kombination von scheinbar Gegensätzlichem eine ganz eigene Handschrift. Auf dem jüngsten Menü stechen unter anderem die Jakobsmuschel mit Oscietra-Kaviar, Pastinake, Pata-Negra-Schinken und Banane oder Lachs mit Kopfsalat, Kokosnuss und Lakritze ins Auge. «Erst kommt das Produkt, dann die Kombination, dann irgendwann die Technik und schliesslich die Dosierung», erklärt Nieder seine Arbeitsweise. Besonderes Augenmerk legt auch er auf die Dosierung. «Wenn ich die verhaue, verhaue ich das ganze Gericht», so der 48-jährige Deutsche.

Es liegt auf der Hand, dass gerade die aromatisch sehr markante Lakritze nur dann funktioniert, wenn man sie präzise austariert. Dann aber vermittelt sie genau die Komplexität, die einen erinnerungswürdigen Gang von einem sehr guten abhebt, ergänzt mit ihrer geschmacklichen Tiefe das Puzzle aus sanftem Fisch, erfrischendem Kopfsalat-Öl, dezent süssem Kokossud, Kokoswasser-Gel und süsssauren Passionsfruchtperlen auf ebenso überraschende wie harmonische Art. Aus Mini-Bananen, die Hobbyköche in der herzhaften Küche höchstens einmal für den Mövenpick-Klassiker Riz Casimir verwenden, stellt Heiko Nieder eine Creme her und ergänzt deren dezente Süsse mit der feinen Säure von selbst gemachtem Su­shi-Essig. Hinzu kommen klein geschnittene getrocknete Bananen mit karamelligen Aromen. «Dieser Bananen-Mix unterstützt die anderen Komponenten auf dem Teller, wirkt aber nicht zu dominant», erklärt der Küchenchef des «The Restaurant»

Die Gäste mit neuen Produkten statt besonderen Kombinationen zu überraschen, werde zunehmend schwieriger. «Wer häufig reist, sieht und isst entsprechend viel», sagt Nieder. Umso mehr habe es ihn gereizt, den hierzulande kaum bekannten Saft der Kakaofrucht zu nutzen. «Der Saft schmeckt durchaus nicht schokoladig, sondern erinnert an Litschis. Ich fand, dass er gut zu Krustentieren passt.» Tatsächlich entstand zusammen mit Kaisergranat, rotem Curry, Kokosnuss und Dill eine Kreation mit pointierter Schärfe, gleichzeitig filigran und kraftvoll, lieblich-fruchtig, aber nie einfach nur vordergründig süss.

Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2020

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Alexander Kühn
Autor
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