Auf den Apfel kommt’s an: Vor allem alte Apfelsorten wie Gelbmöstler, Sauergrauech oder Bohnapfel eignen sich für die Cidreproduktion.

Auf den Apfel kommt’s an: Vor allem alte Apfelsorten wie Gelbmöstler, Sauergrauech oder Bohnapfel eignen sich für die Cidreproduktion.
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Schweizer Cidre: Mehr als Most

Lange Zeit fristeten alkoholische Getränke aus Apfel und Birne hierzulande ein Schattendasein. Als Cidre erobern sie nun die Gaumen der Schweizer Geniesser.

Alles begann mit einem Biologen aus dem Kanton Freiburg namens Jacques Perritaz. Vor rund zwanzig Jahren startete Perritaz seine ersten Versuche, hochwertigen Apfelwein zu produzieren. Genau so, wie man ihn seit langer Zeit aus der französischen Bretagne kennt. Damals waren es rund 200 Flaschen, ein winziger Anteil dessen, was Perritaz heute auf die Flasche bringt. Von den rund 15'000 produzierten Flaschen gehen heute rund drei Viertel ins Ausland. In dreissig verschiedene Länder. Perritaz, der Urvater und Altstar der Schweizer Cidreszene, war lange alleine auf weiter Flur.

Doch heute gibt es hierzulande immer mehr kleinere, auf Qualität bedachte Akteure. Interessanterweise finden sich darunter mittlerweile auch gestandene Schweizer Winzer. Tom Litwan aus dem Aargau beispielsweise, bekannt für seine terroirgetriebenen, filigranen Tropfen aus der Sorte Pinot Noir. Litwan brachte im Jahr 2016 seinen ersten Obstschaumwein auf die Flasche. Aus Quitten zauberte er mittels Méthode traditionelle einen Prickler, der schnell Fans fand. «Es reizte mich, etwas hochwertiges, trinkbares aus den Früchten meiner Quittenbäume zu machen. Ausserdem faszinierte mich die mythologische Bedeutung der Frucht, denn sie steht für Liebe, Glück, Fruchtbarkeit und vieles mehr», erzählt er uns. Mittlerweile produziert Litwan auch Obstschaumweine aus Weichseln sowie Äpfeln und Birnen und ist nach eigener Aussage davon begeistert, dass sie so unkompliziert sind und er damit eine ganz neue Zielgruppe ansprechen kann. «Aromatisch gesehen sind Äpfel meiner Ansicht nach der Traube unterlegen. Die Rebe wurzelt tiefer als Obstbäume und kann so ihr Terroir transportieren. Cidre lebt von seinem geringen Alkoholgehalt und der Unkompliziertheit», sagt Litwan.

Mosterei Oswald+Ruch

Genau diese Unkompliziertheit begeistert auch Markus Ruch. Ein weiterer Schweizer Spitzenwinzer, der sich dem Cidre verschrieben hat. Ruch gründete 2019 gemeinsam mit Beni Oswald die Mosterei Oswald+Ruch. Zuvor begannen sie, vernachlässigte Apfel- und Birnbäume im schaffhausischen Klettgau auszumachen. Mit den Bauern handelten sie Verträge aus, um die ungenutzten Früchte ernten zu können und daraus Cidre zu produzieren. Die ersten 7000 Flaschen waren schnell verkauft, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in London oder Deutschland beispielsweise. «Das alles erinnert mich an die Boomzeiten, die Schweizer Winzer in den 80er- und 90er-Jahren erlebten», berichtet Ruch.

Seinem Empfinden nach lassen sich die Konsumenten von seinen Cidre wirklich mitreissen und haben nicht schon ein vorgefertigtes Bild im Kopf – wie bei seinen Weinen. Das ist seiner Ansicht nach erfrischend anders, und man spürt im Gespräch förmlich die Freude, die er daran hat. Ein weiterer wichtiger Aspekt für Ruch: der Pflanzenschutz. «Im Gegensatz zur Weintraube scheinen Apfel und Birne deutlich robuster und besser an unsere Gegebenheiten angepasst zu sein», berichtet Ruch. Er müsse schlichtweg nichts spritzen. Da lässt sich schnell die provokante Hypothese aufstellen, dass Äpfel und Birnen die richtigen Früchte zum Weinmachen hierzulande sind und nicht etwa die von den Römern importierte Weinrebe.

Lasst es einfach

Auch bei Siider, einem Gemeinschaftsprojekt der beiden Brüder Cyrill und Ivan Hossli aus dem Fricktal, wird gänzlich auf Pflanzenschutz verzichtet. Natürlich braucht es hierfür die richtigen Sorten. Alte Sorten wie den Bohnapfel beispielsweise. Bis auf ein wenig Kompost zur Wachstumsförderung wird nichts ausgebracht. Im Jahr 2013 begannen sie mit kleinen Mengen Cidre, die sie aus den Äpfeln ihres Grossvaters kelterten. Der musste damals aus gesundheitlichen Gründen kürzertreten. Heute bewirtschaften sie knapp eine Hektare selbst, den Rest beziehen sie – wie Oswald+Ruch – von Apfelbauern, die ihre Früchte loswerden möchten. «In diesem Jahr ist die Ernte wegen des Frosts leider deutlich geringer ausgefallen als im letzten Jahr. Wir wollten eigentlich noch etwas zulegen, weil wir durchaus mehr Cidre verkaufen könnten, aber das ist nun nicht möglich», erzählt Ivan Hossli. Auch wenn sie die Äpfel selbst bei den Bauern auflesen müssen, zahlen sie etwas, berichtet er, da geht es ihm um die Wertschätzung der Frucht, denn die sei lange nicht mehr vorhanden gewesen.

Auch Bruno Bucher von der Cidrerie Heftig in Bern wurde vom herumliegenden herrenlosen Obst inspiriert. Der gelernte Koch und Jäger begann ausserdem vor Jahren, sich für Sauerteig und die damit verbundene Fermentation zu interessieren. Irgendwann war es für ihn dann nur noch logische Konsequenz, Cidre zu produzieren. Auch Heftig ist ausverkauft. «Saurer Most war früher günstiger als Bier. Und genau das war auch zu Beginn mein Ziel: ein unkompliziertes, erschwingliches Produkt zu machen, das man einfach trinken kann, ohne darüber reden zu müssen», erzählt Bucher. Natürlich lässt sich auch über dieses Getränk philosophieren. Über Apfelsorten, Macharten, Terroir und so weiter. Es stellt sich lediglich die Frage, ob man es denn muss. Denn Cidre begeistert vor allem durch seine Unkompliziertheit, da sind sich die Produzenten einig. Derartige von der klassischen Weinkultur aufgeladene Gedanken machen die Sache nur wieder unnötig kompliziert.


Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2020

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