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»Pink Lady«: Der Apfel der Zukunft?

Die Apfelsorte »Pink Lady« ist eine Erfolgsgeschichte. Seit 25 Jahren sind die Bekanntheit und die Beliebtheit der Frucht ungebrochen. Aber wie sinnvoll ist es, einen Apfel in ein Produktionsland zu importieren?

Einer seiner Hunde kommt aufgeregt angelaufen und legt sich vor Christoph Weiß. In seinem Maul trägt er einen Apfel, den er genüsslich zu essen beginnt. Der Apfel ist eine »Pink Lady«. Weiß ist Apfelbauer, er steht mitten zwischen seinen Bäumen etwas außerhalb von Montpellier in Frankreich. Es ist November. Ein bisschen erstaunlich ist es deshalb schon, dass die Äpfel noch die Äste runterziehen, statt schon auf dem Weg in Richtung Endverbraucher zu sein. Aber das ist nur eine der vielen Eigenheiten der Sorte »Pink Lady«: Sie blüht schon im März, früher als alle übrigen Apfelsorten. Die Ernte ist aber erst im November, später als bei den anderen.

Christoph Weiß ist ein Mann, dessen Gesicht von einem Leben erzählt, das vielleicht nicht immer einfach war, ihm aber genug Grund zum Lachen gegeben hat. Um seine Augen fächern sich die Lachfalten auf, auch wenn er im Laufe des Gesprächs wenig lacht. Das liegt daran, dass man Wetter heute nicht nur Klima nennt, sondern auch daran, dass das K-Wort ihn dazu zwingt, ständig auf der Hut zu sein. Ohne gute Planung könnte er hier schnell alles verlieren. Er führt ein Leben, das von vielen Faktoren abhängt, auf die er als Bauer nicht den geringsten Einfluss hat.

»Christoph, wir müssen ›Pink Lady‹ pflanzen – das ist der Apfel der Zukunft«

Seit 25 Jahren ist Weiß schon in Südfrankreich. Auf 40 Hektar züchtet er »Pink Lady«, auf acht Hektar die Sorte »Gala« und auf zwölf »Granny Smith«. Bevor das Leben ihn aus den Bergen ans Meer getrieben hat, war er Pächter eines Betriebs in der Schweiz. Da war eigentlich alles super. Ein paar Tiere, Äcker mit allem, was so wächst, und ein eigener Hofladen. Aber dann habe sich die Tochter des Verpächters ausgerechnet in einen Bauern verliebt. »Das ist die einzige Art, auf die man jemanden aus dem Pachtvertrag bekommt«, sagt er. Seine Frau habe dann eine Annonce gefunden, in der ihr jetziger Betrieb ausgeschrieben war. Äpfel habe er damals nur angebaut, um sie im Hofladen anzubieten.

Das änderte sich dann schlagartig. 1998 sagte Weiß’ Frau zu ihm: »Christoph, wir müssen ›Pink Lady‹ pflanzen – das ist der Apfel der Zukunft.« Aber wie kommt man darauf, eine solche Prophetie auszusprechen?

Alles begann in Australien

Die Geschichte der Apfelsorte begann 1973 in Australien. Da kreuzte John Cripps vom staatseigenen Forschungsinstitut Western Australian Department
of Agriculture zum ersten Mal verschiedene Apfelsorten. Bis eine Kreuzung mit allen gewünschten Eigenschaften entsteht, können Dekaden ins Land ziehen. Doch in den 90ern war es geschafft: »Pink Lady«, ein Apfel, der alles verändern sollte.

Marketing sells: Mit auffälliger Verpackung, eingängigem Namen und eigener Social-Media-Kampagne werden Clubsorten wie »Pink Lady« gezielt beworben.
Marketing sells: Mit auffälliger Verpackung, eingängigem Namen und eigener Social-Media-Kampagne werden Clubsorten wie »Pink Lady« gezielt beworben.

»1997: Begeisterte Baumzüchter schließen sich im Verband Pink Lady Europe zusammen, der dem Netzwerk Struktur gibt«, heißt es auf der Website der Gemeinschaft. Das klingt gut, bis man über die Frage stolpert, wozu ein Apfel einen Verband braucht. Das gab es vor »Pink Lady« nicht. Der Hintergrund: Weil Bauern immer stärker darunter litten, dass ihre Produkte zu Billigpreisen verramscht wurden, sollte über ein gemeinsames Netzwerk eine Sicherheit geschaffen werden. Um den Apfel anzubauen, muss jeder interessierte Bauer eine Lizenz kaufen. Mit der Lizenz verpflichtet sich der Bauer, sich den Regeln des Verbands unterzuordnen. Die betreffen einerseits Anbautechniken und technische Neuerungen, andererseits auch die Vermarktung. Christoph Weiß darf seine »Pink Lady«-Äpfel nicht im eigenen Hofladen verkaufen. Den Verkauf regelt der Verband.

Weiß geht an einer Reihe Bäume entlang und pflückt sich einen Apfel. Sein Lebenswerk braucht viel Schutz. Vor allem gegen Hagel. »Früher gab es hier in der Region nie Hagelstürme«, sagt er. Jetzt habe er tief in die Tasche greifen müssen, um über jedem Hektar seines Betriebs Netze aufzuspannen. Überhaupt sei der Klimawandel für ihn eine kostspielige Sache: Pro Monat habe er Mehrkosten im oberen vierstelligen Bereich, um Ertrag zu erzielen – trotz Wetter.

Forschung rund um die Apfelernte

Die vergangene Ernte sei eine Katastrophe gewesen, sagt Weiß. Es sei nicht nur zu heiß gewesen, sondern im Frühjahr zu kalt. Wenn es nämlich nach der Blüte nochmals zu Bodenfrost kommt, dann beschädigen die niedrigen Temperaturen das junge Fruchtgewebe. Wenn der Apfel dann im Laufe des Jahres weiterwächst, zerreißt das Wachstum die kaputten Zellen und spaltet so die Frucht. Weiß blinzelt in die Sonne. »Drei von solchen Ernten und ich kann hier dichtmachen«, sagt er.

Pinke Ernte: Seit 25 Jahren lebt Christoph Weiß in Südfrankreich. Auf 40 Hektar züchtet er die Apfelsorte »Pink Lady«.
Pinke Ernte: Seit 25 Jahren lebt Christoph Weiß in Südfrankreich. Auf 40 Hektar züchtet er die Apfelsorte »Pink Lady«.

Gegen das Wetter kann man wenig machen. Ist es heiß, leiden die Bäume, ist es kalt, frieren die Früchte. Aber gegen fast alles Übrige finden sich Mittel und Wege. Genau für das, für die technischen Neuerungen und die Forschung rund um die Apfelernte, ist »Pink Lady« da. Eine knappe Autostunde von Christoph Weiß’ Plantage liegt das Forschungszentrum des Verbands, das »Pink Lab«. Auf einigen Hektar erforschen Wissenschaftler die perfekten Bedingungen für die Apfelzucht. Wie reagieren die Bäume etwa, wenn man sie in verschiedenen Winkeln wachsen lässt? Welche landschaftliche Beschaffenheit unterstützt den Boden, aus dem die Früchte all ihre Nährstoffe ziehen? Und wie geht man mit Schädlingen um?

Nachhaltig in die Zukunft

Die Ergebnisse dieser Forschungen sind für Bauern wie Christoph Weiß essenziell. Im Alltag fehlt die Zeit für Studien, für Weiterbildung und Wissenschaft. Einer der Wissenschaftler des »Pink Lady«-Forschungszentrums habe ihm eine Software so eingestellt, dass sie die Gefahr einer Pilzausbreitung nach Niederschlag genau berechnen kann. »Wenn es geregnet hat, schaue ich in den Computer«, sagt Weiß. »Dann weiß ich, ob ich Fungizide spritzen muss oder das Gift nicht brauche.« Früher habe er prophylaktisch gesprüht, das sei heute nicht mehr nötig.

»Ohne diesen Apfel wären wir nicht mehr hier«

In dem Forschungszentrum geht es auch darum, Wege zu ermitteln, auf denen der Apfel nachhaltig in die Zukunft kommt. »Bee Pink« ist beispielsweise ein Projekt, das aus diesen Überlegungen gewachsen ist. Denn klar ist: Ohne Bienen gibt es auch keinen Apfel, denn irgendjemand muss schließlich für die Bestäubung sorgen. Deshalb vernetzen sich in diesem Programm Imker mit Landwirten, um gemeinsam dafür zu sorgen, dass sich Bienen auf »Pink Lady«-Plantagen wohl fühlen. In einem anderen Projekt verpflichtet sich der Verband zum Schutz der Artenvielfalt, indem er gemeinsame Sache mit dem französischen Vogelschutzbund macht: Vögel können im Apfelgarten durchaus von Wert sein, wenn sie etwa Schädlinge von den Bäumen picken. Im Projekt geht es darum, gemeinsam herauszufinden, wie die Bedingungen für ein zukunftsfähiges Zusammenleben geschaffen werden können.

Von all diesen Innovationen, an denen an sich wirklich nichts Schlechtes zu finden ist, profitiert Christoph Weiß direkt. »Ohne diesen Apfel wären wir nicht mehr hier«, sagt er. Vor allem, weil alles so gut organisiert sei. »Ich habe keine Überproduktion, muss keine Äpfel, die ich hier über eine Saison gezüchtet habe, wegschmeißen.«

Superapfel: Eine Frucht, die jeder haben will, aber nicht jeder anbauen darf – so sieht laut Agrar­experten der Obsthandel 
der Zukunft aus.
Superapfel: Eine Frucht, die jeder haben will, aber nicht jeder anbauen darf – so sieht laut Agrar­experten der Obsthandel der Zukunft aus.

»Pink Lady« wächst in Spanien, Frankreich und Italien. Aus Frankreich und Italien kommt er nach Deutschland. Die Frage ist nur: Warum sollte Deutschland, ein Land, dessen Bevölkerung nicht nur Äpfel liebt, sondern dessen Bauern selbst Äpfel anbauen, warum sollte also dieses Land zusätzlich Äpfel importieren. Thierry Mellenotte, der Geschäftsführer von Pink Lady Europe, sagt: »Der Bedarf der Deutschen ist größer als die Menge, die sie produzieren.« Und das stimmt. Nur leiden gerade die Bauern darunter, die in Deutschland heimische Äpfel anbauen und verkaufen. Die haben einen Wettbewerbsnachteil, weil sie weder über die wissenschaftliche Infrastruktur noch über den durchorganisierten Vertrieb von »Pink Lady« verfügen.

Wo es sich gut anhört, dass mit »Pink Lady« ein nachhaltiger und somit zukunftsfähiger Apfel in deutschen Küchen landet, bleibt die Frage, ob die Logik des Marktes, in dem die bessere Organisation das aussticht, was möglicherweise besser für die Erde ist, nämlich Vielfalt im Anbau und kurze Transportwege, ob diese Logik auch jede andere Logik übertrumpfen muss. Zum Beispiel die, die mahnt, dass ein Diktat des ungebremsten Wachstums dem Fakt der begrenzten Ressourcen zuwiderläuft.

Christoph Weiß jedenfalls freut sich: »Dieses Jahr ist alles anders als im vergangenen: 95 Prozent meiner Äpfel sind erstklassig.«


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Moritz Hackl
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