Spitzenkoch Alexander Dressel durfte Marina Melegari über die Schulter schauen.

Spitzenkoch Alexander Dressel durfte Marina Melegari über die Schulter schauen.
© Alice Pavesi Fiori

Viva Italia: «Cucina alla Mamma»

Nirgendwo sonst in der Welt hat die Mamma in der Küche einen höheren Stellenwert als in Italien. Falstaff besuchte einige Köchinnen, um ihnen die letzten Geheimnisse im Umgang mit Pasta, Parmesan und Parmaschinken zu entlocken.

Die Küche von Rina Pellegrini gleicht einem Mikrokosmos, in dem Küchengeräte und Souvenirs ihr Leben ebenso widerspiegeln wie die kulinarische Geschichte der Region um Parma. Die sorgsam aufgereihten Kühlschrankmagneten erinnern an Ferien in den schönsten Regionen Italiens und in den Metropolen der Welt. An der Wand hängen blank polierte, kupferne Backformen, und in den Regalen stehen rare Trouvaillen an Küchenutensilien mehrerer Generationen. Eine klobige Parmesanreibe mit Altertumswert erfüllt ihren Zweck als stimmiges Foto-Accessoire, während der Parmesan für ihr Lieblingsrezept schon längst mit einer elektrischen Reibe aus den 70ern gerieben wurde. Rina Pellegrini ist stolze «Rezdora» und in dieser Eigenschaft Bewahrerin des kulinarischen Erbes ihrer Region. Es spricht wohl
für die ganz spezielle Tradition der fürsorg-lichen italienischen Mammas, dass es kein deutschsprachiges Ambivalent für «Rezdora» gibt; am ehesten lässt es sich noch mit «Hausfrau, die leidenschaftlich gerne
kocht» umschreiben.

Frisch geriebener Parmesan darf bei fast keinem Gericht fehlen.
© Alive Pavesi Fiori
Frisch geriebener Parmesan darf bei fast keinem Gericht fehlen.

Pellegrini hat ein einfaches und traditionelles Rezept vorbereitet, das mit Zutaten aus der nächsten Umgebung – hauptsächlich aus dem eigenen Garten – auskommt: Crostini
di Zuppa mit Kräutern, Gemüse, Erbsen, Bohnen, Kartoffeln, Brot und natürlich Parmesan. Während sie die Zutaten Schicht für Schicht in eine Auflaufform gibt, erzählt sie von ihrem Leben, das nicht immer einfach war. Mit ihrem Mann betrieb sie früher ein Alimentari mit Trattoria. Sie hatten eröffnet, als ihr Sohn zwei Monate alt war – sechs Monate später war sie wieder schwanger. Rina Pellegrini hat sich durchgekämpft und geniesst nun ihre wohlverdiente Pension in Calestano, einem verschlafenen Örtchen am Nordhang des Apennins. Die Wälder sind reich an Steinpilzen und Trüffeln, in der nördlich gelegenen, fruchtbaren Ebene liegen die Weiden für die Rinder, und es wird Getreide angebaut. Die wichtigsten Produkte der Region sind der saftige Parmaschinken, eine grob gekutterte Salami und der würzige Parmigiano Reggiano, der in kaum einem Gericht fehlen darf. 

Die ganze Familie kehrt heim

Kinder und Enkel der Rezdore arbeiten und studieren meist in den grossen Städten von Mailand über Bologna bis Rom.an Aber an den Feiertagen und in der heissen Jahreszeit versammeln sich stets die ganzen Familien den reich gedeckten Tischen in den alten Steinhäusern von Calestano. «Meine Enkel sagen immer, sie kommen im Sommer so gern nach Hause, weil es hier kühler und angenehmer ist. Aber ich weiss genau, dass sie wegen des guten Essens kommen und weil sie hier nach Strich und Faden verwöhnt werden», erzählt Maria Elisa Piroli augenzwinkernd. Auf der schmalen und gewundenen Zufahrtsstrasse zu ihrem jahrhundertealten Haus hoch oben über Calestano haben wir gebetet, dass kein Auto entgegenkommen möge. Doch viel Verkehr gibt es hier glücklicherweise nicht – wenn man vom jährlich im Herbst stattfindenden Trüffelfest absieht, zu dem Geniesser aus aller Welt anreisen. 2016 war ob der vorherrschenden Trockenheit ein schlechtes Trüffeljahr, aber die Rezdore wissen sich immer zu helfen, wenn sie gross aufkochen wollen. Entweder sie durchstreifen mit ihren Hunden selbst die Wälder, oder sie kennen jemanden, der jemanden kennt ... 

Maria Elisa Piroli füllt die vorbereitete Masse in eine Auflaufform.
© Alice Pavesi Fiori
Maria Elisa Piroli füllt die vorbereitete Masse in eine Auflaufform.

In einem Bergdorf südlich von Calestano liegt das bezaubernde Häuschen von Lucia Gennari. «Wien! So eine wunderschöne Stadt!», schwärmt sie, als sie hört, dass wir von dort kommen. Sie empfängt uns mit einem typisch italienischen Aperitivo und macht sich sogleich ans Werk. Geübt wickelt sie eine würzige Fülle in Wirzblätter ein und erzählt gut gelaunt von ihren Wien-Besuchen. Zum Essen serviert sie einen trockenen Weisswein und als Digestif einen bitter-würzigen Nocino. 

Lucia Gennari kocht für uns gefüllte Wirzblätter.
© Alice Pavesi Fiori
Lucia Gennari kocht für uns gefüllte Wirzblätter.

Unsere Reise führt uns weiter in die heimeligen Küchen von Marina Melegari und Silvana Ghillani, die für uns Polpette und eine Pasta all’Amatriciana kochen. Zum Dessert serviert Ghillani noch eine wunderbare Nusstorte, mit der sie schon bei einem italien-weiten Kochwettbewerb gewonnen hat.
Am Ende der Reise angelangt, haben wir wunderbare Gerichte genossen, natürlich viel zu viel gegessen und können uns kaum noch rühren. «Nocino?», fragt uns Silvana Ghillani mit einem wissenden Lächeln und einer Flasche dieses herrlichen Likörs in der Hand. «Sì! Mille grazie!»

Silvana Ghillani ist in ihrer Küche nicht nur die Chefin, sondern auch Entertainerin.
© Alive Pavesi Fiori
Silvana Ghillani ist in ihrer Küche nicht nur die Chefin, sondern auch Entertainerin.

Aus Falstaff Nr. 01/2017.

Bernhard Degen
Autor
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Die Rezepte werden über Generationen weitergegeben.
Crostini di Zuppa
Die »italienische Mamma« verrät ihr Lieblingsgericht, das seit Generationen weitergegeben wurde.
Von Rina Pellegrini
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