Entlang der Tramlinie 4 finden sich einige der bekanntesten Museen Zürichs – und auch einige kulinarische Hotspots sind an ihren Geleisen zu finden.

Entlang der Tramlinie 4 finden sich einige der bekanntesten Museen Zürichs – und auch einige kulinarische Hotspots sind an ihren Geleisen zu finden.
© Andrea Ebener

Zürich: Tram für Kultur und Genuss

Die Tramlinie 4 ist die inoffizielle Kulturlinie Zürichs – sie verbindet einige der wichtigsten Kulturinstitutionen der Stadt. Aber auch Genussmenschen kommen entlang der Strecke voll auf ihre Kosten.

Genau 33 Minuten dauert die Fahrt mit der Tramlinie 4 vom Bahnhof Altstetten nach Tiefenbrunnen. 26 Haltestellen hat die Strecke, darunter gleich mehrere prominente. Der
«Vierer» hält etwa beim Schiffbau, am Limmatplatz, am Hauptbahnhof, dem Central und dem Bellevue und natürlich auch beim Opernhaus gleich danach, um dann den See entlang bis zur Stadtgrenze zu fahren. Über die Bahnhofstrasse und damit durch das Bankenquartier fährt die Tramlinie 4 nicht. Vielleicht macht genau das die Fahrt auf dieser Strecke so interessant.

Die Tramlinie 4 ist bunt – Insgesamt befinden sich über 20 Kultureinrichtungen an der Strecke. Das entspricht laut dem Zürcher Stadtrat rund einem Drittel aller Museen von Zürich. Mit dem Projekt «Museums­linie 4» will er diese Häufung in Zukunft noch besser sichtbar machen – bald schon sollen Bodenzeichen im öffentlichen Raum, Schilder und Plakate an den Haltestellen der Linie 4 sowie Hängekartons in allen Trams für Aufmerksamkeit sorgen. Die heute inoffizielle Kulturlinie 4 könnte also schon bald einen offiziellen Anstrich erhalten. Genusslinie wird der «Vierer» vermutlich so schnell nicht werden, denn die ganze Stadt Zürich strotzt vor interessanten kulinarischen Angeboten. Doch die Tramlinie 4 ermöglicht neben dem Besuch einiger der wichtigsten Kulturinstitutionen Zürichs auch, an einigen Food-Hotspots auszu­steigen und einzukehren.

In den Archiven im Toni-Areal sind alle vier Sammlungen des Museum für Gestaltung – Design, Grafik, Kunstgewerbe und Plakat – unter einem Dach vereint. Rund 500.000 Objekte sind es gesamthaft.
© Toni Areal ZDHK
In den Archiven im Toni-Areal sind alle vier Sammlungen des Museum für Gestaltung – Design, Grafik, Kunstgewerbe und Plakat – unter einem Dach vereint. Rund 500.000 Objekte sind es gesamthaft.

Der «Vierer» ruft

Am Bahnhof Altstetten beginnt unsere Fahrt, und schon bevor es richtig losgeht, lockt mit «Micas Garten» eine rund 3000 Quadratmeter grosse Stadtoase. 500 Sitzplätze bietet das Pop-up des legendären «Frau Gerolds Garten», mehrere Bars und Street-Food-Küchen sorgen für ein vielseitiges Angebot. Wir lassen dieses Highlight heute aber schnell hinter uns, schliesslich ruft der «Vierer». Nur wenige Minuten dauert die Fahrt zum Toni-Areal im -trendigen Quartier Zürich-West. In der einst grössten Joghurtfabrik Europas ist heute nicht nur der Campus der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) untergebracht, sondern auch ein Ausstellungsort des Museums für Gestaltung. Beeindruckendend ist etwa das Sammlungsarchiv. Das Herzstück bildet ein freistehendes Hochregallager über zwei Geschosse – besichtigt werden kann es nur mit vorab gebuchter Führung. Lohnenswert! In unmittelbarer Umgebung des Areals kommen auch genussaffine Menschen auf ihre Kosten. Mit der «Collective Bakery» befindet sich hier eine der trendigsten Neo-Bäckereien der Stadt mit erstklassigen -Sauerteigbroten, Croissants und auch
Kaffee.

Nur zwei Stationen fahren wir weiter,  und schon befinden wir uns vor dem Schiffbau. Seit dem Jahr 2000 befinden im denkmalgeschützten Industriegebäude aus Abertausenden Backsteinen drei Theaterbühnen des Schauspielhauses Zürich. Der Name kommt übrigens nicht von irgendwoher – hier wurden einst tatsächlich Schiffe gebaut. Unter dem gleichen Dach befinden sich auch der Jazzclub «Moods» und das Restaurant «LaSalle». Die in Israel aufgewachsene kreative Zürcher Küchenchefin Inbar Zuckerberg und der aus seinen Jahren im «Café Boy» bestens bekannte Restaurantleiter und Sommelier Stefan Iseli sorgen in der Zürcher Restaurant-Institution derzeit für frischen Wind. Das Essen ist frisch und hochstehend, die Weinauswahl erstklassig – gut und gerne kann man sich hier auf die Tipps des Routiniers und -Weinfreaks Iseli verlassen.

Das Quartier Zürich West ist mit kulturellen und kulinarischen Höhepunkten nur so gespickt, sehenswert ist etwa auch der Freitag Tower. Nahe des Schiffbaus ragen farbige Schiffscontainer in die Höhe, die den kultigen Zürcher Designtaschen aus Lastwagenblachen als Flagship-Store dienen. Orte wie der Eingangs erwähnte «Frau Gerolds Garten» oder die Pizzerien «Più» und «Rosso» sind ebenso zu Fuss zu erreichen wie das «Les Halles», Hausspezialität in der originell eingerichteten, hallenartigen Brasserie sind Moules et Frites.

Wir würden gerne bleiben, doch wir müssen weiter, wenigstens ein paar Stationen möchten wir hinter uns lassen. Mehr als zwei werden es aber auch diesmal nicht werden. Bei der Station Löwenbräu bietet sich ein Besuch der Markthalle im Viadukt an. Die «spannendste Einkaufsstrasse Zürichs» bietet in den Bögen des 1894 erbauten Bahnviadukts viel Aussergewöhnliches: Etwa den Marktladen Berg und Tal: ­Betreiber András Németh gilt als Slow-Food-Spezialist. Er führt handwerklich und nachhaltig produzierte Lebensmittel von Schweizer Kleinproduzenten. Des Weiteren befinden sich hier das Restaurant «Markthalle», die Weinhandlung Südhang oder Tritt Käse, einer der besten Käsehändler Zürichs. Gegenüber den Viaduktbögen befindet sich ein Schmelztiegel zeitgenössischer Kunst: Das Löwenbräu-Areal bietet unter anderem Raum für die Kunsthalle und das Migros Museum für Gegenwartskunst.

Ein Ort der Gegensätze: das 1891 erbaute Landesmuseum des Zürcher Architekten Gustav Gull. Davor der 2016 eröffnete Erweiterungsbau des Architekturbüros Christ & Gantenbein.
© ZHdK
Ein Ort der Gegensätze: das 1891 erbaute Landesmuseum des Zürcher Architekten Gustav Gull. Davor der 2016 eröffnete Erweiterungsbau des Architekturbüros Christ & Gantenbein.

Highlight an Highlight

Die Tramlinie 4 lässt dem genussaffinen Passagier nur wenig Ruhe – schon bald sind wir am Limmatplatz, einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt im einstigen Industriequartier. Der Platz markiert das Ende der berüchtigten Langstrasse und den Anfang der Kornbrücke, die über die Limmat führt. In Laufdistanz befinden sich hier erstklassige Restaurants – etwa das «Josef», wo der junge schwedische Koch David Heimer die Zürcherinnen und Zürcher mit seiner kreativen, modernen aber ebenso zugänglichen Küche verwöhnt. Einen Besuch wert ist auch das noch junge «Osso», das besonders am Abend begeistert und im aktuellen Falstaff Restaurant- und Beizenguide als Neueröffnung des Jahres geführt wird. Wen es lediglich nach einem Snack, Drink oder Kaffee dürstet, sollte das «Lang» direkt am Limmatplatz in Betracht ziehen. Auf der Terrasse geniesst man das Angebotene und beobachtet das rege Treiben auf dem Platz – herrlich für eine Rast.

Wir steigen wieder ein. Der «Vierer» nähert sich jetzt rasant dem Zentrum. Er passiert noch einen weiteren Standort des Museums für Gestaltung, nach dem auch die Tramstation benannt ist, um dann die Station Sihlquai/HB anzufahren. Diese befindet sich hinter dem Hauptbahnhof, eine Station weiter erreichen wir Bahnhofquai HB vor dem grossen Bahnhofsgebäude. Unser nächstes Ziel befindet sich prominent zwischen den beiden Haltestellen auf der anderen Strassenseite – das Landesmuseum, das meistbesuchte historische Museum der Schweiz. Mit dem Restaurant «Spitz», das sich im Nebentrakt des Gebäudes befindet, geben einander hier auch Geniesser die Klinke in die Hand. Saisonalität und Lokalität sind im «Spitz» keine leeren Versprechungen, sondern werden vom innovativen Küchenteam gelebt. Ebenso überzeugen kann die Weinauswahl, insbesondere die schöne Selektion an Schweizer Gewächsen sucht seinesgleichen in der -ganzen Stadt.

Nach dem Hauptbahnhof fährt Tram 4 scharf links über die Brücke Richtung Central und eben nicht rechts Richtung Bahnhofstrasse. Das Central ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in Zürich und das Tor zum Niederdorf. Die Altstadt war lange nicht bekannt für grossen Genuss, eher für sogenannten «Chnellen» – den Zürcher Begriff für heruntergekommene, im besten Sinne einfache Restaurants. In den letzten Jahren hat sich das aber rasant geändert. Von der Haltestelle Rathaus am Limmatquai, zwei Stationen vom Central entfernt, erreichen wir die «Bauernschänke» von Spitzenkoch Nenad Mlinarevic, ein modernes Speiserestaurant mit geradliniger, erstklassiger Küche und ebensolcher Weinauswahl – untergebracht in einer ehemaligen «Chnelle». Wenige Gehminuten entfernt befindet sich eines der neuesten Highlights im Niederdorf: Das Anfang 2020 eröffnete «Igniv». Der Bündner Dreisternekoch Andreas Caminada hat hier mit Daniel Zeindlhofer einen gebürtig österreichischen und höchsttalentierten Koch verpflichten können. Die Sharing Plates im Restaurant im Hotel «Marktgasse» überzeugen auf der ganzen Linie – wie man es sich von dem Konzept Caminadas gewohnt ist.

Dem Kulturinteressierten sei im Niederdorf auch ein Besuch des «Cabarets Voltaire» ans Herz gelegt. Das Lokal mit Café, Bar und Ausstellungsräumen gilt als Geburtsort des Dadaismus. Ab 1916 verbreitete sich die interdisziplinäre und kulturkritische Kunstströmung von hier aus in ganz Europa und in den Vereinigten Staaten.

Zurück im «Vierer» nähern wir uns rasant dem Bellevue, einer der bekanntesten und wichtigsten Haltestellen auf dem gesamten Strassenbahnnetz Zürichs. Hier befindet sich die legendäre «Kronenhalle», wo Kulinarik- und Kunstinteressierte gleichermassen auf ihre Kosten kommen. Der Gast speist zwischen Originalen von Künstlern wie Miró, Chagall oder Picasso gehobene, zeitlose Hausmannskost und teilt sich das Lokal mit Prominenz aus aller Welt. Zum Kunsthaus mit seinem Neubau und einer herausragenden Bar ist vom Bellevue übrigens nur ein kurzer Fussmarsch, wir aber fahren in der -Vierer-Tram weiter den See entlang, zum Opernhaus etwa und ins Seefeld. In der eher als gehobenen Wohngegend gibt es viele erstklassige Gastronomieangebote. Besonders ans Herz gelegt sei einem der Coffeeshop Mame unweit des Opernhauses. Hier servieren Emi Fukahori und Mathieu Theis einen der besten Kaffees der ganzen Stadt – es überrascht nicht, dass die beiden immer -wieder bei nationalen und internationalen Kaffee-Competitions ganz oben auf dem Treppchen stehen.

Der 1967 vollendete Pavillon Le Corbusier war der letzte Bau des grossen schweizerisch-französischen Architekten, Designers und Gesamtkünstlers.
© ZHdK
Der 1967 vollendete Pavillon Le Corbusier war der letzte Bau des grossen schweizerisch-französischen Architekten, Designers und Gesamtkünstlers.

Genuss bis zur Endstation

Wir fahren etwas weiter ins sogenannte hintere Seefeld. Unbedingt gesehen haben muss man den bei der Station Höschgasse gelegenen Pavillon Le Corbusier. Das 1967 vollendete Gesamtkunstwerk von Le Corbusier ist ein architektonisches Juwel: Der letzte Bau des grossen schweizerisch--französischen Architekten, Designers und Künstlers ist dessen einziges Gebäude, das komplett aus Glas und Stahl gefertigt ist. Der Pavillon gehört zum Museum für Gestaltung, dessen drei Standorte alle über die Linie 4 miteinander verbunden sind.

Wir fahren nur eine Station weiter und landen wieder beim Genuss. Unweit der Haltestelle  Fröhlichstrasse befindet sich einer der bestgehüteten Geheimtipps der ganzen Stadt. Das kleine und urgemütliche «f39» bietet gerade einmal Platz für 16 Gäste. Philipp Graber und Benjamin Forrer präsentieren eine moderne Küche mit Einflüssen der grossen französischen, aber auch der japanischen Küche, hergestellt auf Basis regionaler Produkte aus biodynamischem Anbau. Ein echtes Erlebnis!

Unsere Reise in der Vierer-Tram nähert sich dem Ende. An der Endstation Bahnhof Tiefenbrunnen erreichen wir die Mühle Tiefenbrunnen, einen verkehrsfreien, pulsierenden Begegnungsort, an dem man sich zum Verweilen, Essen, zum Training, Einkaufen oder für einen Kulturanlass trifft. Hier befindet sich etwa die «Blaue Ente», ein Zürcher Kultlokal, das heute auf ein striktes Farm-to-Table-Konzept setzt. Im benachbarten Museum Mühle-rama dreht sich alles um die Kunst, ein perfektes Brot zu backen. Hier kommen Kunst und Genuss zusammen, bei der Endstation der wunderbaren Tramlinie 4.


Erschienen in
Food Zurich Spezial 2022

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Benjamin Herzog
Benjamin Herzog
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