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Comfort Food: Was die Seele essen will

Nahrungsaufnahme ist ein Grundbedürfnis, das den Körper mit Energie und Nährstoffen versorgt. Manche Speisen stillen aber nicht nur unseren Hunger, sondern »nähren« auch unsere Seele und tragen damit zu unserem emotionalen Wohlbefinden bei.

Omas Apfelstrudel, eine ganze Packung Eis oder ein Teller Pasta – beim Genuss solcher Gerichte wird uns warm ums Herz und wir verspüren ein unmittelbares Glücksgefühl. Sie spenden in traurigen Momenten Trost, muntern uns an grauen Regentagen auf und entspannen uns beim gemütlichen Fernsehabend. Doch nicht alle Lebensmittel sind dazu gleichermaßen in der Lage. Eine Gemüsepfanne mit Quinoa beispielsweise würden die wenigsten als »Glücklichmacher« oder »Seelennahrung« bezeichnen, auch wenn sie natürlich ebenso satt macht. Um diesen Wahrnehmungs-Unterschied zu erklären, hilft ein Blick in unsere eigene Vergangenheit.

Im Leben eines Steinzeitmenschen war Essen immer ein rares Gut. Fürs (Über-)Leben brauchte er daher Speisen, die ihn mit einer großen Menge Energie und vielen Nährstoffen versorgten. Die hohe Energiedichte lieferte dabei vor allem Fett: Während Kohlen­hydrate und Proteine nur jeweils vier kcal pro Gramm bereitstellen, enthält Fett neun kcal pro Gramm – also mehr als doppelt so viel Energie bei gleichem Gewicht. Was die Nährstoffdichte betrifft, so war und ist vor allem sehr reifes Obst hervorragend in der Lage, uns mit den notwendigen Vitaminen und Mineralien zu versorgen. Denn es gilt: Je reifer das Obst, desto mehr Nährstoffe enthält es. Gleichzeitig weist reifes Obst auch einen hohen Fruchtzuckergehalt auf. Dieser wird in unserer Leber in Fett umgewandelt und baut den Winterspeck auf, von dem unsere Vorfahren in den kalten Monaten zehren konnten. Kurz gesagt: Das fürs Überleben erforderliche hohe Maß an Nährstoffen und Energie bekamen wir vor allem aus fetten und süßen Nahrungsmitteln. Und weil uns das Hunderttausende Jahre lang genetisch einprogrammiert worden ist, mögen wir auch heute noch Fettes und Süßes, auch wenn wir längst nicht mehr auf Mammutjagd gehen oder durch eine Eiszeit kommen müssen.

Glückshormone im Gehirn

Zurück zur Gegenwart: Längst können wir Fettes und Süßes (oder auch Salziges) beim Zubereiten von Speisen miteinander kombinieren. Dadurch entstehen Gerichte, die sich wie ein Jackpot für unser immer noch ums Überleben bangendes Steinzeitgehirn anfühlen. Ob Apfelstrudel, Eis oder Pasta – all diese Speisen sind eine Kombination aus Fettem und Süßem oder Salzigem. Und das gute Gefühl, das wir beim Verzehr solcher Gerichte empfinden, entsteht dadurch, dass unser Gehirn auf diese so genannten »hyperschmackhaften Lebensmittel« (zu denen natürlich auch Speisen wie Schnitzel mit Pommes, Pizza, Schokotorte oder Cremeschnitte gehören) auch ganz besonders reagiert.

Auf neurobiologischer Ebene sind vor allem drei Hormone im Gehirn für die Wohlfühlwirkung von bestimmten Lebensmitteln verantwortlich: Serotonin, Dopamin und Endorphine. Unser Serotoninspiegel, der unsere Stimmung stabilisiert und uns glücklich macht, wird vor allem durch Zucker und andere Kohlenhydrate angehoben. Der Genuss von kakao- beziehungsweise koffeinhaltigen Speisen (Schokolade!) führt außerdem zu einer Dopaminausschüttung und vermittelt ein Gefühl von Belohnung. Zudem sorgt Schokolade – und überhaupt alles mit Teig oder Creme – auch für eine Endorphinausschüttung, die wie ein natürliches Schmerzmittel wirkt und uns beim Entspannen hilft.

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Gelernte Vorlieben

Neben diesen allgemeinen biologischen Mechanismen, die bei allen Menschen ähnlich funktionieren, spielen aber auch psychologische Lernmechanismen eine große Rolle. So bekommt der Apfelstrudel noch einmal eine besondere Bedeutung, wenn er uns an das Gefühl von Wärme und Geborgenheit, wie es sich eben damals bei der Oma angefühlt hat, erinnert. Unter allen Sinneswahrnehmungen sind gerade Geschmack und Geruch prädestiniert dafür, bestimmte Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle wieder wachzurufen, da zeitlich nah beieinander liegende Eindrücke miteinander vernetzt gespeichert werden. Wird dann eine dieser Sinneswahrnehmungen »angestupst«, werden auch die anderen damit in Verbindung stehenden Gefühle und Erinnerungen wieder abgerufen. So könnte tatsächlich auch die Gemüsepfanne mit Quinoa zur Seelennahrung werden – wenn auch nicht so intensiv – wie hyperschmackhafte Lebensmittel.

Frühe Erfahrungen

Zu guter Letzt darf auch noch ein weiterer entscheidender Faktor, der bei der Entwicklung unserer Vorlieben eine Rolle spielt, nicht vergessen werden: Muttermilch. Man könnte sie als die erste und ultimative Seelen­nahrung bezeichnen, da durch sie im Prinzip alle genannten Mechanismen vereint auftreten. Muttermilch schmeckt einerseits süß, kann aber andererseits auch den Geschmack dessen annehmen, was die Mutter zu sich nimmt. Gleichzeitig findet das Stillen in inniger Verbundenheit zwischen Mutter und Säugling statt, was beim Kind für ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit sorgt. So werden nun allgemein das Süßliche, aber eben auch speziell die geschmacklichen Vorlieben der Mutter im Gehirn gemeinsam mit positiven Gefühlen beim Säugling abgespeichert. Sehnen wir uns dann im Erwachsenenalter nach einem Gefühl von Liebe und Wärme, können wir mit diesen frühen Geschmackserfahrungen die Gefühle wieder abrufen.

Aber was auch immer es ist, das unsere Seele gerade essen will – in jedem Fall findet ein komplexes Zusammenspiel aus chemischen, biologischen und psychologischen Mechanismen statt, das uns dieses Erlebnis erst ermöglicht.


Julia Nittmann
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