Das Weingut Knewitz liegt im Weißburgunder-Eldorado Appenheim.

Das Weingut Knewitz liegt im Weißburgunder-Eldorado Appenheim.
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Generation Weißburgunder aus Rheinhessen

In den letzten zehn Jahren hat sich die Weißburgunder-Fläche Rheinhessens verdoppelt – doch gibt es auch einen stilistischen Trend? Eine Spurensuche.

Gibt es ihn? Den einen und einzigen Typus Weißburgunder aus Rheinhessen? Immer und immer wieder stellte das Falstaff-Probenteam sich selbst und den Winzern Rheinhessens diese Frage. Die Antwort fiel fast überall gleich aus wie bei Sebastian Michel aus Hochborn, der laut lachen muss, bevor er erwidert: »Nein, den gibt's ganz sicher nicht! Die Unterschiede sind noch größer als beim Riesling.«

Genau diesen Eindruck bekam auch die Fal­staff-Jury bei ihrer Verkostung: Vom fruchtbetonten, mit ein paar Gramm Restsüße abgerundeten Spätlese-Typ aus dem Stahltank über den mineralisch-kargen, stoffigen Burgunder bis zum holzgeprägten Barriquewein mit Volumen und Schmelz stand bei unserer Probe ein weites Spektrum von Weinen in den Gläsern. Und doch: Nach der Auswertung der Probe landeten wie durch Zauberhand Weine ganz vorn im Ranking, die viel miteinander gemein haben.

Die Kraft der Jugend

Zuerst und zuvörderst teilen diese Weine das Alter der Winzer, die sie erzeugt haben: Sebastian Michel ist 25 Jahre, ebenso alt ist Tobias Knewitz (der gleich zwei Weine in die Best-of-Auswahl brachte), die Brüder Martin und Eric Fischborn sind 26 und 19 Jahre alt, Christoph und Johannes Spiess sind 27 und 31 Jahre alt, Christoph Thörle ist 33, Stefan Winter 36. Mit seinen 46 Jahren ist Jürgen Hofmann aus Appenheim schon der Senior in unserer – immerhin aus einer Blindprobe hervorgegangenen – »Best of«-Auswahl.

Stefan Winter ist mit seinen 36 Jahren schon einer der älteren Weissburgunder-Experten.
© David Maurer
Stefan Winter ist mit seinen 36 Jahren schon einer der älteren Weissburgunder-Experten.

Und Hofmann, mit einem Bein im lebenserfahrenen Alter, lobt vor allem den Zusammenhalt: »Es gibt tolle Cliquen in Rheinhessen, etwa bei uns in Appenheim. Wir probieren untereinander sehr offen. Das bringt alle ­voran.« Mit seinen beiden Weinen in der ­Best-of-Liste zeigt Hofmann überdies, welchen Anspruch Rheinhessens Winzer heute mit der weißen Pinot-Mutation verknüpfen: Selbst der Orts-Weißburgunder für knapp über zehn Euro – nicht von ungefähr der Sieger unseres Tests – hat so viel Stoff und Dichte, dass man ihm ein jahrelanges Leben prophezeien kann. »Weißburgunder ist eine ganz starke Sorte für Rheinhessen«, ist Hofmann überzeugt. »Gerade hier im nördlichen Teil der Region können wir herausarbeiten, was die Böden mit ihrem extremen Kalkgehalt an Salzigkeit bringen.« Auch Christoph Thörle hat den Kalk vor Augen, wenn er über seinen Weißburgunder spricht: »Die Trauben für unseren Saulheimer Ortswein kommen aus dem mittleren Hang der Einzellage Hölle. Wenn man da einen Meter gräbt, sieht der Boden aus wie Weißmehl.«

Tobias Knewitz wiederum, der seinen Lagen-Weißburgunder aus derselben Einzellage Eselspfad wie Jürgen Hofmann holt, stellt eine Verbindung von Kalkboden und Ausbau im Holzfass her: »Mit einem guten Hölzche kann man den Kalk schön rausarbeiten. Wir probieren auch immer wieder die im Stahltank vergorenen Weine blind gegen die anderen – und jedes Mal hat man des Gefühl, die Kalkwürze kommt im Holz besser zur Geltung.«

Der Beitrag des Holzfasses

Dabei spricht Knewitz einen Faktor an, der zwar durchaus kontrovers diskutiert wird, der sich in der Verkostung aber dennoch ziemlich eindeutig darstellte – und damit schon eine zweite Gemeinsamkeit der besten Weißburgunder aus Rheinhessen umreißt. Denn der beste im Edelstahl ausgebaute Wein belegte nur Platz zwölf. In den Spitzenrängen dominieren die Weine, die im großen Holzfass, im Stückfass oder im 500-Liter-Gebinde vergoren wurden.

Weingut Michel aus Hochborn: alte Knorze, Kalkstein, kerngesunde Trauben.
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Weingut Michel aus Hochborn: alte Knorze, Kalkstein, kerngesunde Trauben.

Dabei ist die Auswahl der richtigen Küfer, der richtigen Holzherkünfte und der richtigen Fassgrößen Gegenstand ständiger Verfeinerungen. Während Christoph Thörle etwa auf die Fässer des burgundischen Edel-Küfers Taransaud setzt, verwendet Knewitz gerne Eichen aus dem Tronçais, die auf einem ähnlichen Kalkboden wachsen wie seine Reben in Appenheim. Johannes Spiess hat im Lauf der letzten Jahre die Fassgrößen angepasst: »Angefangen haben wir wie beim Chardonnay mit Barriques, dann sind wir aber etwas zurückge­rudert, und jetzt verwenden wir 500-Liter-Fässer. Damit haben die Weine jetzt das richtige Holzniveau. Denn mit der Eiche verhält es sich wie mit der Kleidung: Was dem einen steht, muss beim anderen nicht ebenfalls gut aussehen.« Ähnlich sieht das auch Stefan Winter, dessen fulminanter Dittelsheimer Orts-Weißburgunder das Holz nur anklingen lässt, um der Kraft des Weins Fassung zu geben. »Der Weißburgunder ist so eine feine Sorte, da wird das Holz ganz schnell zu viel.«

Damit ergeben sich nun schon zwei Motive, die den guten Weißburgunder aus Rheinhessen ausmachen: zum einen der jugendliche Zugang des Produzenten zur Sorte, zum zweiten ein moderater Holzeinsatz als Kataly­sator für die geschmacklichen Auswirkungen des Kalks im Boden. Verknüpft man den jugendlichen Esprit der Winzer mit dem Faible für den Holzeinsatz, dann gelangt man fast unweigerlich zum Thema Spontangärung. Denn auch sie ist – zumindest bei der Mehrheit der Weine unserer Best-of-Auswahl – ein wichtiges Mosaiksteinchen im Erfolgsrezept. Am schönsten bringt Johannes Spiess dabei auf den Punkt, wie das Ver­gären ohne Pülverchen die Arbeitsweise verändert: »Der Aufwand – die Beobachtung des Weins – ist natürlich viel größer. Mit Reinzuchthefe hat man spätestens drei Wochen nach der Lese Ruh’. Aber bei den Spontis springst du dauernd in den Keller und schaust nach, macht er noch was?« Bleibe eine Top-Partie einmal hängen, dann werde sie, ökonomisch schmerzhaft, aber pragmatisch, als Edel-Süßreserve für den Gutswein verwendet.

Lagen­unterschiede auch beim Weißburgunder

Leider gibt es nun zuletzt aber auch noch ein drittes Motiv, dem man zusprechen muss, typisch für die Weißburgunder-Szene in Rheinhessen zu sein. Denn die Winzer sind hin- und hergerissen zwischen dem Streben nach der Vereinfachung ihrer Sortimente auf der einen Seite und der Würdigung der Tatsache andererseits, dass auch der Weißburgunder Lagen­unterschiede zum Ausdruck bringen kann. Im VDP Rheinhessen ist die Richtlinie eindeutig: Große Gewächse dürfen ausschließlich aus Riesling und Spätburgunder erzeugt werden – das heißt automatisch, dass als wertigste Kategorie für den Weißburgunder nur der Ortswein überbleibt. Da sich viele Nicht-VDP-Betriebe ebenfalls dieser Regelung anschließen, etikettiert beispielsweise auch Sebastian Michel ­seinen Weißburgunder mit dem Ortsnamen »Westhofen«, obwohl die Reben in einer der besten Einzellagen Rheinhessens stehen, dem Morstein. »Vergleicht man es mit der Pfalz«, so gibt Christoph Thörle zu bedenken, »dann ist ein Ortswein dort in der Regel der drittbeste Weißburgunder eines Betriebs. Bei uns in Rhein­­hessen aber ist er der beste.«

Für uns Kunden und Trinker hat das den erfreulichen Nebeneffekt, dass reihenweise GG-würdige Qualitäten zum Ortswein-Tarif zum Verkauf stehen. Ob sich dadurch indes langfristig Prestige aufbauen lässt für den Weißburgunder aus Rheinhessen, das ist eine ganz andere Frage.

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2017

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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