© Falstaff / Julia Heger

»Nicht wegschmeißen! Damit fällt uns noch etwas ein!«: Interview mit den Betreibern der »Cucina Alchimia«

Jakob Bretterbauer, Sendi Gbinia und Michael Moser möchten mit ihrem Lokal in Ober St. Veit neue Wege in der Gastronomie bestreiten. Im Interview mit Falstaff sprechen sie über Nachhaltigkeit, das Berufsbild des Kochs bzw. der Köchin und warum sie ihr Lokal als Labor sehen.

Seit November 2023 hat die »Cucina Alchimia« in Hietzing geöffnet und überrascht ihre Gäste mit unkonventionellen Gerichten. Betrieben wird sie von einem Künstlerkollektiv, das aus dem Standort sowohl einen Ort der Begegnung und Kommunikation als auch der Forschung machen möchte.

Falstaff: Sie bezeichnen Ihr Lokal als Institut für experimentelle Kulinarik. Was kann man sich genau darunter vorstellen?

Moser: Wir versuchen zu einem gewissen Grad, Dinge komplett neu zu denken und auszuprobieren und – wie man eben auch Alchemisten nachsagt – aus minderwertigen Dingen hochwertige Produkte zu erzeugen. Manchmal kommt es jedoch vor, dass gewisse Produkte nicht mehr in der Genusslandschaft landen, sondern zum Material weiterentwickelt werden. Die Umsetzung der Biomasse bringt somit einerseits Rezepte hervor, die sehr unkonventionell sind und einen experimentellen Anspruch haben, die aber trotzdem traditionell angerichtet werden können. Aber es entstehen andererseits auch Projektideen, die die Küche verlassen können und dann ins Dreidimensionale, Objekthafte, Skulpturale gehen.

Wie kam es zu dem italienischen Namen?

Bretterbauer: Neben den Alchemisten leitet sich der Name vom italienischen Designstudio »Studio Alchimia« ab, das Ende der 70er Jahre mit experimentellem Design – quasi Anti-Design – begann, sich dann aber zu einer einflussreichen Designgröße etabliert hat. Die »cucina« war dann aufgelegt.

Wie sind Sie auf diesen Standort gekommen?

Bretterbauer: Der Standort hat eigentlich uns gefunden. Der Eigentümer hat uns das Lokal vor zwei Jahren im Rohzustand gezeigt und uns gefragt, ob uns etwas dazu einfällt. Nach langer Überlegung haben wir entschieden, dass wir es nehmen möchten, allerdings nur unter der Bedingung, dass wir auch den Garten als Nutzgarten, den Keller für die Produktion und die darüberliegenden Wohnungen als Ateliers dazunehmen dürfen.

Gbinia: Wir wollten nicht nur kochen, da wir das lange genug gemacht haben. Hier gibt es mehrere Perspektiven, die auch die Routine durchbrechen.

Bretterbauer: Die Gastro als Dienstleistungsgeschäft brennt die Leute komplett aus und schränkt deren Lebensqualität ein. Wir wollen mit unserer Herangehensweise zeigen, dass man auch als Koch in der Ausübung seines Berufs – im wahrsten Sinne des Wortes – über den Tellerrand hinausschauen darf, und man nicht sieben Tage die Woche offen haben muss, um als Gasthaus akzeptiert zu werden.

Sie haben zuvor schon in diversen Künstlerkollektiven gearbeitet, außerdem Erfahrung als Köche. Was verbindet Kunst und Kulinarik?

Bretterbauer: Sowohl Kunst als auch Kulinarik bringt Leute zusammen, die teilweise aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen, sich dann aber an einen gemeinsamen Tisch setzen und reden.

Moser: Museumsbesucher werden, wenn sie Glück haben, von einem Werk auf einer persönlichen Ebene angesprochen. In einem kulinarischen Kontext ist dieses Gefühl noch viel omnipräsenter, da man mit Geschmäckern und Gerüchen so viele Emotionen verbindet und viele Referenzpunkte zum eigenen Leben abdeckt – seien es jetzt Erinnerungen an die Kindheit oder andere schöne Momente. Diese Gefühle als Vehikel zu nutzen, um damit eine Botschaft zu transportieren oder ein Objekt anzureichern, ist für uns die Königsdisziplin. In Wahrheit ist das ja die Urform der Kunst, dass man etwas bereitstellt, das eine Kommunikation stattfinden lässt, um darauf aufbauend Kultur entstehen lassen zu können.

Wie geht es Ihnen mit der Umstellung, davor als freie Künstler gearbeitet zu haben und jetzt ein Lokal zu führen?

Bretterbauer: Prinzipiell ist die kreative Arbeit an Designprojekten oder in der Küche sehr ähnlich. Man hat aber hier die Möglichkeit, dass man Gastgeber sein kann, und das finde ich total schön.

Moser: Wir sind wirklich gerne Gastgeber. Und es ist ein angenehmer Bonus, dass man hier auch seine Arbeiten präsentieren und über neue Konzepte sprechen kann. Wenn die Leute glücklich sind, weil sie gut gegessen und getrunken haben, hat man eine ganz andere Gesprächsbasis, man ist unvoreingenommener. Es entsteht eine Community, die uns über das, was wir zu dritt besprechen können, erweitert; es entsteht eine Schnittstelle zur Öffentlichkeit. Das muss aber natürlich nicht immer sein.

Wie entstehen Ihre Gerichte?

Gbinia: Es ist ein Spiel zwischen mir und den Lebensmitteln. Ich verändere sie, experimentiere, fermentiere, schaue was sie mir sagen, und dann versuche ich sie mit anderen Sachen zu kombinieren. Es ist auch für uns fast immer eine Überraschung, was dabei entsteht. Es ist uns wichtig, nicht das zu machen, was alle machen.

Ich habe keine spezielle Linie in der Küche. Bis ich 9 Jahre alt war, habe ich in Ghana gelebt, bis ich 17 war in der Ukraine, und seitdem in Österreich und überall gibt es eine andere Küche. In Ghana ist es normal, Fisch und Fleisch – z.B. Makrele und Lamm – zu kombinieren, was hier für Verwunderung sorgt. Ich bin da ziemlich losgelöst von Normen.

Moser: Sendi muss immer wieder Leute, die bei uns in der Küche mitarbeiten, erinnern, dass sie nichts wegschmeißen. Kartoffelschalen kommen bei uns nicht in den Müll, sondern in den Gefrierschrank und wenn uns etwas einfällt, machen wir etwas damit. Wir haben jetzt z.B. »Erdäpfelwasser« als Teil eines Gerichts auf der Karte stehen.

Gbinia: Dafür werden die Erdäpfelschalen geröstet und ausgekocht, da in der Schale extrem viel Geschmack steckt.

Haben Sie kulinarische Vorbilder?

Gbinia: Von jedem und jeder kann man etwas lernen. Von manchen habe ich gelernt, wie man etwas nicht macht, von anderen, wie man etwas besser macht. Man muss die Augen und Ohren offen halten, sonst fällt man wieder in die Routine und das wollen wir nicht.

Welches Gericht spiegelt Ihre Küchenphilosophie am besten wider?

Bretterbauer: Bis letzte Woche hatten wir ein Gericht mit Topinambur auf der Karte das man als Signature Dish bezeichnen könnte. Es besteht aus der geschmorten Knolle und Topinamburchips aus der Schale, die in einem Sud aus Laktowasser, einem Nebenprodukt der Laktofermentation, serviert werden. Gewürzt wird mit Reiskleie-Garum-Pulver, das ein Nebenprodukt der Reiskleie-Garum-Herstellung ist. Also streng genommen ist ziemlich viel Abfall drinnen.

Nachhaltigkeit spielt eine zentrale Rolle in Ihrem Küchenkonzept. Wird wirklich nichts weggeschmissen?

Gbinia: Im Moment ist es so, dass wir die gesamten Küchenabfälle fermentieren und dann wieder in die Gerichte einbauen. Nach der Fermentation bleibt aber noch etwas übrig und als nächsten Schritt möchten wir damit Materialforschung betreiben. Dann möchten wir z.B. essbares Papier machen und dieses für Menü- und Visitenkarten oder Lampen verwenden.

Bretterbauer: Wir arbeiten auch eng mit den LandwirtInnen zusammen. Oft werden nämlich vor der Ernte Pflanzenteile weggeschnitten und entsorgt, zu denen uns noch etwas einfallen würde. Vor allem in der Materialforschung ist diese Zusammenarbeit mit der landwirtschaftlichen Produktion sehr spannend.

Moser: Aus Altöl stellen wir unsere eigene Seife her, die dann im Lokal zur Verfügung steht. Geplant ist auch, im Garten einen Biomeiler aufzustellen, um die Verrottungsabwärme von den Küchenabfällen zur Heizung unseres Fermentationstisches zu verwenden, der konstant etwa 60 Grad haben muss. Außerdem kann man auf dem Substrat des Biomeilers Pilze züchten und den Kompost, der als Endprodukt entsteht, im Garten ausbringen.

Wir sehen diesen Ort als Labor, an dem wir Dinge ausprobieren, die dann skaliert und multipliziert werden können, und wenn sie funktionieren, vielleicht auch von anderen aufgegriffen werden.

Welche Projekte sind noch geplant?

Bretterbauer: Wir planen verschiedene Events und Ausstellungen, z.B. sind wir im Herbst für eine Künstlerresidenz in den Piemont eingeladen, Ende Mai für eine Ausstellung in New York. Und sobald die Ateliers fertig sind, wünschen wir uns, dass Gastköche hierher kommen, um mit uns zusammenzuarbeiten.

Künstlerisches Manifest, viel Fermentation und Schrauben an Altbekanntem (Blunzen auf Erdäpfelstroh): Ober-Sankt-Veit hat eine hippe Küchenadresse, in der man Garum einsetzt wie zuletzt die alten Römer.
Firmiangasse 2
1130 Wien
Österreich

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Julia Heger
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