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Nordic by Nature: Zwischen Elch- und Algenjagd in Norwegen

Die norwegische Küche ist kein einfaches Pflaster. Und das, weil sie zunächst allzu simpel erscheint. Eine Reise entlang Norwegens Küste und seiner Kutter offenbart, wie sich die Kulinarik dieser Tage rückbesinnt und erstmals zu sich selbst wird.

Norwegen ist ein Land, in dem es vor Fisch- und Meeresfrüchten nur so strotzt, gerade in den ausgedehnten Küstenregionen. Bei gerade einmal einer Luftlinie von 1.800 Kilometern von der nördlichsten Spitze des Landes bis zum Süden, erhielte die Strecke all der Küstenkilometer mitsamt jedem Fjord, jeder Bucht und allen Insel, eine Länge von 101.000 Kilometern – das reicht zweimal um die Erde. Zunächst sind dies lediglich Zahlen, bringen das kulinarische Augenmerk aber schnell auf den Tisch.

Dieser Tatsache geschuldet ist Norwegen eines der Länder, in der das Level der Nahrungsweise stark an der Art des Reisens hängt. Natürlich darf sich bei einer Bergtour niemand auf einen Food Truck auf dem Weg verlassen, doch gibt es auch zwischen Elchwurst und Flatbrød (hauchdünnes, ungesäuertes Knäckebrot) aus dem Rucksack, oder eben Fenalår (gepökeltes Lammfleisch in der Keule) mit Rømmegrøt (eine Art sahnige Grießsuppe, süß wie sauer) auf der Berghütte ein Gutes. Es ist komplett trendfrei Zone.

Wer sich allerdings Regionen wie Trøndelag vorknöpft – im vergangenen Jahr zur Europäischen Gastronomie-Region gekürt, sollte sich ein Auto nehmen oder die Rute zwischen den Hot Spots vorher ganz genau überlegen.

Wobei man allein Trondheim sehr gut für einige Tage überleben könnte. Von den vier Sterneretsaurants sind es gerade die «kleinen Schwestern», die Bistros derer «Großen», die statt kreativer Küche ein nachhaltiges, bezahlbares und norwegisches Gericht kredenzen. Wie etwa das «Jossa Mat & Drikke» neben der Institution «Credo», wo man lokale Austern, die bekannten Hitra-Krabben, gefischt um die Ecke und Smørrebrød mit so ziemlich allem, was vor der Tür wächst, bekommt. Selbiges gilt für das bestirnte «Fagn», bekannt für seine moderne Küche, ist sich sein «Fagn Bistro» nicht zu schade für einen Fang des Tages, den man gut bezahlen kann.

© Audun Lindholm
© Audun Lindholm

Aus der Region um Bergen kommen seit bereits zwei Jahren Chefs zum «Bergen Sjømat Festival», dem Bergen Meeresfrüchte Festival zusammen, wo um die Wette Krabben gepult, gekocht und gegessen wird. Etwa im «Plukkfist»-Wettbewerb, in dem vier Chefköche der Region um die Wette «plukkfisken.» Das Gericht ist Hausmannskost par excellence: Stampfkartoffeln und Reste getrockneten Kabeljaus. Machbar, günstig und technisch kaum verfehlbar. So richtig Schwung bekommt es aber gerade dann, wenn man sich das Gericht von jemandem mit Expertise an der Herdplatte zubereiten lässt.

Der, selbstverständlich nie eingeholte »Norweger an sich«, isst gern einfach und unaufgeregt: er möchte abgeholt werden. Gemäß den Worten der Bergener Köche sieht die norwegische Küche derzeitig erhebliche Chancen darin, Trends zu setzen in Gerichten, die es immer schon gab. Besagter Plukkfisk, Kabeljau in all seinen Aggregatmodi, Skrei, aber auch ein Kartoffelstampf sei nun einmal nie gleich Kartoffelstampf.

Beim Osloer Food Hall-Schlendergang mit einer von Norwegens bekanntesten Food Influencern Helle Øder Valebrokk, alias »HellesKitchen«, erzählt sie, dass es die traditionelle norwegische Küche in dem Sinne gar nicht gibt, da sie niemand kochen kann. Es ist nicht der Fisch oder Krebs, der bei den meisten Menschen auf dem Teller liegt, wie das vor Dekaden noch üblich war. »Aber das ändert sich gerade, junge Menschen geben gerne und viel Geld für Essen aus, das gibt den Gastronomen den nötigen Mut.« Im letztjährig gegründeten Restaurant der Osloer Oper herrscht das Credo: »Make Norwegian Traditions cool again«, so Chef Tor Andreassen, während er die panierte Dorschzunge mit Butter serviert.

Algen: Aus dem Meer auf den Teller

Arne Duinker, forschender Weise am Norwegischen Institut für Meeresforschung, hat sich der Alge gewidmet und arbeitet ebenfalls seit Jahren mit sowohl Produzenten wie auch Küchenchefs zusammen. Dass eine »Einbürgerung« der Alge auf den Speisezetteln der Bevölkerung auch jenseits der selbsterklärten Feinschmeckerschaft ankommt, hält er ohne die gehobene Trendküche für kaum möglich – aber sie wird kommen. Schließlich gibt es sie in mindestens zwanzigfacher essbarer Ausführung. Die Trend-Vektoren deuten etwa auf deren Verwendung im ersten und noch immer weltgrößten Unterwasser-Restaurant »Under« am südlichsten Landesgipfel, nahe Kristiansand. Nicolai Ellitsgaars ist dort Küchenchef und erntet das Meeresgemüse an der Küste von Hand, bevor er sie seinen Gästen abends serviert. Eines sei dabei verraten: Die Trüffelalge schmeckt mindestens so sehr nach Trüffel, wie der namensgebende Pilz, vielleicht etwas erdiger, natürlich nach Meer und getrocknet außerdem nach Pilz und Tee.

Norwegische Trinkkultur

Auch die liquiden Trends kommen in dem Land, in dem es sich sehr köstlich auf den Spuren von Wikingern und Trollen schmecken lässt, nicht zu kurz. Zwei besondere Perlen, die erst im aktuellen Jahr das Licht der Welt erblickt haben, sind das »Posthallen Drinkhub« und die »Svanen/DGÆ« Cocktailbar. Im ersten Falle kommen neun Highend Bars unter den zwölf Meter hohen Decken der alten Posthalle im sogenannten «Quadratische Viertel» zusammen, darunter etwa ein Tasting Room für Gin, Weinbars, eine tropische Bar sowie eine Bar, die den Gästen die edelste Version ihres »Guilty Pleasure« anbietet.

Authentisches Kennenlernen: Die Hurtigruten

Wer nun allerdings eher an Knoten anstelle von Stundenkilometern interessiert ist, der begebe sich mit den Hurtigruten auf die Reise, etwa über Bergen ans Nordkapp. Komfortabler wird es nicht, auch lässt sich hier die Kreuzfahrt-Kulinarik im Wandel der Zeit anschaulich beobachten. Das verbreitete »From-Farm-to-Table-Prinzip« hat auch hier Einzug gehalten, selbst über den Wasserweg. Auf der MS Nordkapp werden von Astrid Regine Nässlanderlokale Spezialitäten gereicht  – praktisch, denn die Route der Nordkapp verläuft entlang der Lofoten direkt entlang ihres eigenen Schlachthofes in Steigen, wo sie eng mit den lokalen Elchjägern zusammenarbeitet. Sie liefert dabei nicht nur aus ihrem eigenen Sortiment Dinge wie Elchwurst mit eingearbeiteten Trüffelalgen und gewürztem Knochenmark. Auch zielt ihr innovativer Ansatz darauf ab, so viele Bestandteile wie möglich vom Tier zu verwenden, um Lebensmittelverschwendung zu minimieren, ohne dabei auf Kompromisse bei der Qualität einzugehen.

Juliane Eva Reichert
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