Keiner ist beliebter: Der Blaue Zweigelt ist die meistangebaute Rotweinsorte Österreichs.

Keiner ist beliebter: Der Blaue Zweigelt ist die meistangebaute Rotweinsorte Österreichs.
© ÖWM / WSNA

Roter Riese: 100 Jahre Zweigelt

Vor 100 Jahren wurde in Klosterneuburg aus den Sorten St. Laurent und Blaufränkisch eine neue Varietät gekreuzt. 50 Jahre später erhielt diese den Namen Blauer Zweigelt. In einem unvergleichlichen Siegeszug durch die Weingärten des Landes wurde sie zur erfolgreichsten und beliebtesten roten Sorte – und nach dem Grünen Veltliner zur wichtigsten Rebe Österreichs.

Von null auf hundert in 100 Jahren – so ähnlich könnte man die Erfolgsgeschichte des Zweigelt zusammenfassen. Denn diese urösterreichische Sorte, die heuer ihr 100-jähriges Bestehen feiert, ist seit Jahrzehnten die beliebteste und erfolgreichste Rotweinsorte des Landes. Und das aus gutem Grund. Aber der Reihe nach …

Im Jahr 1922 wurde an der Höheren Bundeslehranstalt für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg unter vielen anderen auch eine neue Rebsorte als Kreuzung von St. Laurent und Blaufränkisch gewonnen. Diese wurde viele Jahrzehnte später nach dem Leiter der Rebzüchtungsstation (ab 1921) und späteren Direktor (ab 1938) der Lehranstalt, Fritz Zweigelt, benannt. Konkret im Jahr 1972, und damit genau vor 50 Jahren, tauchte die Rebsorte, die zunächst jahrzehntelang nur die Bezeichnung »Nummer 71« getragen hatte, erstmals unter dem Namen »Zweigeltrebe« im Register der Qualitätsweinsorten des österreichischen Weingesetzes auf.

1978 wurde der Sortenname dann offiziell auf »Blauer Zweigelt« mit dem Synonym »Rotburger« geändert. Im Jahre 1995 erkannte die EU den Blauen Zweigelt schließlich als »empfohlene Rebsorte« für alle österreichischen Weinbaugebiete an.

Dass seine »Nummer 71« einmal zur zweiwichtigsten Rebsorten Österreichs (hinter dem Grünen Veltliner) werden sollte, hat der 1964 verstorbene Botaniker Fritz Zweigelt nicht mehr erlebt – und auch nicht die späteren Debatten rund um die Benennung der Sorte. Denn Zweigelt war bekennender Nationalsozialist. Und die erst sehr lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgte Namensgebung erscheint im Lichte des heutigen Wissensstands überaus unangebracht. In den späten Sechzigerjahren hielt man es jedoch offensichtlich für eine gute Idee, die neue Rebe in Verbindung mit dem Namen des bekanntesten heimischen Weinfachmanns der Ersten Republik zu setzen.

In jüngerer Zeit flammt seither immer wieder die Diskussion auf, die Sorte umzubenennen – so schlug etwa das »Institut ohne direkte Eigenschaften« (vulgo »Perinet-Keller«) im Rahmen der Aktion »Abgezweigelt« den Namen »Blauer Montag« vor … Fakt ist jedenfalls, dass mit der Synonym-Bezeichnung Rotburger seit jeher eine gesetzlich erlaubte Namens-Alternative bestehen würde. Allerdings: Der überwiegende Teil der Weinkonsumenten weiß nicht, dass sich hinter diesem Begriff der Zweigelt verbirgt. Wohl nicht zuletzt deshalb steht eine Namensänderung zum aktuellen Zeitpunkt nicht zur Debatte. Im Hinblick auf den internationalen Markt und den – im Rest der Welt – nur schwer auszusprechenden Namen Zweigelt wäre eine solche aber die richtige Entscheidung.

Die Anfänge: Vom Underdog zum Star

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die österreichischen Weingärten Zug um Zug auf Lenz-Moser-Hochkultur umgestellt, und neben dem Grünen Veltliner erwies sich die neue Zweigeltrebe für den Rotweinsektor als erfolgversprechend: Nur wenige Ansprüche an Böden und Klima, hohe Erträge und fruchtbetonte Weine überzeugten immer mehr Winzer im ganzen Land, womit die Anbauflächen stetig wuchsen. Der Großteil der so erzeugten Weine war simpel und »Doppler-tauglich«, ohne dass das Produkt aufgezuckert werden musste. So blieb das wahre Qualitätspotenzial des Zweigelt lange unerkannt.

Als Anfang der Neunzigerjahre der Rotweinboom auch die Alpenrepublik erfasste, rückte der Zweigelt in den Fokus der Winzer. Davor wurde die dunkle, samtige Sorte nur selten reinsortig abgefüllt, doch bald zeigte sich, dass der Zweigelt auch die Reifung in kleinen französischen Eichenfässern gut verträgt. Und: Nicht nur als Cuvée-Partner, sondern auch pur vermag Zweigelt zu bezaubern. Josef Umathums Hallebühl, der Olivin von Winkler-Hermaden, oder die Rubin-Carnuntum-Weine haben dafür den Grundstein gelegt, seit zehn Jahren ist mit Neusiedlersee DAC der Boden auch für dem Zweigelt gewidmete Herkunftsweine bereitet. Lange waren die Spitzenweine der Sorte von charaktervollen Cuvées und ausgezeichneten Blaufränkischen überlagert. Inzwischen wird klar, welchen Schatz Österreich mit dem ­Zweigelt in den Weingärten stehen hat.

Enormes Reifepotenzial

Das wichtigste Resultat der Verkostung älterer Zweigelt-Jahrgänge ist die Erkenntnis, wie hervorragend diese Rebsorte zu reifen vermag. Meist wird der Zweigelt jung getrunken – man erfreut sich seiner ausgeprägten Frucht, der runden Tannine und des ­harmonischen Wesens. Doch im Zuge der aktuellen »Reifeprüfung« wurden Weine verkostet, die 40 Jahre und älter waren. Von Barrique war da noch keine Rede, bessere Gewächse wurden allerdings im großen Eichenfass ausgebaut. In Kombination mit einem halbwegs guten Jahrgang führte das, ordentliche Lagerung der Flaschen ­vorausgesetzt, zu erstaunlichen Ergebnissen. Kaum eine andere rote Rebsorte aus Österreich kann derart lange überdauern, ohne an Charme und Frische einzubüßen, ihre Reifekurve verläuft extrem lange flach.

Seine optimale Trinkreife erreicht ein anspruchsvoller Zweigelt aus einem guten Jahrgang zwischen fünf und zehn Jahre nach der Ernte. Aktuell präsentieren sich die Vertreter aus 2012 in nahezu idealer Verfassung. Für eine Reife darüber hinaus bieten sich eher wärmere und physisch ­reife Jahrgänge an, dann stellen auch 20 Jahre kein Problem dar, im Gegenteil: Viele der im Barrique geschulten Weine entwickeln erst nach zehn und mehr Jahren echten aromatischen Tiefgang – 2004 zeigt sich etwa gerade sehr überzeugend. Unsere »Reifeprüfung« hat gezeigt: Ein guter Zweigelt hat einen überraschend ­langen Atem. Das hat auch mit moderner Vinifikation zu tun. Meint es der Winzer ernst mit Riedenwein und Reserve, entstehen Rotweine, die keine Wünsche offen lassen.

Das Terroir erwacht

Ein weiterer positiver Effekt des Alterns: Herkünfte treten klarer hervor, der Zweigelt zeigt sich plötzlich als Terroirwein. Durchschnittlich kühlere Gebiete wie das Weinviertel bringen Weine mit feiner, floraler Frucht und strukturiertem Körper, jene aus warmen Ecken wie dem Seewinkel werden saftigem Côte-du-Rhône ähnlich. Mit etwas Erfahrung gelingt es, Weine aus »Zweigelt-Hot-Spots« anhand ihrer aromatischen Profile zu unterscheiden und zuzuordnen. Die Regionen Carnuntum und Neusiedlersee eignen sich besonders, um sich ins Thema zu vertiefen. Auch Grands Crus haben sich längst herausgebildet, etwa die Rieden Bärnreiser, Haidacker oder Schüttenberg in Göttlesbrunn, Ried Prädium in Andau, Ried Hallebühl in Frauenkirchen, der Kaiserberg in Halbturn oder die Rieden Ungerberg, Goldberg und Luckenwald am Hangfuß in Gols.

Welche Anbauregionen in Österreich besonderen Wert auf den Zweigelt legen, lässt sich daran ablesen, wo dieser als DAC-Wein angeboten werden darf. In der engsten Herkunftsstufe des Riedenweins findet man Zweigelt als reinsortigen Wein nur als Carnuntum DAC und als Neusiedlersee DAC Reserve, für die ein Ausbau im Holzfass, groß oder klein, vorgeschrieben ist. Auch im kleinen, von Blaufränkisch dominierten Gebiet Rosalia DAC ist Blauer Zweigelt als Reserve in Verbindung mit einer Riedenbezeichnung erlaubt. Und in der neuen Herkunft Wagram DAC ist ab dem Jahrgang 2021 die Sorte als Gebiets- wie auch als Ortswein vorgesehen.
Das Angebot an Spitzen-Zweigelt wächst also weiter. Und wer weiß, vielleicht ist die Sorte in absehba­rer Zeit schon Österreichs Nummer-eins-Wein überhaupt.

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Zweigelt in Zahlen

Welche Bedeutung der Blaue Zweigelt in Österreich hat, zeigen die nackten Zahlen.

  • Der Grüne Veltliner steht mit 14.614 Hektar und einem Anteil von 32,5 Prozent an der gesamten Rebsortenfläche unangefochten an der Spitze der österreichischen Rebsorten. Bereits an die zweite Stelle reiht sich Zweigelt mit 6230 Hektar (13,9 Prozent) ein und  an dritter Stelle liegt der Welschriesling mit 2943 Hektar (6,6 Prozent). Die Gesamtrotweinfläche in Österreich beträgt 13.516 Hektar, das entspricht 30,1 Prozent aller Weinberge.
     
  • Unter den 14 für Qualitätswein relevanten Rotweinsorten liegt der Zweigelt bei einem Anteil von 46 Prozent – beinahe jeder zweite rote Rebstock trägt also diese Sorte. Ähnlich dominant ist nur der Grüne Veltliner mit 48 Prozent aller angebauten Weißweine.
     
  • Angepflanzt wird Zweigelt in allen Anbaugebieten Österreichs, den höchsten Anteil verzeichnet die Sorte in Carnuntum mit 28 Prozent vor Neusiedlersee und Mittelburgenland (je 24,1 Prozent. Am geringsten ist der Anteil in der Weststeiermark. (1,4 Prozent), Südsteiermark (4,3 Prozent), der Wachau (4,6 Prozent), sowie am Eisenberg (4,7 Prozent).
     
  • Im Bundesländervergleich hat der Zweigelt im Burgenland mit 20 Prozent den größten Gesamtanteil, in Niederösterreich sind es 13 Prozent, in Wien sechs Prozent und in der Steiermark nur 5,5 Prozent der Rebfläche.
     
  • Geordnet nach Herkunft und Anbaufläche führt das Weinviertel mit 1863 Hektar vor Neusiedlersee (1501 ha), dem Mittelburgenland (492 ha) und dem Kamptal (462 ha).

Wie schmeckt Zweigelt?

Zweigelt zeigt eine sehr dunkle, in der Jugend fast violett schimmernde Farbe, die sehr langsam verblasst und oft noch nach zehn Jahren so kräftig wie bei frisch gefüllten Weinen ist. In der Nase dominieren attraktive, deutliche Fruchtkomponenten nach Herzkirschen, Waldbeeren und Vanille. Der Wein hat einen runden Körper, ist vollmundig, hat samtige, reife Tannine, süße reife Pflaumenfrucht, frische Feigen, etwas Cassis, die Würze nach Kräutern, Pfeffer, Zimt, einen Hauch von Muskatnuss und Curry. Die Säurestruktur ist dezent und zeigt ein harmonisches Gesamtbild. Bei einer Reifedauer von 15 Jahren entdeckt man dunkle Frucht wie Hollerkoch, reife Heidelbeeren, Lakritze und Backpflaumen, Vanille, Gewürznelken und Aranzini, man findet auch teilweise recht ausgeprägte Nuancen von Pfefferminze und Eukalyptus. Dazu gesellen sich ätherische »After Eight«-Noten, die einen an Australien denken lassen. Weine aus den frühen Neunzigerjahren und älter lassen an gereifte Burgunder denken. Die feine rote Beerenfrucht, blumige Aromen, eine seidige Textur, vergleichsweise gute Säure und auch salzige Nuancen im Abgang werden in einem Burgunderglas gut zur Geltung gebracht.


Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2022

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Peter Moser
Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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