Symbol der Sinnlichkeit: triefender Honig direkt aus den Waben.

Symbol der Sinnlichkeit: triefender Honig direkt aus den Waben.
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Süße Versuchung: Stadthonig

Imker galten lange als angestaubt und uncool. Eine junge Generation aus den Großstädten erfindet Honig gerade neu – und rettet vielleicht nebenbei die Bienen.

Seit einiger Zeit spielt sich vor unserer Haustür ein Genozid ab. Tausende von Völkern werden vernichtet, verhungern, gehen erbärmlich zugrunde, weil man ihnen den Lebensraum nimmt. Vielleicht haben Sie davon gelesen, denn das Thema ist groß be-handelt worden in den vergangenen Monaten. Die Vereinten Nationen haben es auf die Tagesordnung gesetzt, Experten beraten darüber auf Gipfeln, die deutsche Landwirtschaftsministerin hat die Betroffenen gar als »systemrelevant« eingestuft. Dafür, dass sie so klein sind, wurden über Bienen in letzter Zeit viele große Worte verloren. Als schuldig an ihrem Exitus gelten Landwirte und Agrarkonzerne, die mit Pestiziden den Lebensraum der kleinen Insekten stetig zunichte machen. Wenn es so weitergeht, so die Weltuntergangspropheten, dann wird es bald nichts mehr geben, kein Obst, kein Gemüse, kein Brot, kein Fleisch. Vielleicht ist das Schwarzmalerei. Sicher ist auf jeden Fall, dass sich erst vereinzelt, zuletzt aber immer prominenter eine Gegenbewegung formiert hat. Wenn auf dem Land weniger Bienen leben, muss man sich eben um die Stadtbienen kümmern. Das haben Imker einer neuen Generation übernommen, die nicht nur exzellenten Honig produzieren, sondern ihn auch zeitgemäß vermarkten.

Sizzerbees

Edward Obika, 42, ist einer von ihnen. Dienstag, Mittwoch und Donnerstag arbeitet er als IT-Spezialist in München. Von Freitag bis Montag wechselt er in seinen Zweitjob. Dann ist er Herr über Bienenschwärme, die es gemessen an der Zahl der Individuen mit Berlin aufnehmen könnten: 3,6 Millionen Bienen, verteilt auf 60 Völker. Im Münchner Stadtteil Feldmoching, im ehemaligen Bauernhaus seiner Großeltern, befindet sich Obikas Basis. Hier stehen die meisten Bienenstöcke, hier hat er seine Auto-Anhänger, mit denen er die Bienen an aussichtsreiche Spots in München bringt – wie ein Viehbauer seine Herde. »Ich wandere mit den Bienen gezielt durch die Stadt«, sagt Obika. »Ich bringe sie zu Alleen, Parks und Friedhöfen.« Ihr großer Vorteil im Vergleich zu Wildbienen auf dem Land: In der Stadt darf nicht gespritzt werden, die Blüten sind nicht mit Schadstoffen belastet, so wie häufig bei den großen Monokulturen in der Provinz. So kann Obika sortenreinen Akazienhonig in Bioqualität verkaufen, köstlichen Sommerhonig oder aromatisch-wilden Waldhonig.

Sein Sortiment bietet er unter dem Namen Sizzerbees an. Der Name ist eine Reverenz an sein altes Leben als DJ, als er unter dem Namen »Edward Sizzerhands« in coolen Clubs auflegte. Damals lebte Obika in Schwabing. Beim Joggen durch den Schlosspark sah er zum ersten Mal einen Imker, der sich im weißen Raumanzug um seine Bienen kümmerte. Obika blieb stehen, machte Fotos mit seinem Handy – und saß ein paar Monate später im Hobbyimker-Abendkurs.

Inzwischen lebt er auf dem Hof seiner Großeltern, macht gerade seinen Meister als Imker, und wenn es ein gutes Jahr wird, dann haben seine Bienen am Ende vier Tonnen Ware geliefert. Einmal pro Woche fährt er den Honig in der Stadt aus, und wenn man ihn fragt, ob ihn das glücklich macht, dann sagt er: »Auf jeden Fall.«

Viktoria Schmidt unterstützt mit ihrem Start-up Hobbyimker. Sie hat eine Honig-Verpackung entwickelt, die in jeden Briefkasten passt.
© Susie Knoll
Viktoria Schmidt unterstützt mit ihrem Start-up Hobbyimker. Sie hat eine Honig-Verpackung entwickelt, die in jeden Briefkasten passt.

Nearbees

Im Stadthonig, dem Produkt des »urban beekeeping«, wie das Phänomen global genannt wird, kommen verschiedene Großtrends zusammen. Sei es die Achtsamkeit, die neuerdings gern propagiert wird, die vermehrte Hinwendung zu nachhaltigen Lebensmitteln, Manufaktur-Produkte, Regionalität – all das vereint der Honig vom deutschen Klein-Imker schon seit Jahrzehnten. Nur an der Außendarstellung haperte es lange. Bis die Großstädter übernahmen.

Golden Girls Honey

Ann und Julia Böning führen im Hauptberuf eine Agentur in Hamburg, die sich auf Postproduktion spezialisiert hat: Sie bearbeiten Werbespots und Fotos nach, bis sie auf Hochglanz poliert sind. Als sie aus Interesse einen Imkerkurs absolvierten und im Anschluss einen Bienenstock aufs Dach ihrer Agentur stellten, war klar: Von ihrem Job profitiert auch ihr Hobby. Unter dem Label »Golden Girls Honey« verkaufen sie nun Honig made in Hamburg – und ihr hübsch designtes Glas könnte ebenso edle Kosmetik enthalten – wobei: Bienenwachs für Hipsterbärte gibt es bei den neuen Großstadt-Imkern natürlich auch zu kaufen.

Kein Honigglas sieht so hübsch aus wie ihres: Julia und Ann Böning machen Honig zum Lifestyle-Produkt.
Foto beigestellt
Kein Honigglas sieht so hübsch aus wie ihres: Julia und Ann Böning machen Honig zum Lifestyle-Produkt.

Für die rund 120.000 deutschen Hobbyimker ohne Händchen fürs Design gibt es trotzdem eine Lösung, um ihr Marketing zu verbessern. An der Schnittstelle zwischen Kunde und Anbieter setzt Viktoria Schmidt an. »Wir sind das Airbnb für die Imkerszene«, sagt die 30-Jährige. Mit dem mehrfach ausgezeichneten Start-up NearBees bieten sie und ihre Partner Imkern von München aus einen Online-Marktplatz für ihren Ho-nig, liefern ihnen Verpackungen, die gut aussehen und in jeden Briefkasten passen.

Vielleicht ist das der richtige Ansatz, ­den Deutschen den eigenen Honig wieder schmackhaft zu machen – bislang kommen noch vier von fünf Gläsern aus dem Ausland, insbesondere aus Chile und Argenti­nien. Denn ein so vielseitiges, aromatisches und gesundes Lifestyle-Produkt (Honig enthält ähnliche Stoffe wie Olivenöl) könnte sich kein Werber ausdenken.

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2018

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Philipp Elsbrock
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