Bei der Ernte werden die scharfen Blätter der Agave manuell abgehobelt. Jährlich werden ca. 2,3 Millionen Tonnen der Blauen Agave (Agave tequilana) verarbeitet.

Bei der Ernte werden die scharfen Blätter der Agave manuell abgehobelt. Jährlich werden ca. 2,3 Millionen Tonnen der Blauen Agave  (Agave tequilana) verarbeitet.
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Tequila: Warum das mexikanische Nationalgetränk eine Gabe der Götter ist

Der Tequila, das wissen die Mexikaner, ist eigentlich ein Geschenk des Himmels. Der Legende nach schlug einst ein Blitz in eine Agave ein, aus der daraufhin eine milchige Flüssigkeit austrat, die ein des Weges kommender Azteke recht euphorisierend fand. Bis aus dem ursprünglichen Getränk die Nationalspirituose wurde, die wir heute als Tequila und Mezcal kennen, dauerte es freilich eine ganze Weile.

Seine Geschichte ist die eines großen Missverständnisses. Der Agavenbrand, in seiner Heimat geliebt, in den USA gehyped, ist im deutschsprachigen Raum bei vielen geächtet oder, wenn nicht, zumindest unterschätzt. Mit vielen Klischees hat er jedenfalls zu kämpfen. Teils basieren sie auf Unwissen und schlechten Erfahrungen, teils entstammen sie schlicht dem Reich der Legenden.

So etwa die hartnäckige Mär vom Wurm im Tequila, der ein Zeichen besonderer Güte sein soll. Heute ist der Wurm – der ohnehin meist eher eine Schmetterlingsraupe ist –  bloß ein Werbegag. Zumindest einen wahren Kern hat das Märchen, denn historisch gesehen hatte die Zugabe einer Larve durchaus ihren Zweck. In früheren Zeiten, als Agavenbrände unreguliert und oft recht unsauber destilliert wurden, war die Larve tatsächlich ein Indikator für Qualität. In methanolhaltigem Fusel hätte sie sich in kürzester Zeit aufgelöst, während reine Destillate sie konservieren. Heute ist sie angesichts der hohen Qualitätsstandards nichts anderes als ein Gimmick.

Bleibt die Frage, wie man sich als Genießer dieser zwielichtig beleumundeten Spirituose nun am besten annähern soll. Zuerst hilft die nüchterne Betrachtung der Fakten.

Tequila und Mezcal bringen gleichermaßen alles mit, was Spirituosenfans an anderen Kategorien wie Whisky, Rum oder Cognac über alle Maße schätzen. Sie haben eine jahrhundertealte Tradition, sie verfügen über eine beachtliche aromatische Vielfalt, sie sind im wahrsten Sinne »handmade«. Ihre Produktion ist eine der anspruchsvollsten überhaupt, zudem zählen sie zu den am stärksten regulierten Spirituosen der Welt. Das zeigt sich schon an der Namensgebung: Tequila darf seit 1964 nur in bestimmten Regionen Mexikos hergestellt werden, während der Begriff Mezcal lange Zeit für alle Agavenbrände Mexikos verwendet wurde. Erst seit 1994 greift auch bei Mezcal eine geschützte Herkunftsbezeichnung. Damit gehören sie (wie der Champagner) zu den wenigen Getränken der Welt, die nur in streng begrenzten Regionen produziert werden dürfen.

Auch in Mexiko wird Tequila fallweise mit Limette oder Zitrone und einem Schälchen Salz serviert. Sich Salz auf die Hand zu streuen und in eine Zitronenspalte zu beißen, ist aber ein rein europäisches Trinkritual.
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Auch in Mexiko wird Tequila fallweise mit Limette oder Zitrone und einem Schälchen Salz serviert. Sich Salz auf die Hand zu streuen und in eine Zitronenspalte zu beißen, ist aber ein rein europäisches Trinkritual.

Eine sensible Pflanze

Beschränkt man die Produktion eines Liquids auf ein eng gefasstes Gebiet, kommt man um das Thema Terroir nicht herum. Beim Tequila erstreckt sich dieses über die Regionen Nayarit, Michoacán, Guanajuato, Tamaulipas und Jalisco, aus denen 90 Prozent der produzierten Menge stammen. Die Anbauflächen reichen von den »Lowlands« auf 600 Höhenmetern bis hinauf zu den »Highlands« auf über 2000 Metern.

Mehr als 140 Agavensorten sind in Mexiko heimisch, etwa 50 davon werden zur Produktion von Mezcal verwendet, doch nur eine, die Agave Tequilana Weber Azul (dt. Blaue Weber-Agave), darf für echten Tequila genutzt werden. Für seine aromatische DNA spielt das Terroir nicht die Hauptrolle – dafür sind Faktoren wie Fermentation, Destillation und Reifung zu einflussreich –, aber es verleiht dem Endprodukt ein Grundprofil. In den niedrigeren Lagen von Nayarit und Jalisco sind kräuterlastige, würzigere Aromen zu finden, während Agaven aus den Hochlagen eher florale und süßere Profile aufweisen.

Die Agave selbst ist eine sensible Pflanze. Und ein von Natur aus rares Gut. Von der Pflanzung bis zur Erntereife vergehen je nach Anbaugebiet zwischen sechs bis acht (Tiefland) und acht bis zwölf Jahre (Hochland). Vorausplanung ist daher alles.

Ist die Agave erntereif, beginnt die Arbeit. Eine Agave – genauer gesagt: ihr Herz, auch Piña genannt – wird per Hand geerntet. Bis zu 100 Kilo ist es schwer, es wird mit Äxten in kleine Stücke zerteilt und zum Garen in Backsteinöfen oder großen Dampföfen aus Edelstahl verfrachtet. Das dauert bis zu 24 Stunden und wandelt das in den Piñas enthaltene Inulin in Fructose um – die Basis der späteren Vergärung.

Hier unterscheidet sich der Mezcal vom Tequila, was deutliche Geschmacksunterschiede zur Folge hat. Die Herstellung des Mezcals ist tatsächlich weitaus ursprünglicher. Die Agavenherzen werden über mehrere Tage in Erdgruben (Palenques) gegart. In ihnen brennen Feuer, die mit  Vulkangestein und den Piñas abgedeckt und mit Erde zugeschaufelt werden. Die Herzen nehmen das Aroma des Rauchs und des Bodens an. Das verleiht dem Mezcal ein Geschmacksprofil, das man von getorften Whiskys kennt.

An beide Garprozesse schließt sich das Entsaften der Piñas sowie eine Fermentation an, bei der oftmals natürliche Hefen, die ursprünglich auf den Agavenpflanzen gedeihen, zum Einsatz kommen. Je länger die Gärung dauert, desto körperreicher und aromatischer wird der Brand.

Erneut zeigt sich hier die Ursprünglichkeit des Mezcals im Vergleich zur mittlerweile professionalisierten Tequila-Herstellung. Je nach Verfügbarkeit und Tradition kommen alle möglichen Arten von unverschlossenen Gefäßen zum Einsatz. Ausgehöhlte Baumstämme, Natursteinwannen, große Holzfässer – der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt!

Nach der Vergärung der Agavenherzen wird die Maische mit jahrhunderte- alten Methoden entsaftet.
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Nach der Vergärung der Agavenherzen wird die Maische mit jahrhunderte- alten Methoden entsaftet.

Auf zum flüssigen Gold

Destilliert werden Tequila und Mezcal übrigens immer mindestens zweifach in Pot Stills, auf einen dritten Brennvorgang setzen Tequila-Hersteller bei Blanco- und Reposado-Qualitäten, die so einen besonders fruchtigen Charakter bekommen. Mezcal wäre nicht Mezcal, wenn er es nicht auch hier wilder treiben würde. Anders als beim Tequila, wo man den reinen Agavenwein abdestilliert, wird bei Mezcal oft die Maische mit allen Bestandteilen – also inklusive der Fasern der Agave – gebrannt. Aber es geht noch ursprünglicher. Bei einigen Mezcals, den Pechugas (»Mezcal mit Brust«), werden dem Destillat Früchte und Gewürze beigemischt. Als Krönung werden in den Helm der Brennblase rohe Fleischstücke von Huhn oder Lamm gehängt, über die der Destillationsdampf geleitet wird. Das Ergebnis ist einzigartig.

Bei der Destillation zeigt sich übrigens das europäische Erbe: Es gibt wenig, wofür man den spanischen Konquistadoren aus heutiger Sicht dankbar sein muss (immerhin schlugen sie eine Schneise der Verwüstung und tilgten die Kultur der indigenen Bevölkerung fast vollständig), und doch gäbe es ohne sie vielleicht keinen Tequila. Erst die europäische Destillierkunst war es, die aus dem säurlichen Agavengebräu »Pulque«, das die Azteken kannten, eine Spirituose machte. Tequila und Mezcal sind damit die ersten eigenständigen Spirituosen Nordamerikas, deren Geschichte mit dem Ende des Aztekenreiches um 1521 begann.

Apropos Azteken: Sie glaubten, der alkoholische Agavensaft sei Mayahuel, der Göttin der Agave, zu verdanken. Sie wollte damit nach ihrem Tod nicht nur das Leid ihres Geliebten – niemand Geringerer als Schöpfergott Quetzalcoatl – lindern, sondern auch die Menschen glücklich machen. Zumindest Letzteres scheint ihr gelungen zu sein.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 09/2023

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Anton Thaler
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