© Shutterstock

Von Trattoria bis Izakaya: Warum das Konzept »Wirtshaus« auf der ganzen Welt funktioniert

Wo zelebriert der Franzose das gute Leben? Wo kommt der Italiener mit der Familie zusammen? Wo begießt der Japaner den Arbeitstag? An einem heimeligen Ort mit hundert Namen. Wir stellen Ihnen sieben landestypische Gaststätten vor.

Wir kennen und lieben das Wirtshaus, die Beiz, die Kneipe. Diese Begriffe lassen sich nicht eins zu eins auf andere Länder übertragen, denn jede landestypische Gastronomie hat ihre eigene Tradition. Doch es bestehen kulturübergreifende Gemeinsamkeiten: Wir sprechen von Orten für jedermann, nicht von elitären Etablissements. Auf den Teller kommt Bodenständiges, häufig gibt es alkoholische Getränke. Hier offenbart sich die Seele des Volkes. Die Menschen reden frei von der Leber weg, manchmal derb. Sie besprechen die neusten Gerüchte und schimpfen auf die Politik. Und sie feiern das Leben, die großen Erfolge und kleinen Triumphe. Ob in Griechenland, Mexiko oder Japan: Was wir Wirtshaus nennen, hält mehr bereit als eine warme Mahlzeit und einen gepflegten Rausch. Es geht um Geselligkeit, Austausch und Palaver. Und ein wenig Trost, wenn man ihn gerade braucht.

Frankreichs Bistro – Geselligkeit und gutes Essen für jede Tageszeit

© Shutterstock

Die französische Bistroküche hat die internationale Gastronomie verändert, sich unter andere kulinarische Welten gemischt und reichlich Sterne gewonnen. Sie ist dem Trottoir entstiegen und in Spitzenrestaurants eingekehrt. Doch die Essenz des Bistros ist simpel: In ungezwungener Atmosphäre bekommt man französische Klassiker, Croissant und Croque, Quiche und Zwiebelsuppe, Pot au Feu und Tartare de bœuf. Im Vergleich zur Brasserie, die ihren Ursprung in Bierstuben hat, gestaltet sich die Auswahl an Speisen tendenziell überschaubar. Der Gast ist zu jeder Tageszeit willkommen wie in einem öffentlichen Wohnzimmer und genießt das angenehme Privileg, »sich wie zu Hause und zugleich auswärts zu fühlen, aufgenommen und nicht weiter beachtet zu werden«, wie es der Ethnologe Marc Augé in seiner Liebeserklärung an das Pariser Bistro formuliert. Das Bistro sei eine »Bühne des alltäglichen Schauspiels«, das die Menschen aufführen, mit dem Wirt als Meister. Man lauscht Geschichten, die die eigene Fantasie beflügeln. Vor allem aber ist das Bistro ein Ort, der wie kein anderer für französische Lebenskunst steht. Trotz all der Zumutungen des Alltags darf man nie den Sinn für Genuss, Stil und Ästhetik verlieren – darauf ein Gläschen Chablis oder Champagner.


Italiens Trattoria und Osteria –Die Wiege der Gastfreundschaft 

© Shutterstock

Rustikale Holztische, rot-weiß karierte Tischdecken, Familienfotos an der Wand und herzliche Gastgeber, die einem »buona sera« wünschen: So stellen wir uns eine typisch italienische Gaststätte vor. In Italien kennt man die Trattoria und Osteria, die sich mit ihrem rustikalem Charme und günstigen Preisen vom Ristorante abgrenzen. Das Erfolgsrezept ist simpel: »Für mich machen eine familiäre Atmosphäre und einfache Gerichte eine Trattoria aus«, sagt Franca Cuneo von der Trattoria »Cuneo 1905« in Hamburg, einer der ältesten ihrer Art in Deutschland. Was zählt, ist das Miteinander. »Sie ist ein Treffpunkt, an dem man essen kann, aber nicht muss.« In einer Trattoria bekommt man meist mehrere Gänge: Vorspeise, Pasta, Secondi piatti, Dessert. In der Osteria werden eher einzelne Speisen serviert, gleichermaßen wichtig ist der Wein. Allerdings lassen sich die Begriffe oft nicht trennscharf voneinander abgrenzen. Und sie werden längst auch von der Spitzenküche aufgegriffen, man denke etwa an den Gourmettempel »Osteria Francescana« in Modena. An einen Rat kann man sich freilich halten: Wer unbedingt eine Pizza möchte, sollte eine Pizzeria aufsuchen.


Japans Izakaya – Richtig Abspannen mit Sake und sündhaft leckerem Soulfood

© Shutterstock

Die Izakaya ist ein Ort, an dem sich Japaner nach der Arbeit mit Kollegen treffen, um in geselliger Runde zu speisen und bei Bier und Sake den Tag ausklingen zu lassen. Das fördert den Zusammenhalt, erst recht, wenn reichlich Alkohol fließt. Nomikai heißen solche fröhlichen Zusammenkünfte. Begleitung ist für den Besuch einer Izakaya aber nicht erforderlich. »Oft gibt es auch einen Einzelsitzplatz am Tresen, an dem man allein Spaß haben kann«, sagt Haruhiko Saeki, Gründer von Brickny Europe, die mehrere japanische Restaurants in Düsseldorf betreiben. Man beginnt mit einem leichten Sashimi oder klassischen Vorspeisen wie Yakitori und Tempura, danach folgt ein Reis- oder Nudelgericht wie Ramen. Die japanische Gaststätte passt bestens zu einer Gesellschaft, in der die meisten Menschen ihrem Job alles andere unterordnen. »Japaner neigen dazu, lange Arbeitszeiten zu haben, und die Izakaya ist eine unverzichtbare Institution, um sich von der Erschöpfung zu erholen und frische Energie für den kommenden Tag zu tanken«, erklärt Saeki. Zumindest solange man es mit dem Gelage nicht übertreibt.    


Polens Milchbar – Der sozialistische Schnellimbiss

Bar Bambino.
© Antoni Wladyka
Bar Bambino.

Das traditionelle Landgasthaus in Polen ist das »Karczma«. Doch der wahrlich ikonische Ort der polnischen Esskultur ist die Milchbar, »Bar Mleczny«. Das Menü steht an der Wand über der Kasse, man bestellt und geht mit seinem Zettel zum nächsten Fenster, wo einfache polnische Hausmannskost ausgegeben wird, etwa Rote-Bete-Suppe (Barszcz), Eintöpfe, Kohlrouladen, Teigtaschen (Pierogi) und süße Milchsuppe mit Nudeleinlage zum Frühstück. Die erste Milchbar Polens entstand 1896 in Warschau. Ihr Eigentümer besaß Kühe und musste die schnell verderbliche Milch unter die Leute bringen, so verkaufte er haltbare Milchspeisen. Das Konzept überzeugte, andere zogen nach. Die Milchbar stieg auf zur Volkskantine, zog ein in Schulen und Fabriken. Für den Warschau-Kenner Antoni Wladyka ist sie der demokratischste Ort in Polen. »Die ganze Nation kam hier zusammen«, sagt er. »Es sah aus wie in Omas Küche.« Die Kommunisten taten dann so, als wäre die Milchbar eine sozialistische Erfindung, denn sie passte zur Ideologie: Jeder ist gleich. Vor allem aber gleich arm. Spätestens mit dem Zerfall der Ostblocks stürzte die Kantine für die Massen in die Krise. Überall in Polen entstanden Fast-Food-Restaurants wie McDonald’s. Heutzutage gilt die Milchbar als angesagtes Kulturgut und erlebt eine Renaissance. Eine authentische Bar Mleczny muss man jedoch teils lange suchen. Oft hat nur der Name überlebt.  


Griechenlands Taverna – Unzählige Gläser Ouzo und Unmengen Tzatziki

© Shutterstock

Es ist jedes Mal das gleiche Spektakel. Der erste Ouzo geht runter wie Öl. Auch der zweite fühlt sich recht bekömmlich an. Einer geht noch, aufs Haus. Spätestens der dritte Schnaps weckt beim ersten Gast am Tisch eine gewisse Scheu, dabei scheint noch kein Ende in Sicht. Denn die Augen des Kellners strahlen eine Lebensfreude aus, der man sich nicht verschließen möchte, auch wenn das den sicheren Kater beschert. In der Taverna gehören Essen und Trinken einfach zusammen. Kaum ein anderer Ort fühlt sich so griechisch an, so gastfreundlich und warmherzig. Auf den Tisch kommen Spanakopita und Saganaki, Dolmades und Fasolada, Souvlaki und Oktopus. Die Spezialitäten werden selbstverständlich geteilt. So sitzt man bis tief in die Nacht zusammen und plaudert. Die Einkehr in einer Taverna gehört zum Griechenland-Urlaub wie die Akropolis zu Athen. Doch auch aus vielen deutschen Städten sind die urigen Familienbetriebe, deren Namen oft an die Sehnsuchtsorte in Hellas erinnern, kaum mehr wegzudenken. In trostlosen Wintern kann man dort die Augen schließen und sich ans Mittelmeer träumen, auf eine Terrasse vor einem weißgetünchten Haus mit Blick auf die azurblaue Ägäis.    


Amerikas Diner – Auftanken für alle

© Shutterstock / Jon Chica

In den USA spielt das Alltagsleben vieler Menschen in Suburbia, in der Vorstadt. Der Amerikaner läuft ungern, sondern fährt Auto, selbst kürzeste Strecken. Ein Dasein »on the road« gehört gewissermaßen zu seinem Selbstverständnis. Deshalb gilt das Diner – ein Schnellrestaurant am Straßenrand – als Symbol für den American Way of Life, es gehört zum kulturellen Inventar des Landes. Singer-Songwriter Martin Sexton besang es: »Diner my shiny shiny love, in the night you’re all I’m thinking of.« In der Kultserie »Twin Peaks« spielen viele Szenen im »Double R Diner«. Film-Teenager schlürfen dort ihre Milkshakes. Die ersten Diner, die im 19. Jahrhundert entstanden, waren mobile Essenswagen für Arbeiter. Im Lauf der Zeit wurden sie sesshaft, mit Barhockern und Sitzecken unter einer Hülle aus Stahl, Restaurants für die ganze Familie. Rund um die Uhr bekommt man Kaffee und Kuchen, Burger und Sandwiches. Und ein ermunterndes Wort der Bedienung. Diner verströmen eine seltsame Melancholie, wie sie Edward Hopper mit seinem weltberühmten ­Gemälde »Nighthawks« einfing. Es sind auch Rückzugsorte für die Einsamen und ­Geschundenen, die eine Pause brauchen von den Härten des Schicksals, wenn sie der Glaube an das Aufstiegsversprechen Amerikas verlassen hat.


Mexikos Cantina – der Wohl schönste Ort, sich zu betrinken 

© Shutterstock / Dennis MacDonald

Sie ist mehr Kneipe als Wirtshaus, aber eben keine generische Bar, wie man sie schick und aufpoliert in allen größeren Metropolen findet: die Cantina. Man bekommt Bier und Tequila, dazu Botanas, Appetizer. Die Ähnlichkeit mit einem Saloon, wie man ihn aus Westernfilmen kennt, ist nicht zufällig. Geschäftstüchtige Mexikaner eröffneten die ersten Cantinas für durstige US-amerikanische Soldaten. Das war um 1847, als die Vereinigten Staaten einen Krieg gegen Mexiko führten und die Hauptstadt besetzten. Dass daraus ein kulturelles Erbe erwachsen sollte, ahnte damals niemand. Jahrzehnte blieb die Cantina eine Männerwelt für halbseidene Gestalten und Trinker. Die trifft man auch heute noch an, aber auch Frauen wird nun der Zutritt gewährt.  Eine legendäre Cantina in Mexiko-Stadt ist der »Salón Tenampa« an der Plaza Garibaldi, dem Ort der Mariachi-Sänger im historischen Zentrum. Ein Mythos, der von Ruhm und Geschichte lebt.  


Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Philipp Laage
Mehr zum Thema
Wirtshaus
Wirtshaustradition: Alles Wirt gut
Das Wirtshaus ist seit Jahrhunderten Teil unserer Kultur. Doch die Zeiten sind schwieriger...
Von Benjamin Cordes, Moritz Hackl, Sebastian Späth, Ingo Swoboda, Anna Wender