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»Kirchspiels«: Das Gasthaus des Altkanzlers

In Nortorf, im Herzen von Schleswig-Holstein, führt Wirt Ulf Heeschen das Kirchspiels Gasthaus in sechster Generation. Seit 169 Jahren stehen hier Gastfreundschaft und die Leidenschaft für regionale Küche im Mittelpunkt – letztere zog sogar Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt regelmäßig als Stammgast an.

In Nortorf, genau im Herzen von Schleswig-Holstein, steht ein Wirtshaus, das seit 169 Jahren in Familienbesitz ist: Kirchspiels Gasthaus. »Hier einzukehren, muss sich wie zu Hause anfühlen«, sagt Wirt Ulf Heeschen, der den Betrieb in sechster Generation führt. Der Name stammt noch aus der Zeit des Nortorfer »Kirchspiels«, dem damaligen politischen Bezirk.

Dass sein Haus so zentral liegt, ist für Ulf Heeschen wie ein Sinnbild für die soziale Bedeutung von Gasthäusern. »Ein Gasthaus zu betreiben, bedeutet Verantwortung. Nicht nur gegenüber den Mitarbeitern, sondern auch gegenüber den Gästen. Wir spielen eine große Rolle für das soziale Gefüge und Miteinander«, sagt Heeschen. »Viele unserer Stammgäste kommen schon seit Generationen. Sie kommen, weil sie wissen, dass sie hier glücklich wieder rausgehen. Diese Verlässlichkeit bedeutet mir viel.«

Regional verwurzelt

Heeschens Großvater war nebenher noch Landwirt, lange Zeit stattete das Gasthaus die Sargträger mit ihrer Kluft aus. Sogar das Kirchenbüro der Gemeinde war hier schon beheimatet.

 

Gasthäuser und Sternerestaurants haben das gleiche Ziel: Sie wollen ihre Gäste zufrieden machen. Nur der Weg dorthin ist unterschiedlich.

 

Nach seiner Ausbildung in Husum begab sich Ulf Heeschen auf Wanderschaft durch einige der besten Restaurants der Republik. Dabei war für ihn von Beginn an klar, dass er eines Tages in das Gasthaus zurückkehren würde, in dem er aufgewachsen ist. Sein ehemaliges Kinderzimmer ist nun ein Hotelzimmer.

Ulf Heeschen führt das Gasthaus in sechster Generation
Ulf Heeschen führt das Gasthaus in sechster Generation

»Gasthäuser und Sternerestaurants haben das gleiche Ziel: Sie wollen ihre Gäste zufrieden machen. Nur der Weg dorthin ist unterschiedlich.« Sein Weg: Eine regional verwurzelte und zugleich maßvoll weltoffene Küche mit großem Bewusstsein für Qualität. Sowohl bei den Produkten als auch deren perfekter handwerklicher Verarbeitung.

Wild aus eigener Jagd

Kirchspiels Gasthaus ist Mitglied im qualitätsorientierten Produzenten- und Gastronomen-Netzwerk »Feinheimisch«. Der Fisch kommt aus dem Nord-Ostsee-Kanal und einer nahegelegenen Zucht, auch die Metzgerei ist keine halbe Stunde von hier entfernt. Der Käse stammt vom Biobetrieb Backensholz und wurde schon mehrfach prämiert.

Hirschrücken in der Pfanne: Das Wild schießt Ulf Heeschen entweder selbst oder erhält es aus den umliegenden Revieren.
Hirschrücken in der Pfanne: Das Wild schießt Ulf Heeschen entweder selbst oder erhält es aus den umliegenden Revieren.

Das Wild schießt Wirt Ulf Heeschen entweder selbst oder erhält es aus den umliegenden Revieren, etwa vom Gut Bossee am Westensee. Rund um Nortorf gibt es Hirsche, Rehe, Wildschweine und viel Niederwild, vom Hasen bis zum Kaninchen. »Wild wird bei uns ohnehin viel bestellt. Und wenn dann noch mein Name als Erleger druntersteht, umso besser«, scherzt Wirt Ulf Heeschen. Die Wildleber gibt es hier mit gebratenen Zwiebeln, karamellisierten Apfelspalten und Pertersilienwurzel-Püree.

Zimmer Nummer 9

Andere Klassiker auf der Karte sind die Consommé vom Emkendorfer Damkalb, Zanderfilet mit Speckstippe und Bäckerin-Kartoffel oder Cordon-Bleu vom Stafstedter Limousin-Kalb mit Backensholzer Deichkäse.

Ein echter Evergreen: die Gurkenrahmsuppe. »Die wurde hier vor 40 Jahren eingeführt, da war ich noch gar nicht auf der Welt«, sagt Heeschen. Ihr Geheimnis: Die Balance aus Cremigkeit und feiner Säure durch den Gurkenessigfond. »Wenn die von der Karte fliegen würde, gäbe es einen Aufstand.«

 

Und danach: Besteck beiseite, Zigarette an.

 

Einer, der die Küche des Gasthauses offenbar sehr zu schätzen wusste, war Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Dessen Freizeit-Domizil am Brahmsee war keine zehn Kilometer vom Gasthaus entfernt. Bis zu seinem Tod war Schmidt hier Gast, die letzten Jahre auch stets zu Silvester. Die Treue des Staatsmannes ging sogar so weit, dass während seiner Kanzlerschaft ein Zimmer des Gasthauses als Büro für seine Sekretärin eingerichtet war. Mit Standleitung nach Bonn. »Das war in Zimmer 9«, erinnert sich Heeschen. Schmidts Lieblingsgericht: Carpaccio. »Dazu hat er immer ein »Jubi« bestellt – einen Jubiläumsaquavit. »Und danach: Besteck beiseite, Zigarette an.«


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Benjamin Cordes
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