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»Koche' isch G'schäft«: So die Devise von Autor Hannes Finkbeiner

Eigentlich stammt er aus einer Gastwirtsfamilie, statt für die Übernahme des elterlichen Betriebs entschied er sich jedoch für eine Journalistenlaufbahn. Seine Liebe zur authentischen Wirtshausküche seiner Kindheit ist dennoch ungebrochen – und sogar ansteckend.

Meine Großmutter pflegte ­zu sagen »Koche' isch G'schäft«. Für Nicht-Schwaben: Das bedeutet wörtlich übersetzt »Kochen ist Arbeit« – wofür meine Großmutter zu Lebzeiten ein tadelloses Beispiel abgab. Sie führte einen Gasthof im Nordschwarzwald. Auf der Gefühlsebene meinte sie mit ihrem Spruch aber vor allen Dingen eins: Kochen ist eine Heidenarbeit, die stresst, Kraft kostet und aufs Kreuz geht – sofern frisch gekocht wird.

Klar, heutzutage können Betriebe oft gar nicht mehr anders, als mit Fertigware zu wirtschaften, das will ich nicht bestreiten. Umso mehr Bedeutung gewinnen die­jenigen, die auch in widrigen Zeiten das Kochhandwerk hochhalten und auf Frische setzen. Erst neulich hatte ich im »Weinhaus Neuner« in München einen sensationell mürben Tafelspitz mit Blattspinat, Salz­kartoffeln und Kren. Heidenarbeit. Oder ­im »Heinrich« bei Hannover eine heraus­ragende knusprige Bauernente mit Apfel-Rotkraut, Kartoffelklößen und Beifußjus. Sie ahnen es: Heidenarbeit. Oder im ­»Gasthof zum Bad« bei Freudenstadt im Schwarzwald die beste Flädlesuppe meines Lebens, danach einen grundsoliden Sauerbraten mit hauchfeinen Spätzle, handgeschabt vom Brett – da greifen selbst engagierte Köche und Köchinnen lieber zur Presse, weil – ich weiß, ich wiederhole mich: Heidenarbeit.

In letzterem Lokal sieht man auch hin und wieder Köche und Köchinnen aus dem angrenzenden Baiersbronner Luxushabitat über einem Teller Leberknödel in Sinn­krisen verfallen. Wirtshausessen ist im Genussspektrum simpler gestrickt als die »Kompositionen« und »Trilogien« der Sterneküche, aber deswegen oft zugänglicher und eingängiger. Wirtshausessen will vom Gast auch nicht so viel – und holt die Leute mehr bei den Geschmacksbildern ihrer Kindheit ab. Oder es wird genau mit dieser Erwartung gespielt: etwa, wenn Alexander Koblinger in »Döllerers Wirtshaus« bei Salzburg zur gebratenen Blutwurst mit knusprigem Kartoffelstroh einen Sake ­einschenkt. Oder wenn bei Oliver Friedrich im »Alten Torkel« in Graubünden ein re­gionaler Pinot-Noir-Süßwein über Zwetschgenröster spielerisch zum Kaiserschmarren findet.

Hausgeräucherter Speck auf der »Enzianhütte« in Zell am See, Capuns in der »Ustria Stiva Grischuna« in Sagogn oder Schnitzel im »Gasthaus Jennerwein« am Tegernsee: Niemals in den letzten Jahren war der Wunsch nach festen Genusswerten höher als in unseren aktuell so unruhigen Zeiten. In einem guten ­Wirtshaus ist es auch herzlich egal, ob man Stammgast ist. Ein gutes Wirtshaus verlässt man immer satt, manchmal mit leicht einem an der Krone, die einem der aufmerksame Service aufgesetzt hat, und nicht zuletzt mit dem Gefühl, ein will­kommener Gast gewesen zu sein. Hand aufs Herz: Wo fühlt man sich mehr zu ­Hause unter Fremden als im guten Wirtshaus?

Hannes Finkbeiner ist ausgebildeter Restaurantfachmann, Journalist und Autor mehrerer Kochbücher und Romane.
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Hannes Finkbeiner ist ausgebildeter Restaurantfachmann, Journalist und Autor mehrerer Kochbücher und Romane.

Die Gastgeber verleihen einem Betrieb eben erst die Persönlichkeit, stecken ihr ganzes Herzblut in die Sache. Manchmal auf Kosten der eigenen Gesundheit, Freizeit und des Familienlebens. Gerade in Wirtshäusern, wo oft keine Armada an Fachkräften hinterm Herd steht, wird die ganze Familie in den Betrieb involviert. ­Die Kinder tragen Getränke weg, die Oma schnippelt den Kartoffelsalat. Trotzdem wird frisch und gut gekocht, auch weil diese Tradition oft über Generationen gepflegt wird. Abstriche in der Qualität werden wie ein persönliches Versagen empfunden. An all das sollte man vielleicht öfter denken, wenn man in einem Wirtshaus sitzt und da ein bisschen wenig Pfeffer oder ein bisschen viel Salz am Essen ist: Man muss auch den Aufwand wertschätzen.

Frische Küche ist eben anfälliger für Fehler als Fertigpaps, schmeckt auch nicht jeden Tag gleich. So ist das eben in echten Wirtshäusern. Was ist die Alternative? Doch sicher nicht diese »Potemkinschen Wirtsstuben«, die es mittlerweile in jeder Stadt gibt, diese modernen Fertigwaren-Chamäleons, die sich vor den Kulissen in warmes Holz kleiden, aber hinter den Kulissen die Plastikpackungen aufreißen. Und alles, was das gutbürgerliche Genießerherz begehrt, aus der industriellen ­Massenproduktion beziehen: Grundsoßen. Rouladen. Tiefkühlspiegeleier. Ochsenbäckchen-Kartoffelpüree-Bausätze, »instagrammable Fingerfood« – nennt sich neckisch »High Convenience«. Ist das der Genuss, nach dem wir streben sollten?

Wirtshausküche ist anfälliger für Fehler als Fertigpaps. Sie schmeckt auch nicht jeden Tag gleich.

Ich wuchs in einem kleinen Hotel im »Sternedorf« Baiersbronn auf, nein, nicht die »Traube Tonbach«, auch wenn mein Nachname es vielleicht vermuten lässt. ­In einem unserer Gasträume hing ein Gemälde, auf dem eine Kutsche mit Reisenden abgebildet war, die in der Dunkelheit vor einem hell erleuchteten Wirtshaus vorfährt. Die Wirtin schaut zu einem Fenster heraus und winkt. Das steht für mich sinnbildlich für meine Vorstellung eines Wirtshauses. Hell erleuchtete Fenster, herzerwärmende Geselligkeit, frische ­Heimatküche – und ja, gut, Romantikbrille runter, auch ein verfressenes, lebens­hungriges Ich. Unser Hotel haben wir schon vor 20 ­Jahren verkauft, war mir zu viel »G'schäft«, aber das Bild habe ich mit­genommen.


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