Im »Filmcasino« ist das Interior aus dem Jahr 1954 erhalten geblieben. Das macht das Kino zu einem der charmantesten Mid-Century-Modern-Orte der ganzen Stadt.

Im »Filmcasino« ist das Interior aus dem Jahr 1954 erhalten geblieben. Das macht das Kino zu einem der charmantesten Mid-Century-Modern-Orte der ganzen Stadt.
© Filmcasino / Fleck

Wie in der guten alten Zeit: Eine kulinarische Zeitreise durch Wien

Es gibt einige kulinarische Orte, an denen die Zeit scheinbar spurlos vorübergegangen ist und die heute noch (fast) so aussehen wie damals. Wir haben ein paar dieser charmanten Zeitkapseln besucht.

Eine innenarchitektonische Zeitreise durch Wiener Lokale in einem Kino beginnen? Warum eigentlich nicht, schließlich wird man ja auch dort verpflegt. Zwar nur mit dem Allernötigsten wie etwa Popcorn, Sportgummi und Softdrinks, aber viel mehr braucht es ohnehin nicht. Gute Kinos erkennt man nämlich nicht nur an ihrer Programmauswahl, sondern auch an der Überschaubarkeit ihrer Buffets. Die Leinwand ist der Star und nichts hat vom kommenden Filmgenuss zu sehr abzulenken. 

Das »Filmcasino« hält sich vorbildlich daran, wird dann aber doch an anderer Stelle etwas auffällig. Denn hier, im Herzen des Wiener Bezirks Margareten, wird das Pub­likum im Vorfeld der Vorstellung in eine andere Zeit katapultiert. Genauer: in die 1950er-Jahre. Damals erlebte das Kino, das bereits 1911 gegründet wurde, seine Blütezeit und wurde 1954 vom Architekten Albrecht F. Hrzan völlig neu gestaltet. Und zwar in klassischer 50er-Jahre-Architektur, aufgeladen mit dem damaligen Zeitgeist. Mid‑century- Modern eben, mit klaren Linien und organischen Formen, die oft auf filigranen Beinchen stehen. Verspiegelungen, schwungvolle Holzvertäfelung und gut gealterte Vintage-Tapetenmuster an den Wänden lösen heute, sieben Jahrzehnte später, nostalgische Gefühle aus.

Das »Espresso« in der Burggasse gilt als Mid-Century-Modern-Insel der Seligen.
© Espresso / Ingo Pertramer
Das »Espresso« in der Burggasse gilt als Mid-Century-Modern-Insel der Seligen.

Vorwärts, es geht zurück

Das Besondere an der Inneneinrichtung und am Foyer des »Filmcasinos« ist über die langen Jahre originalgetreu erhalten geblieben und wurde lediglich sanft renoviert, als man Ende der 1980er den Ort wiederbelebte und dann noch einmal, in den 2000er-Jahren, überarbeitete.

Die 1950er- und 1960er-Jahre waren in Wien überhaupt eine Ära des Neubeginns, der ganz im Zeichen des Mid-Century-Modern-Stils stand. Das spürt man in der Stadt noch immer. Insbesondere dann, wenn Cafés, die ihre besten Zeiten scheinbar schon erlebt haben, wiederbelebt werden. Etwa im nicht nur unter mittlerweile auch schon alternden Hipstern kultisch verehrten »Espresso« in der Burggasse. Es wurde 2004 – zuvor firmierte es als »Espresso Arabica Stube« – von den jetzigen Besitzern mit Liebe und möglichst originalgetreu renoviert. Auch die Einrichtung wurde originalgetreu übernommen. Dass der Ort eine noch längere Geschichte hat, die weiter zurückreicht, zeigte sich damals ebenfalls: Unter der eingezogenen Zwischendecke verbargen sich Deckenmalereien aus den 1920er-Jahren.

Die Café-Konditorei-Kette »Aida« hat einige Nostalgie-Perlen in ihrem Filialnetz. Für viele die schönste ist jene in der Wollzeile 28. Purer 1950er-Jahre-Retrocharme, auf den Touristen und Einheimische stehen.
© Shutterstock
Die Café-Konditorei-Kette »Aida« hat einige Nostalgie-Perlen in ihrem Filialnetz. Für viele die schönste ist jene in der Wollzeile 28. Purer 1950er-Jahre-Retrocharme, auf den Touristen und Einheimische stehen.

Stehen, sitzen, gehen

Die 1950er-Jahre gingen auch an der Konditoreikette »Aida« nicht spurlos vorüber. Im Wirtschaftswunderrausch eröffnete Felix Prousek, Sohn des Gründers, Filiale um Filiale und verfolgte dabei einen ambitionierten Zugang: Er wollte den Wienern das Flair italienischer Espresso-Bars näherbringen. Mit Spiegelwänden, Stehtischen und roten Sitzbänken interpretierte er Italo-Stil und Wiener Nachkriegsmoderne auf seine eigene picksüße Weise. In der einen oder anderen Filiale sind Spuren davon noch heute sichtbar, etwa am Standort der Café-Konditorei in der Wollzeile. Dort gab es dem Vernehmen nach auch die erste Espressomaschine Wiens.  Heute erinnert noch eine Kaffeebar, als Insel mitten in den Raum gepflanzt, an den Versuch, den schnellen Stehkaffee zu etablieren. Der hat sich, man darf es wohl sagen, in der Wiener Kaffeehauskultur nicht vollends durchgesetzt. Wenn’s geht, bleibt man doch lieber bei Melange, Topfengolatsche, Creme- oder Kardinalschnitte etwas länger vor Ort.

In der Stammfiliale der Brötcheninstitution »Trześniewski« in der Dorotheergasse hingegen funktioniert das Prinzip Stehtisch übrigens einwandfrei. Sitzen kann man zwar auch, aber der Profi steht an den Tischen mit Ausblick auf die Straße oder der Theke mit ihren Brothäppchen hinter der Kühlvitrine. Seit 1903 werden hier die »unaussprechlich guten Brötchen« an die Kundschaft gebracht, nicht selten ist ein Pfiff Bier dabei. Das sind kleine Hopfenwichtel mit dem lächerlichen Inhalt von 0,125 Liter. Auch hier ist die Zeit stehen geblieben – aber schon ein bisschen vor 1950. Die dunkle Holzvertäfelung, der uralte Steinboden und die hohen Stahlfenster schaffen ein Ambiente morbider Erhabenheit, dem Inneren eines edlen Sargs nicht unähnlich. Sargnagel ist hier übrigens der Eiaufstrich, der ein strenges Regiment führt und schmackhafte Attacken auf Cholesterinspiegel reitet. Untergebracht ist die Filiale übrigens im Ankerhaus. Otto Wagner errichtete dieses in den Jahren 1894 und 1895 im Auftrag der Versicherungsgesellschaft »Der Anker« und schuf damit auch eine neue Typologie des multifunktionalen Großstadthauses mit Geschäften, Büros, Wohnungen und Atelier. Die zweigeschoßige Schaufensterzone mit ihrem gläsernen Wandvorhang und ein gläsernes Atelier auf dem Dach, in dem ab den 1970er-Jahren übrigens Friedensreich Hundertwasser malte, sind heute noch auffällige Elemente.

Kaiserschmarren: Der »Demel« hat es zwischen k. u. k-Kitsch und Rokoko-Orgien als Time Capsule in die Gegenwart geschafft.
© Demel
Kaiserschmarren: Der »Demel« hat es zwischen k. u. k-Kitsch und Rokoko-Orgien als Time Capsule in die Gegenwart geschafft.

Hofburgnähe

Ein paar Straßen weiter, in der Bognergasse 5, wurde übrigens ein paar Jahre später, nämlich 1901, ebenfalls neu gebaut. An besagter Adresse befindet sich seit 1618 das »Schwarze Kameel«. Neubau hieß damals Jugendstil und die Epoche, die in Wien ebenso verklärt wie beliebt ist, spiegelt sich auch in den Innenräumlichkeiten des »Kameels« wieder. Mehr noch: Das heute noch vorhandene Interieur – die Holztäfelungen, die Vitrinen, der Tresen und das Mobiliar des Restaurants – ist erhalten geblieben. Selbst das Logo, das damals entstand, wird noch immer verwendet. Als die Innenräumlichkeiten vor sechs Jahren dann erweitert wurden, unterwarf und verbeugte man sich im »Kameel« vor der eigenen Geschichte und brachte ein Kunststück zuwege. Die Erneuerungen fügen sich derart homogen in den historischen Bestand ein, dass alles so wirkt, als wäre es immer schon da gewesen.

Irgendwie auch schon immer da gewesen ist die »k. u. k. Hofzuckerbäckerei Demel« am Kohlmarkt. Seit 1786 werden hier große Törtchen gebacken. Trotz stürmischer Geschichte und wechselnder, oft nicht weniger stürmischer Besitzverhältnisse (Udo Proksch!) wird auf Tradition großer Wert gelegt. Die Kellnerinnen, die sogenannten Demelinerinnen, sind schlicht gekleidet, so wie es sich vor fast 240 Jahren geziemte. Ergo sprechen sie die Gäste auch in der dritten Person Plural und ohne persönliche Anrede an. Ein Zuckerbäckerantiquariat quasi. So richtig in die Vergangenheit, in die eigene Kindheit nämlich, befördert einen aber im »Demel« vor allem der vertraute süße Duft von Kaiserschmarren.


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