Ricky Saward © Katharina Dubno

Ricky Saward © Katharina Dubno

Ricky Saward: Provokation als Programm

Ricky Saward polarisiert: Mit dem weltweit ersten veganen Restaurant, das mit einem Guide-Michelin-Stern ausgezeichnet wurde – dem »Seven Swans – führt er die kulinarische Rebellion im schmalsten Haus Frankfurts an. Brutal regional ohne Gewürze, Kaffee und Schokolade, mit einer Garantie: seine Gäste zu verblüffen und gerne auch einmal anzuecken.

von Alexandra Gorsche
22. April 2024

»Man muss sich selbst auch auf die Schippe nehmen können«, startet der aus dem Münsterland stammende Sternekoch Ricky Saward das Gespräch. »Die Menschen sind manchmal viel zu steif, wenn sie in ein Sternerestaurant essen gehen. Das sind wir aber nicht.« Aufgebügelte Tischdecken und akribische Gläserfolgen sucht man hier vergebens. Stattdessen findet man unzählige Unikate vor. Jedes einzelne Stück Geschirr wurde von Saward persönlich ­designt. Außergewöhnliche Ornamente und Elemente aus seinem in Bad Homburg stammenden Garten wurden eingearbeitet. »Jeder Teller erzählt eine Geschichte. Hier geht es um das Unvollkommene, das Unperfekte.«

Denn Perfektion gebe es nicht. Und diese nicht vorhandene Perfektion sieht er auch in seinen Gerichten: »Wir richten nicht mit Schablone an. Und wir kochen auch nicht nach Rezept. Es geht um das Handwerk, um das Gefühl und das Verständnis für die Grundprodukte und ihre Nuancen. Das meine ich nicht laienhaft. Dazu muss man nicht jedes Gramm Salz abwiegen.« Dies kreidet er der klassischen Sterneküche an. »Ich weiß, es gefällt nicht jedem, was ich sage, und es ist auch nicht so, dass ich glaube, dass wir hier einfach alles besser machen, aber bei uns geht es um mehr.« Der manchmal arrogant wirkende Saward setzt auf Verständnis. Man müsse wissen, welches Gemüse welche Reaktion in einer Sauce auslöst. Das Zusammenspiel der  Grundprodukte und die Komple­xität der einzelnen Nuancen seien entscheidend.

Brutal lokal

»An erster Stelle steht für mich nicht vegan, sondern die Regionalität.« Die naturverbundene Küche erlaubt ihm weder Zitrusfrüchte oder Exoten noch Schokolade oder Kaffee und auch keine Gewürze und gezüchtete Kräuter. Nichts, was nicht vor der Haustür wächst, kommt auf die Teller. Das geht nicht? Saward beweist das Gegenteil und überrascht damit immer wieder seine Gäste. Das »Seven Swans«-Konzept ist radikal, vegan und autark.

Saward bezieht die Zutaten fast ausschließlich vom eigenen Hof aus Braumannswiesen, wo nach den Prinzipien der Permakultur gearbeitet wird. Kein künstlicher Dünger, keine Pestizide. Die Ernte gelangt direkt vom Feld auf die Teller im »Seven Swans«. Überschüssiges Gemüse aus Frühjahr und Sommer wird ­eingelegt oder fermentiert, sodass es auch in den Wintermonaten zur Verfügung steht.   

Warum vegan? 

Vegan ist für ihn die logische Schlussfolgerung seines Handelns. »Wir wollen Leute nicht belehren, sondern sie auf den richtigen Pfad bringen. Sie sollen das Restaurant ­verlassen und reflektieren, dass es ja doch irgendwie geht, sich vegan und nachhaltig zu ernähren«, erläutert der Sternekoch und setzt fort: »Wir haben zuerst noch Butter, Eier und Sahne von regionalen Bio-Erzeugern bezogen. Es hat irgendwann keinen Sinn mehr gemacht, abgepackte Produkte zu kaufen. Es ist doch viel schöner, einfach hinauszugehen und das gesamte Jahr über Produkte in der Natur und von den Wiesen zu sammeln und zu pflücken. Nahrungsquellen wie den Wald wieder zu etablieren, das ist unser Ziel. Die Leute drehen immer durch, wenn ich zum Beispiel vom Johannisbeerstrauch erzähle oder von unreifen Feigen, die wild wachsen, oder dass ich Sanddorn vom Mainufer habe. Viele denken, dass das Quatsch ist und dass es das alles gar nicht gibt.« Derartige Geschmacksvielfalt ohne Gewürze auf die Teller zu bekommen, ist eine Kunst und für Saward eine Selbstverständlichkeit: »Warum Pfeffer durch die Welt fliegen lassen, wenn man bestimmte Komplexitäten aus der Natur ziehen kann?«

2018 übernahm er das »Seven Swans«, ein vegetarisches Konzept, ohne einen großen Lehrmeister gehabt zu haben oder wirklich in der Sternegastronomie tätig gewesen zu sein. »Das war am Anfang bereits eine Umstellung für mich«, erzählt der Sterne­koch. Denn davor hatte er die Fleisch- und Fischküche intus. »Ich habe dann aber bemerkt, dass ich umso kreativer werde, je mehr wir in unserer Küche weglassen. Die Kreativität steigert sich mit jeder Herausforderung.« Ohne dies publik zu machen, stellte er 2019 auf vegan um und konnte den Stern erfolgreich halten. 

1.200 Personen auf der Warteliste

Leicht ist es nicht immer: »Frankfurt ist für vegane Konzepte eine schwierige Stadt. Das Problem ist die Psyche der Menschen. Nur weil oben ›vegan‹ steht, glauben viele, dass es nicht schmeckt. Menschen sind vor­eilig.« Und dann kam doch alles anders. Mittlerweile umfasst seine Warteliste 1.200 Personen. Zu finden ist das Restaurant nur durch seine Anschrift, wer eintreten will, muss klingeln. Einmal im Restaurant ­angekommen ist man per Du, wem das nicht passe, der könne gleich wieder gehen. 

Inspirationen schöpft der 35-Jährige aus der Natur. Denn Inspirieren liegt für ihn sehr nah am Kopieren, aus welchem Grund er auch keine Kochbücher von anderen Köchen besitzt. Nicht oft, aber hin und wieder treibt es ihn zu einem Kollegen. Dort esse er dann allerdings nicht vegan. »Einerseits ist das der Respekt gegenüber dem Kollegen, denn schließlich ist es das Menü, das er zubereitet hat. Seine vegane Variante ist nicht seine primäre Idee und seine Geschichte. Und gerade diese möchte ich erleben. Andererseits ist es immer wieder spannend, zu erleben, ob wir mit den Geschmack­s­komplexi­täten mithalten können.«

»Sellerie aus der Heukruste« von Ricky Saward. © Katharina Dubno
»Sellerie aus der Heukruste« von Ricky Saward. © Katharina Dubno

Dabei achte er – wie auch bei seinen eigenen Kreationen – darauf, wie durchdacht die Gerichte und jeder einzelne Löffel sind. »Es müssen alle Zonen auf der Zunge bearbeitet werden. Bei uns gibt es keine Zufälle. Jedes Blättchen Kraut macht Sinn.« Visuelles habe keinen Einfluss, auch wenn die Gerichte adrett ausschauen müssen. »Mir geht es um Tiefe, Steigerungen, Ecken und Kanten.« Dabei zieht er einen Vergleich zu 5D-Kino: »Wir müssen fünfdimensional denken. Es ist kein Zufall, dass wir eine bestimmte Haptik bei unserem Geschirr einsetzen. Gerüche, visuelle Aspekte, alles spielt eine Rolle. Es wirkt sich so viel mehr auf das Wohlbefinden des Gastes aus, als viele denken.«

Kein Servicepersonal

Um auch vor dem Gast transparent zu sein, verzichtet das »Seven Swans« auf Servicepersonal. Der Service wird von der Küche geführt, sodass der Sommelier sich komplett auf die Getränke konzentrieren kann. Dabei werden zwei Slots in den zwei Etagen mit gesamt 18 Sitzplätzen vergeben und die Gerichte gleichzeitig inklusive Erklärung aus der Küche eingestellt: »Wir haben die unterschiedlichsten Möglichkeiten ausprobiert und gemerkt, dass es wichtig ist, dass wir unsere Gerichte und das, was wir tun, erklären.« Wenn Saward an seine Anfänge zurückblickt, bereut er keinen seiner Schritte, würde aber seine Attitude hin und wieder überdenken: »Wenn man jung ist, glaubt man, dass man alles kann. Ich würde meinem jungen Ich raten, mit meinen Mitmenschen nicht so egoistisch und auch ein wenig respektvoller umzugehen.«

Erschienen in

Falstaff Profi Magazin

Feb./Apr. 2024

Zum Magazin

Lesenswert

Die Jury: The Duc Ngo, Heinz Reitbauer, Rosina Ostler, Daniel Gottschlich und Julia Komp © San Pellegrino

Die Jury: The Duc Ngo, Heinz Reitbauer, Rosina Ostler, Daniel Gottschlich und Julia Komp © San Pellegrino

Das ist die hochkarätige Jury des »S.Pellegrino Young Chef Academy«-Wettbewerbs

Die Besten der Besten haben sich versammelt, um das nächste große kulinarische Talent zu küren. PROFI stellt die Juroren hinter dem deutsch-österreichischen Vorentscheid des »S.Pellegrino Young Chef Academy Awards« vor. Ab jetzt sind Bewerbungen möglich!

© Interhome

© Interhome

Ferienhaus

»Interchalet« heißt jetzt »Interhome«

Die Vereinheitlichung der Markenkommunikation soll Urlaubsgästen ein einheitliches Markenerlebnis garantieren.

Nicholas Ofczarek bei der Kampagnen-Premiere © Burgenland Tourismus/Andreas Lepsi

Nicholas Ofczarek bei der Kampagnen-Premiere © Burgenland Tourismus/Andreas Lepsi

Burgenland

Kultur-Offensive in bewährter Besetzung: »Burgenland Tourismus« setzt erneut auf Nicholas Ofczarek

Der »Burgtheater«-Star kostet sich als Markenbotschafter durch die Gustostückerl des Burgenlandes. Diesmal stehen die Kultur-Highlights am Programm.

Philipp Vogel, Gabriele Weiss Brummer und Mike Süsser © Rene Buko

Philipp Vogel, Gabriele Weiss Brummer und Mike Süsser © Rene Buko

Gastronomie

Mike Süsser und Philipp Vogel gehören jetzt zum exklusiven »Chef’s Irish Beef Club«

Die beiden Spitzenköche reihen sich in die Riege internationaler Sterne- und Gourmetköche ein, die sich als Botschafter für irisches Rindfleisch verdient gemacht haben.

© The Guardians

© The Guardians

Marketing

Wien: Das hat es mit der Riesenpizza über der U-Bahn-Station Kagran auf sich

In den Sozialen Medien wird über die »gigantische Werbetafel« heiß diskutiert.

Nina Kaiser © Bernhard Eder

Event

Nina Kaiser: »Ich wünsche mir einen Gamechanger im Bereich der gesunden Ernährung«

Die Co-Founderin des »4Gamechangers Festivals«, Nina Kaiser, im Interview über Restaurant-Tech, Digitalisierung und weitere Gamechanger in der Gastronomie, den Entrepreneur-Spirit in der Branche und wie man die Power of Cooperation für Hidden Champions nutzen kann.

Meist gelesen

Irmgard Querfeld © Caro Strasnik

Irmgard Querfeld © Caro Strasnik

Interview

»Viele Gäste nutzen das Kaffeehaus als temporäres Büro oder Treffpunkt für geschäftliche Besprechungen«

Zwischen Tradition und »Out of the Box«. Irmgard Querfeld, Geschäftsführerin des »Café Museum«, im Interview anlässlich des 125-Jahr-Jubiläums der Wiener Institution.

Friederike Schnitger, Foto beigestellt

Friederike Schnitger, Foto beigestellt

Interview

Über den Tellerrand: Warum die Gastronomie innovative Lösungen braucht

Gastro-Unternehmerin Friederike Schnitger verrät, warum es innovative Lösungen braucht, die Gastronomen dabei helfen, sich den aktuellen Herausforderungen anzupassen. Von digitalen Bestellsystemen bis hin zu nachhaltigen Praktiken.

Taylor Swift © Paolo Villanueva/CC BY 2.0 DEED

Taylor Swift © Paolo Villanueva/CC BY 2.0 DEED

Kultur

Musiktourismus boomt: Taylor Swift und Co. werden zum »Reiseziel«

»Opodo«-Umfrage zeigt: Auftritte von Weltstars wie Swift, Adele oder AC/DC sorgen für Spitzenwerte bei Reisebuchungen. Mehr als ein Drittel der Deutschen sind bereit zu reisen, nur um ein Konzert zu besuchen.

Marius Mohn, Foto beigestellt

Marius Mohn, Foto beigestellt

Marketing

»OMR Festival«: Neue Maßstäbe in Sachen Eventgastronomie

Heute und morgen ist die Hamburger Messe wieder Schauplatz des »OMR Festivals«, das neben Kim Kardashian und Robert Habeck auch mit innovativen Gastronomiekonzepten aufwartet.

© Soulkitchen Group

Interview

»Innovation und Kreativität lebt letztendlich von der Schwarm­intelligenz. Daher ist uns die aktive Einbringung unserer ­Mitarbeitenden enorm wichtig und wird entsprechend gefördert.«

Advertorial

Im Gespräch mit Profi spricht das Team von Glorious Bastards, bestehend aus dem CEO Stefan Schwab, der Operation Managerin Natalie Hüning und dem Betriebsleiter Michael Georgoulis, über ihr neues Gastronomieprojekt in Konstanz und den damit verbundenen Erfolg, sowie Herausforderungen und Mitarbeiterführung.

Die drei Staatsmeisterinnen: Anna Lea Hausberger, Verena Pöttler und Emily Langegger. © bild[ART]isten

Die drei Staatsmeisterinnen: Anna Lea Hausberger, Verena Pöttler und Emily Langegger. © bild[ART]isten

Aus- und Weiterbildung

»JuniorSkills 2024«: Das sind die besten Lehrlinge in Hotellerie und Gastro

81 Lehrlinge stellten bei den Tourismus-Staatsmeisterschaften in Klagenfurt ihr Talent in den Disziplinen Kochen, Restaurantservice und Hotelrezeption unter Beweis.

Der Newsletter für echte Profis

Be inside and take your chance! Regelmäßige Karriere-Updates aus Gastronomie und Hotellerie, kostenlos in Ihr Postfach!