Best of Italy - Der Wandel vom Alltags- zum Spitzenwein

Im Laufe der vergangenen vier Jahrzehnte hat sich die Weinwelt Italiens radikal verändert. Noch nie war italienischer Wein so gut wie heute.

Qualitätssprünge erreicht man nicht von heute auf morgen, schon gar nicht im Weinbau. In Italien wurden viele Weingärten erst in den 60er- und 70er-Jahren angelegt. Quantität war Trumpf: breite Fahrgassen, weite Abstände und Unterlagen, die hohe Erträge brachten. Die neuen Weinberge wurden wesentlich dichter bepflanzt. Neue Sorten kamen hinzu, die ihre Eignung für den Qualitätsweinbau in Frankreich unter Beweis gestellt hatten: Cabernet, Merlot und Chardonnay. Ursprünglich als »Dopingpartner« für die lokalen Sorten gedacht – vor allem in der Toskana für Sangiovese –, übernahmen Cabernet und Co. schon bald die führende Rolle bei neuen Weinen. Weine auf der Basis von Cabernet und Merlot trugen Ende des 20. Jahrhunderts wesentlich dazu bei, dass Italien auf internationaler Ebene als Spitzenweinland bekannt wurde.

Luciano Sandrone ist einer der besten Barolo-Erzeuger / Foto: beigestelltDie Keller wurden ebenfalls radikal erneuert. Barriques ersetzten die großen Holzfässer, die häufig wenig gepflegt wurden und den Weinen oft einen recht unguten Fasston mitgaben. In der Folge wurde auch da kräftig über die Stränge geschlagen. Die Zeichen standen auf »mehr«, nicht nur in Italien, sondern auch international: mehr neue Sorten, mehr Kraft, mehr Konzentration, vor allem auch mehr Holz. Hatte ein Wein 200 Prozent neues Holz, galt es als noch besser.

Aktuelle Trends

Angelo Gaja aus Barbaresco, Winzerlegende und Visionär / Foto: beigestelltDiese Kinderkrankheiten der Weinrevolution sind inzwischen weitgehend auskuriert. Nicht nur bei der internationalen Weinkritik, auch bei Produzenten und Verbrauchern sind wieder mehr Eleganz, Komplexität und Authentizität gefragt. Vor allem besinnt man sich wieder auf eines der maßgeblichen Kriterien, wofür Wein eigentlich geschaffen wurde: auf die Trinkbarkeit.

Nicht mehr Konzentration und Kraft sind das Maß aller Dinge, sondern Eleganz, Ausgewogenheit, Harmonie und – der wohl am meisten gebrauchte, aber auch missbrauchte Begriff – Terroir. Denn wenn ein Wein offensichtliche Fehler hat, dann hat dies nichts mit Terroir oder der unverkennbaren Handschrift eines Winzers zu tun, sondern der Wein hat schlicht und einfach einen Fehler, basta! In Italien ist dieser Ausdruck durchaus zweischneidig. Nach Jahren des geradezu verzweifelten Suchens nach immer neuen Superlativen ist man derer müde geworden. Nachdem von so manchem Weinmacher die Qualität des Weins oft an der Qualität des verwendeten Holzes gemessen wurde, wird das Holzfass nun wesentlich dezenter eingesetzt. Es muss nicht mehr unbedingt neu sein, sondern darf durchaus auch öfter gebraucht worden sein.

Marchese Piero Antinori, Oberhaupt der florentinischen Weindynastie / Foto: beigestellt Die Frucht des Weins steht wieder im Vordergrund – wobei das Barrique als kellertechnisches Instrument zweifellos bleiben wird. Jene, die sich nun als kategorische Barrique-Verächter darstellen – pikanterweise sind das häufig dieselben, die vor nicht allzu langer Zeit jeden Wein verschmähten, der nicht schon von Weitem nach Barrique roch –, irren also, denn es macht nicht das Barrique ­einen Wein besser oder schlechter, es hängt davon ab, wie man damit umgeht. Ebenso ­haben Weine, die nur im Stahltank, im Betontank, im großen Holzfass, in der Amphore oder in welchem Giacomo Neri hat mit seinen komplexen Brunellos den Weltmarkt erobert / Foto: Othmar KiemBehälter auch immer ausgebaut wurden, ihre Berechtigung. Das Faszinierende am Wein ist ja gerade seine Vielfalt.

Weiterer Megatrend in Italien: die Wiederentdeckung der lokalen Varietäten, der sogenannten autochthonen Sorten. Insbesondere der Süden des Landes ist damit reich gesegnet. Immer wieder gab es so in den letzten Jahren erfreuliche Entdeckungen von Sorten, die in Vergessenheit geraten waren. Sie bringen Vielfalt und Würze in die Welt des Weins. Das heißt aber nicht, dass auf der anderen Seite Cabernet, Merlot und Co. nun plötzlich an den Pranger gestellt werden müssen. Es gibt großartige Weine aus Cabernet, Merlot, Chardonnay und anderen französischen Edelsorten in Italien – und gar nicht wenige. Bei großen Weinen kommt eben in erster Linie das Herkunftsgebiet zum Ausdruck und erst in zweiter Linie die Sorte.

Schaumweine räumen ab
Voll im Trend liegt in Italien derzeit alles, was schäumt – sei es nun Spumante im Allgemeinen, Franciacorta, Trento DOC, Alta Langa, Oltrepò Pavese oder Prosecco im Speziellen. Immer mehr Betriebe erzeugen einen eigenen Edelschäumer, und das in durchaus beachtlicher Qualität. Auch der perlende Lambrusco feiert eine Wiederauferstehung.

In stilvollem Ambiente reift der Wein der Tenuta dell'Ornellaia in Bolgheri / Foto: beigestellt
In stilvollem Ambiente reift der Wein der Tenuta dell'Ornellaia in Bolgheri.

Francesco und Luca Martini di Cigala von San Giusto a Rentennano stehen hinter dem Super-Tuscan Percarlo / Foto: beigestellt

Generell werden derzeit auch die Weißweine wiederentdeckt. Dies gilt nicht nur für die traditionellen Weißweißregionen im Norden, auch aus Süditalien oder von den kleinen Inseln kommen vermehrt spannende Weißweine.

Weiterer Trend: Naturweine. Seien diese nun biologisch, zertifiziert biodynamisch, zwar nicht zertifiziert, aber noch viel natürlicher als biodynamisch, so gut wie biologisch, ¾ ­biodynamisch oder was auch immer: Hier findet die italienische Kreativität breiten Raum, hier schlägt auch der Hang der Italiener zum Individualismus voll durch. Im Bereich der Naturweine wird auf Teufel komm raus experimentiert, ob mit Spontanhefevergärung, offener Maischegärung bei Weißweinen, Verarbeitung in der Tonamphore oder im naturbelassenen Zementfass. Nicht alles ist gut, einiges ist fehlerhaft, vieles wird wohl eine vorübergehende Modeerscheinung bleiben, manches ist aber auch sehr interessant. Diese Weine werden sicher nie mehrheitsfähig werden, sie sind aber eine große Bereicherung, gewissermaßen das Salz in der Suppe.


Was ist derzeit spannend in Italien, welches sind die angesagten Gebiete? Alle Details dazu, Listen zu »Best of Spumante«, »Italiens Aufsteiger«, »Best of Südtirol/Trentino/Veneto«, »Best of Piemont«, »Best of Süditalien«, »Best of Toskana« und »Best Buy« sowie einen vertiefenden Artikel zu Italiens Revolutionären des Weins finden sie in der aktuellen Ausgabe des Falstaff Magazins Nr. 6/2012 - Jetzt im Handel!

DIE KULTWEINE ITALIENS
Die Liste der besten Weingüter und ihrer Top-Weine – einige zeigen wir als »Falstaff Kultweine«. 
Masseto – Tenuta dell’Ornellaia (Toskana)
Langhe Nebbiolo Sorì San Lorenzo – Gaja (Piemont)
Sassicaia – Tenuta San Guido (Toskana)
Barolo Cerequio – Roberto Voerzio (Piemont)
Barolo Monfortino – Giacomo Conterno (Piemont)
Brunello di Montalcino – Poggio di Sotto (Toskana)
Barolo Cannubi Boschis – Luciano Sandrone (Piemont)
Giorgio Primo – La Massa (Toskana)
Barolo Granbussia Riserva – Aldo Conterno (Piemont)
Barbaresco Santo Stefano – Bruno Giacosa (Piemont)
Brunello di Montalcino – Salvioni (Toskana)
Percarlo – San Giusto a Rentennano (Toskana)
Brunello di Montalcino Cerretalto –
Giacomo Neri (Toskana)
Solaia – Antinori (Toskana)
Vigna d’Alceo – Castello dei Rampolla (Toskana)
Flaccianello – Fontodi (Toskana)
Galatrona – Petrolo (Toskana)
Cepparello – Isole e Olena (Toskana)
Messorio – Le Macchiole (Toskana)
Amarone della Valpolicella – Romano dal Forno (Veneto)
Kurni – Oasi degli Angeli (Marken)
Montepulciano d’Abruzzo Villa Gemma – Masciarelli (Abr.)

Falstaff Kultwein - Der Masseto ist der Kult-Merlot Italiens / Foto: Othmar Kiem

Falstaff Kultwein - Solaia – Flaggschiff des Hauses Antinori seit 1978 / Foto: Othmar Kiem

Falstaff Kultwein - Nebbiolo in seiner vollendetsten Form / Foto: Othmar Kiem

Falstaff Kultwein - Der stoffige Galatrona von Petrolo / Foto: Othmar Kiem

Falstaff Kultwein - Der Cerretalto ist Neris kostbarer Brunello / Foto: Othmar Kiem

Gianni Fabrizio, seit vier Jahren verantwortlicher Kurator für den Gambero Rosso, im Interview: »Billigweine aus Italien sind passé«


Text von Othmar Kiem

Othmar Kiem
Othmar Kiem
Chefredakteur Falstaff Italien