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»In das Kaffeehaus gehe ich ja, um mir zu entkommen«

Ob Peter Altenberg, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Egon Friedell oder Karl Kraus – all diese Dichter hatten eines gemeinsam: Sie liebten Wiens Kaffeehäuser. Weshalb, wusste Friedrich Torberg genau: »Im Rauch und Mokkadampf gedieh der Virus der geistigen Anregung wie nirgendwo sonst.«

Wenn der Dichter Peter Altenberg seinerzeit nach seiner Adresse gefragt wurde, antwortete er: »Café Central, Wien I.« Tatsächlich wohnte er die längste Zeit in einem kleinen billigen Zimmer im »Hotel London« und später im »Grabenhotel«. Allerdings: Gewohnt hat er dort wie da nicht. Sein wahres Zuhause waren Wiens Kaffeehäuser. »Wenn der Altenberg nicht im Kaffeehaus ist, ist er gerade am Weg dorthin«, sagte man über ihn.

Nicht nur Altenberg, auch viele weitere Künstler machten das Kaffeehaus zu ihrem Wohnzimmer, ihrem kreativen Hort. »Im Kaffeehaus wurden literarische Schulen und Stile geboren und verworfen, vom Kaffeehaus nahmen neue Richtungen der Malerei, der Musik, der Architektur ihren Ausgang«, schwelgte der Schriftsteller und passionierte Kaffeehausbesucher Friedrich Torberg in seinem »Traktat über das Kaffeehaus«. Und weiter: »Überflüssig zu sagen, dass jedes dieser Kaffeehäuser seine eigene, unverwechselbare, eifersüchtig gehütete Note und Atmosphäre hatte«, schrieb der Schöpfer der »Tante Jolesch«. Diese Anekdotensammlung aus dem jüdischen Leben der Zwischenkriegszeit ist eine einzige Ode ans Kaffeehaus, oder wie Torberg selbst sagte: »Im Grunde ist dieses ganze Buch ein Buch vom Kaffeehaus. Kaum eine der auftretenden Personen wäre ohne das Kaffeehaus denkbar.« Genau deshalb war Wien für den jüdischen Autor auch so ein fruchtbares Pflaster. Denn in keiner anderen Stadt der Welt gab es zu dieser Zeit so viele »Literatencafés« wie in Wien.

Was ein Literatencafé eigentlich ist, auch darüber hat sich Torberg viele Gedanken gemacht. Letztlich kam er zu dem Schluss, dass dieser Begriff nicht zu definieren sei, jedenfalls nicht eindeutig. »Eindeutig war, in neuerer Zeit, immer nur das jeweils führende Literatencafé festzustellen«, befand er. Um 1890 war das »Café Griensteidl« im Palais Dietrichstein am Michaelerplatz ohne Zweifel die Heimstätte der schreibenden Zunft. Vor allem die Vertreter des damaligen »Jung-Wien« – Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Peter Altenberg, aber auch Karl Kraus – fanden sich dort zusammen, um zu denken, zu dichten und zu diskutieren. Rauchend und Kaffee schlürfend erfanden sie die Welt täglich aufs Neue. An Selbstbewusstsein mangelte es keinem der wortreichen Stammgäste. Diese gewisse Überheblichkeit blieb auch der Satirezeitschrift »Figaro« nicht verborgen. In einer Meldung aus dem Jahr 1893 hieß es da: »Im Cafe Größenwahn (Griensteidl) wurde gestern wieder ein neues naturalistisches Genie entdeckt. Dasselbe wurde sofort als Dramaturg für das Deutsche Volkstheater engagirt (sic).«

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Als das »Hauptquartier der jungen Literatur«, wie Stefan Zweig das »Griensteidl« in seinen Memoiren »Die Welt von Gestern« nannte, am 20. Jänner 1897 seine Pforten für immer schließen musste, weil das Palais Dietrichstein demoliert, also abgerissen wurde, war die Verzweiflung unter den Künstlern überaus groß: »Unsere Literatur sieht einer Periode der Obdachlosigkeit entgegen«, klagte Karl Kraus mit viel Pathos. Gleichzeitig nutze der 22-Jährige das Ende dieser Kultstätte, um mit der Kaffeehauskultur der Wiener Moderne gründlich abzurechnen. In seiner Spottschrift »Die demolirte Literatur«, die er, kurz bevor das »Griensteidl« seine Türen schloss, in der »Wiener Rundschau« veröffentlichte, nahm er sich der Reihe nach jedes Mitglied des Dichterkreises vor. Sein Rundumschlag blieb nicht ohne Folgen.

Am 25. Jänner 1897 berichtete das »Illustrierte Wiener Extrablatt« über die letzte Nacht des »Café Griensteidl« Folgendes: »Die treuen Stammgäste feierten den Untergang des Locales mit einem großartigen Leichenschmaus. Nach Mitternacht waren sämtliche Vorräthe an Speis und Trank vergriffen und es wurden nur noch Ohrfeigen verabreicht. Sonst war die Stimmung famos.« Besagte Ohrfeigen hatte Karl Kraus wohl von dem österreichisch-ungarischen Schriftsteller Felix Salten (u. a. »Bambi«) kassiert, den der bissige Text des Jungspunds besonders in Rage gebracht hatte. Salten dürfte dem »bekannten Lausbub« diese Watschen gleich stellvertretend für seine Kollegen verabreicht haben, wie man einer Tagebucheintragung von Arthur Schnitzler vom Tag danach entnehmen kann: »Gestern Abd. hat Salten im Kfh. noch den kleinen Kraus geohrfeigt, was allseitig freudig begrüßt wurde.«

»KAFFEEHAUS«

von Peter Altenberg, 1918

Du hast Sorgen, sei es diese, -
sei es jene – ins Kaffeehaus!

Sie kann, aus irgend einem,
wenn auch noch so plausiblen Grunde, nicht zu Dir kommen – ins Kaffeehaus!

Du hast zerrissene Stiefel – Kaffeehaus!

Du hast 400 Kronen Gehalt
und gibst 500 aus – Kaffeehaus!

Du bist korrekt sparsam
und gönnst Dir nichts – Kaffeehaus!

Du bist Beamter und wärest gern
Arzt geworden – Kaffeehaus!

Du findest Keine, die Dir paßt – Kaffeehaus!

Du stehst innerlich vor dem Selbstmord
– Kaffeehaus!

Du hasst und verachtest die Menschen und kannst sie dennoch nicht missen – Kaffeehaus!

Man kreditiert Dir nirgends mehr – Kaffeehaus!

Das »Café Central« –eine Weltanschauung

Anders als es Karl Kraus prophezeit hatte, blieben Wiens Literaten nach der Schließung des »Griensteidl« nicht lange obdachlos. Er selbst, Peter Altenberg, Egon Friedell und Alfred Polgar erkoren nämlich alsbald das nur wenige Meter entfernte »Café Central« im Palais Ferstel zum »legitimen Nachfolger«. Und das blieb es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Warum, erklärte Alfred Polgar so: »Das Café Central ist nämlich kein Caféhaus wie andere Caféhäuser, sondern eine Weltanschauung, und zwar eine, deren innerster Inhalt es ist, die Welt nicht anzuschauen. Seine Bewohner sind größtenteils Leute, deren Menschenfeindlichkeit so heftig ist wie ihr Verlangen nach Menschen, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen.«

Die Sehnsucht dieser Intellektuellen, sich vor der Welt zu verschanzen, erklärt auch, warum die vielen prächtigen Kaffeepaläste, die zu dieser Zeit an der Wiener Ringstraße eröffneten, keinen Reiz für sie hatten. Mit ihren großen breiten Fensterfronten und den ausladenden straßenseitigen Terrassen waren diese Kaffeehäuser keine Rückzugsorte. Dem Publikum, das sich dort tummelte, ging es darum, zu sehen und gesehen zu werden. Beides verabscheuten die »Centralisten«. Ohnehin gab es in ihrer »Zentrale« genug zu erleben, wenngleich nur auf dem Papier. 235 Zeitungen und Zeitschriften in 23 verschiedenen Sprachen bot das legendäre Kaffeehaus seinen Gästen an, 58 Bände von Adressverzeichnissen sowie Nachschlagewerke jeder Art und – nicht zu vergessen – Schreibpapier und Tinte, um jeden Musenkuss sogleich festhalten zu können.

So sehr die Literaten ihr »Central« liebten, so zwiespältig waren ihre Gefühle unter- und füreinander. In diesem Mikrokosmos gediehen Freundschaften und Feindschaften gleichermaßen. Letztere verband den Feuilletonisten Anton Kuh mit dem »rasenden Reporter« Egon Erwin Kisch. Als Kisch einmal gefragt wurde, woran er am liebsten sterben würde, antwortete er: »An einem Herzinfarkt aus Freude über den Tod Anton Kuhs.«

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Die neue Ära - beginnt im »Hawelka«

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wahrte das »Central« seine Vormachtstellung gegenüber allen anderen Künstlercafés. Als Peter Altenberg jedoch 1919 starb, übersiedelte nahezu die gesamte Literatenrunde in das Hinterzimmer des »Café Herrenhof«, wo auch Hermann Broch, Robert Musil, Franz Werfel und Joseph Roth ihre Tage verbrachten. Was für Altenberg das »Central« gewesen war, war der »Herrenhof« für Friedrich Torberg: »Dieses Kaffeehaus war für mich eine zentrale Station auf dem Weg meiner Persönlichkeitsentfaltung.

Im dichten Kreise der Literaten, der Lebenskünstler, umgeben von Käuzen und Originalen, konnte ich herrlich heranreifen, denn dem dort so wunderbar gepflegten, zwischen Weisheit, Witz und Schlagfertigkeit angesiedelten Gesprächsstil war ich seit jeher zugetan.« Die so anregenden Zusammenkünfte hatten ein jähes Ende: Am 19. März 1938 wurde der Herrenhof »arisiert« und geschlossen. Die meisten seiner jüdischen Stammgäste flohen vor den Nazis ins Ausland – viele von ihnen kamen nie wieder zurück.

Nach dem Krieg entwickelte sich das »Café Hawelka«, dieses kleine düstere Lokal in der Dorotheergasse, zum neuen Szenetreff. Heimito von Doderer, H. C. Artmann, Hans Weigel, aber auch bildendende Künstler wie Arnulf Rainer, Alfred Hrdlicka und Ernst Fuchs fanden im Kaffeehaus von Leopold und Josefine Hawelka die Geborgenheit, die sie suchten. »Brauch ma a Platzerl?« – mit diesen Worten begrüßte die Hausherrin ihre Schützlinge stets an der schmalen Eingangstür. Und Josefine fand auch immer eines, so voll konnte das »Hawerl« gar nicht sein. Bei Einspänner, Kleinem Schwarzen mit Slibowitz und versorgt mit hausgemachten Buchteln, vergaßen sie nicht nur ihre Sorgen und Nöte, sondern ebenso auf die Zeit. Sie schien im »Hawelka« tatsächlich stillzustehen. Leopold Hawelka weigerte sich zeitlebens, in seinem kleinen Reich irgendetwas zu verändern oder gar zu erneuern. »Der Kaffee wird nicht besser, wenn das Lokal modern wär«, war er überzeugt.

DIE BESTEN KAFFEEHÄUSER IN WIEN

»Das Wiener Kaffeehaus«

Brandstätter Verlag

Die aktuell umfassendste und ganz bestimmt schönste Abhandlung über die »Institution Kaffeehaus« ist der bibliophile Prachtband »Das Wiener Kaffeehaus« aus dem Brandstätter Verlag. Auf mehr als 300 Seiten beleuchten Autoren wie André Heller, Joachim Riedl, Herbert Lackner oder Doris Knecht die Geschichte dieser einzigartigen Lokale; Texte von einstigen Kaffeehausliteraten wie Alfred Polgar oder Hans Weigl versetzen zurück in jene Zeit, als tatsächlich noch Kunst und Literatur von Weltrang bei Einspänner und Buchteln entstanden sind. Für Liebhaber und historisch Interessierte ein absolutes Muss (€ 70,–).

Kein Entkommen - für Thomas Bernhard

Auch Thomas Bernhard verschlug es hie und da ins »Hawelka«, aber viel öfter noch in den »Bräunerhof« einige Meter weiter, wo er hinter Zeitungen versteckt das Geschehen beobachtete. Dabei fühlte er sich pudelwohl – und auch wiederum nicht. »Das typische Wiener Kaffeehaus habe ich immer gehasst, weil alles an ihm gegen mich ist. Andererseits fühlte ich mich jahrzehntelang gerade im ›Bräunerhof‹, das immer ganz gegen mich gewesen ist (wie das ›Hawelka‹) wie zuhause«, lässt er sein Alter Ego in seinem Buch »Wittgensteins Neffe« sagen. Der Leser erfährt hier auch den Grund seines Kaffeehaushasses: »Ich habe die Wiener Kaffeehäuser immer gehasst, weil ich in ihnen immer mit Meinesgleichen konfrontiert gewesen bin, das ist die Wahrheit und ich will ja nicht ununterbrochen mit mir konfrontiert sein, schon gar nicht im Kaffeehaus, in das ich ja gehe, um mir zu entkommen. Aber da ich an der Kaffeehaussuchtkrankheit leide, bin ich gezwungen, immer wieder in ein Literatenkaffeehaus hineinzugehen, auch wenn sich alles in mir dagegen wehrt.«

Tatsächlich dürfte dem Meister der Übertreibung seine »Kaffeehaussuchtkrankheit« aber nicht allzu sehr zu schaffen gemacht haben. Stammgäste berichten, Thomas Bernhard sei stets gut gelaunt und verschmitzt lächelnd an seinem Stammplatz im »Café Bräunerhof« gesessen.

Wie der Kaffee nach Wien kam

Darüber, wie der Kaffee nach Wien kam, gibt es diverse Legenden. Die gängigste besagt, dass die Osmanen nach ihrer zweiten erfolglosen Belagerung Wiens im Jahre 1683 einige Säcke mit Kaffeebohnen zurückgelassen haben sollen. Die Wiener konnten mit den grün-braunen Kügelchen nichts anfangen, sie hielten sie für Kamelfutter. Nicht aber der aus Polen stammende Georg Franz Kolschitzky. Er soll es verstanden haben, aus den Bohnen ein duftendes wohlschmeckendes Getränk zu fabrizieren, und alsbald zum ersten Kaffeesieder Wiens avanciert sein.

Tatsächlich dürfte es aber ein wenig anders gewesen sein: Ein armenischer Händler und Kurier namens Johannes Diodato soll dafür gesorgt haben, dass Kaffeebohnen aus dem Osmanischen Reich regelmäßig nach Wien gebracht wurden. Er selbst war lange dort gewesen und hatte gelernt, wie man Kaffee zubereitet. Vom Hofe der Habsburger erhielt er 1685 das kaiserliche Privileg, für 20 Jahre lang steuerbefreit in der Stadt Kaffee auszuschenken. Er eröffnete am Haarmarkt (heute Rotenturmstraße 14) die erste Wiener Kaffeeausschank. 1697 eröffnete der Armenier Isaac de Luca aus Erewan in Wien eine Kaffeesiederei. 1700 kamen drei weitere bürgerliche Kaffeesieder aus Armenien hinzu, welche die Wiener für Griechen hielten. So begann nach und nach der Siegeszug des Muntermachers in Wien. 1714 existierten bereits 31 Kaffeehäuser, 1879 gab es 605 und 1918 etwas mehr als 800.

Die besten Kaffeehäuser in Wien


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Erschienen in
Falstaff Wien Special

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Judith Hecht
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