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Jagd auf Wale: In den Fängen der Politik

Kaum eine andere Tierart fasziniert die Menschen so sehr wie der König der Meere. Umso beklagenswerter ist es, dass seine Bestände in einigen Ländern noch immer dezimiert werden. An vorderster Front steht Japan, wo die Jagd auf Wale von nationalkonservativen Politikern als angeblich ureigene Tradition inszeniert wird.

Kaum etwas scheint so widersprüchlich wie der Umgang Japans mit einem der majestätischsten Lebewesen dieses Planeten, dem Wal. Zwar wird in dem fernöstlichen Land mantraartig der Einklang von Menschheit und Natur beschworen – zugleich jedoch sind Japan, Norwegen und Island die einzigen Staaten weltweit, die ihre Walbestände, ­dem Artenschutz zum Trotz, noch immer dezimieren.

Die Tiere werden mit sogenannten ­Harpunenkanonen erlegt, die mit Spreng­ladungen versehen sind. Es ist ein bestialisches Unterfangen: Sobald sich das Geschoss mit seinen Widerhaken durch die dicke Haut tief in den Schädel des Meeressäugers gebohrt hat, explodiert eine in die Harpune integrierte Granate und zerfetzt das Gehirn des Tiers. Oft leiden die Wale noch minutenlang an schwersten Kopfverletzungen, bis sie schlussendlich qualvoll zugrunde gehen.

An den Rand des Aussterbens

Eine Walart nach der anderen hat die globale Walfangindustrie mit dieser und ähnlichen Methoden bereits an den Rand des Aussterbens getrieben. Dabei spielt der Wal eine kaum zu überschätzende Rolle für den Erhalt unseres Ökosystems. Beim Entleeren seines riesigen Darms gibt das Tier gewaltige Mengen wertvoller Nährstoffe ab, die dafür sorgen, dass Phytoplankton sprießt, das wiederum unserer Atmosphäre durch Fotosynthese große Mengen klimaschädliches Kohlendioxid entzieht.

Waljäger mit ihrer Beute: Bis zum internationalen Fangverbot von 1986 waren viele Walarten vom Aussterben bedroht. Inzwischen hat sich die Population erholt, obwohl Japan, Island und Norwegen weiter Wale jagen.
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Waljäger mit ihrer Beute: Bis zum internationalen Fangverbot von 1986 waren viele Walarten vom Aussterben bedroht. Inzwischen hat sich die Population erholt, obwohl Japan, Island und Norwegen weiter Wale jagen.

Weitaus älter als diese Erkenntnis, und bis heute tief verankert in den Köpfen so mancher Japaner ist jedoch die Walfangtradition des Inselstaats. Bevor seine Bewohner begannen, mit Harpunen und Motorbooten Jagd auf den König der Meere zu machen, wurden in Japan schon gestrandete Wale oder deren angeschwemmte Kadaver verwertet. Das Walfleisch und die Innereien wurden verzehrt, aus dem Speck sogenannter Waltran gekocht, der wiederum der Produktion von Salben, Lampenöl, Seife und Margarine diente. Aus den Zähnen, Barten und Knochen wurden Werkzeuge und Instrumente hergestellt – oder sie wurden gemahlen und als Dünger verwendet.

Tod und Ehre

Einen Wal zu erlegen, war in vorindustrieller Zeit hingegen eine wahre Herkulesaufgabe. 200 bis 300 Mann waren nötig, um eines der gewaltigen Tiere ins Netz zu treiben und anschließend mit Speeren zu töten. Noch dazu war diese Jägerei strengen Glaubensvorschriften unterworfen. So verboten die beiden in Japan bis heute prägendsten Religionen, Shintoismus und Buddhismus, beispielsweise gänzlich das Töten von Muttertieren und Kälbern. Zudem schrieben sie vor, Zeremonien zum Gedächtnis getöteter Wale im selben Umfang wie für Menschen abzuhalten oder Walgräber, sogenannte Kujirazuka, für jedes erlegte Tier zu errichten.

 

Walfleisch gilt noch immer als Delikatesse. Und zwar eine ebenso teure wie sündige. Ein Kilo Filet kostet umgerechnet bis zu 300 Euro.

 

Die Walfänger hatten die Vorstellung, dass ihre Beute ins Paradies geleitet werden muss, damit sie auch selbst eines Tages dort ankommen. Kurioserweise hielt ihr Glaube, bei dem die Kräfte der Natur verehrt werden, die Japaner nicht davon ab, ihre Walfangquoten im Zuge der Industrialisierung zu maximieren – bis das Land Anfang der 1960er schließlich zur weltgrößten Walfangnation avancierte – mit einem Verbrauch von jährlich im Schnitt 200.000 Tonnen Walfleisch.

Sündige Delikatesse

In den ersten Nachkriegsjahren bewahrte Walfleisch die japanische Bevölkerung sogar vor einer großen Hungersnot, rund 50 Prozent der tierischen Proteine stammten zu der Zeit vom Wal. Selbst in Schulkantinen wurde Walfleisch ausgegeben. Deshalb hängen heute vor allem ältere Generationen am dem leicht süßlichen, zähen Fleisch. Viele betrachten es gar als Teil von Japans Identität, Wal zu essen, gekocht, gebraten, gegrillt, frittiert, als Suppe, geräuchert oder getrocknet, je nach regionalen Präferenzen.

Zwar verzehrt Japans Bevölkerung heute im Schnitt tausendmal mehr Fleisch von Rind und Schwein pro Jahr als vom Wal, Walfleisch gilt allerdings noch immer als Delikatesse. Und zwar eine ebenso teure wie sündige. Ein Kilo Filet kostet umgerechnet bis zu 300 Euro.

Verbot des kommerziellen Walfangs

1986 beschloss die Internationale Walfangkommission IWC, eine Vereinigung mit 88 Mitgliedsstaaten, zu denen auch Japan zählt, die in den 1940er-Jahren gegründet wurde, um den Walfang zu regulieren und eine bestandsgefährdende Bejagung zu verhindern, das Verbot des kommerziellen Walfangs. Wer jedoch annimmt, dieser Schritt hätte dem Walfang in Japan ein Ende gesetzt, wird enttäuscht: Japan nutzte eine Klausel, die das Töten von Walen für wissenschaftliche Zwecke und auch ihren anschließenden Verzehr ausdrücklich genehmigt, um seine Jagd fortzusetzen. Vor allem rechtskonservative Politiker bedienen bis heute zulasten des Tieres jene Wähler, die sich in Bezug auf ihre Esskultur vom Ausland nicht bevormunden lassen wollen.

Die viel lukrativere Möglichkeit, mit Walen Geld zu verdienen: das Geschäft mit Walbeobachtungen für Touristen.
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Die viel lukrativere Möglichkeit, mit Walen Geld zu verdienen: das Geschäft mit Walbeobachtungen für Touristen.

Im Jahr 2018 schließlich verkündete die nationalkonservative Regierung des damaligen Premierministers Shinzo Abe den Austritt Japans aus dem Anti-Walfang-Abkommen. Das Land argumentierte, dass sich die Bestände einiger Walarten so weit erholt hätten, dass der kommerzielle Walfang wieder zugelassen werden könne. Eine schlechte Nachricht für die Meeressäuger vor den Küsten des Landes.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ihre Jäger momentan die kleinste Gefahr für Wale darstellen. Weitaus mehr verenden jedes Jahr als ungewollter Beifang in Netzen, durch die Kollision mit Schiffen oder durch Plastikmüll im Meer. Der Walfang dagegen gilt selbst in Japan inzwischen als sterbende Industrie: Die viel lukrativere Möglichkeit, mit Walen Geld zu verdienen, als sie zu töten, ist das Geschäft mit Walbeobachtungen für Touristen. Die wohl nachhaltigste Form wirtschaftlichen Nutzen aus den Meeres­säugern zu ziehen.

Lebensmittelkonsum und Moral

Deutschland-Chefredakteur Sebastian Späth schreibt ab sofort regelmäßig über umstrittene Delikatessen und unethisch gewonnene Lebensmittel, ihren Ursprung und Alternativen – ohne erhobenen Mahnfinger, dafür mit überraschenden Hintergründen und Perspektiven.

 


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Sebastian Späth
Sebastian Späth
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