Wissenschaftler forschen weltweit an klimafreundlichen Ansätzen in der Rinderzucht.

Wissenschaftler forschen weltweit an klimafreundlichen Ansätzen in der Rinderzucht.
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Über die Zukunft der Rinderzucht

Viehzucht ist für mehr als ein Zehntel der weltweiten Methan-Emissionen verantwortlich. Doch die Wissenschaft forscht an einer Lösung – und die kommt aus dem Meer.

Die Hoffnung der Rinderzucht schwimmt einen halben Kilometer vor der Westküste Irlands und sieht aus wie breite Nudeln, nur ohne Sauce und in ungewöhnlicher Farbe. Die Rede ist von Algen, breit wie zwei Finger und schlammgrün, von denen vor der Küste Tausende Tonnen wachsen. Eine in Dublin ansässige Forschungsgruppe namens »SeaSolutions Project« widmet sich dem Meeresgewächs schon seit Längerem ausführlich. Denn es hat das Potenzial, die in Verruf geratene Rinderzucht (»Klimakiller Kuh«) zu revolutionieren. Für Irland, das mehr Rinder als Einwohner hat, kommt das an oberster Stelle – es geht um nichts weniger als den Wohlstand des Landes. Die Alge, so die These der Wissenschaftler, könnte die Rinderzucht mit der Umwelt versöhnen. Und das hat mit der Verdauung zu tun.

Ein nicht leicht zu verdauendes Thema

Kühe sind Wiederkäuer, in einem ihrer Mägen, dem Pansen, entsteht während der Verdauung Methan, wie in einem Miniatur-Biomassekraftwerk. Jedes Mal, wenn ein Rind rülpst, entweicht eine Methan-Wolke in die Atmosphäre – bis zu 500 Liter des extrem klimaschädlichen Gases kann eine einzige Kuh am Tag ausstoßen. Bei einer knappen Milliarde Rindern weltweit kommt eine Menge Methan zusammen. Was wiederum ein entscheidender Faktor für den Klimawandel ist – laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) stammen rund 14 Prozent der menschengemachten Klimagase von Wiederkäuern.

Bekanntlich hängt die Verdauung stark von der Ernährung ab, wie jeder weiß, der schon einmal einen zu kurz gekochten Bohnen- oder Linseneintopf gegessen hat. Der menschlichen Verdauung hilft Fenchel- und Anistee, für jene von Wiederkäuern ist es ein wenig komplizierter.

Irland gehört, wie Deutschland und Österreich auch, zu den mehr als 80 Staaten, die sich auf dem gerade zu Ende gegangenen Klimagipfel in Glasgow dazu verpflichtet haben, den Ausstoß von Methan massiv zu senken. Methan gilt als eines der gefährlichsten Treibhausgase, es ist für die Atmosphäre um ein Vielfaches schädlicher als CO2. Die Gipfelteilnehmer beschlossen, die Methan-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2020 um mindestens 30 Prozent zu senken. Für das stark von Landwirtschaft abhängige Irland erfordert diese Zahl eine besondere Kraftanstrengung – das Land kommt auf Rang drei der größten Treibhausgasverursacher in Europa. Um die Ziele zu erreichen, so ermittelte kürzlich der Guardian, müssten von den 7,4 Millionen irischen Rindern rund 1,3 Millionen geschlachtet werden. Ein Desaster nicht nur fürs Tierwohl, sondern auch für die Wirtschaftsleistung – und ein Grund, weshalb in dem kleinen Land mit Hochdruck an klimafreundlichen Alternativen geforscht wird.

Die Iren sind nicht allein, weltweit wird an diversen Instituten und Universitäten nach einer massentauglichen Lösung für das Methan-Problem gesucht. In Deutschland forscht man derzeit beispielsweise am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und in Zusammenarbeit mit Versuchsbetrieben daran, wie die Nutzung der Alge zur Verbesserung der Rinderzucht eingesetzt werden kann. Schon im vergangenen Jahrzehnt entdeckten kanadische Forscher, dass die Rotalge – wissenschaftlicher Name Asparagopsis – dabei helfen könnte, die Methan-Emissionen zu senken. In den USA und Australien mischten Wissenschaftler kleine Mengen von gemahlener Rotalge unters Mastfutter und ermittelten eine Reduktion im Methan-Ausstoß um bis zu 80 Prozent.

Internationale Feldversuche deuten darauf hin, dass Kühe methanreduzierendes Futter nicht verschmähen. Ob für einen Masseneinsatz Algen oder synthetisch produzierte Zusätze genutzt werden, steht noch nicht fest.
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Internationale Feldversuche deuten darauf hin, dass Kühe methanreduzierendes Futter nicht verschmähen. Ob für einen Masseneinsatz Algen oder synthetisch produzierte Zusätze genutzt werden, steht noch nicht fest.

Das Problem: Rotalgen wachsen längst nicht überall, sondern bevorzugt in wärmeren Gewässern. Die irischen Forscher experimentierten deshalb mit heimischen Arten, die sich bislang noch nicht so effizient verhalten wie das Vorbild Asparagopsis. Zu diesem Zeitpunkt ist deshalb noch offen, woher die Rotalgen für die weltweite Rinderzucht kommen sollten, sofern sie sich durchsetzen als Lösung im Kampf gegen Methan-Rülpser. Wie sich Plantage, Ernte und Futterproduktion konkret gestalten könnten, ist bislang unklar.

Andere Fragen scheinen dagegen geklärt zu sein: Schmeckt das Fleisch dann anders? Mögen die Kühe das Futter überhaupt? Welche Auswirkungen hat das Nahrungsergänzungsmittel aus dem Meer auf den Milchgeschmack? Ein Team um die Forscherin der University of California in Davis, Breanna M. ­Roque, fand heraus, dass sowohl Geschmack als auch Qualität des Fleisches gleich bleiben, also auf der Konsumentenseite wenig wirtschaftliche Einbußen drohen. Wie die Wiederkäuer ihr neu zusammengestelltes Futter finden, ist noch nicht restlos geklärt. Allerdings gibt es positive Zeichen dafür, dass es gut ankommt. Bisweilen wurde beobachtet, dass Tiere mit dem Superfood aus dem Meer bis zu 20 Prozent schneller zur Schlachtreife wachsen, was etliche Bilanzen weiterhin verschönert. Ohnehin ist die Beigabe so gering, dass den Kühen ein vermeintlicher Störgeschmack wahrscheinlich gar nicht auffällt.

Künftig als Zusatzstoff in der Rindermast? Rotalgen, die den Methan-Ausstoß von Kühen signifikant verringern.
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Künftig als Zusatzstoff in der Rindermast? Rotalgen, die den Methan-Ausstoß von Kühen signifikant verringern.

Gut für Umwelt und Gourmets

Es scheint so, als wären die Algen ein Glücksgriff für Umwelt und Gourmets zugleich – die Gefahr, ein Ausnahme-Könner wie der deutsche Drei-Sterne-Koch Clemens Rambichler aus dem »Waldhotel Sonnora« müsse irgendwann auf den Signature Dish »Rindertatar-Torte« verzichten, scheint vorerst gebannt, die New Yorker Steakhouse-Kultur wird zunächst erhalten bleiben. Es bleibt aus heutiger Sicht ein weiter Weg, bis das Wiener Schnitzel vom Mehlwurm-Burger abgelöst wird.

Insekten können mithelfen, die Klimabilanz der Rinderzucht zu verbessern. An der ETH Zürich forscht man zu nachhaltiger Lebensmittelverarbeitung und fand heraus, dass insektenbasierte Futtermittel für die Landwirtschaft im Allgemeinen, aber auch für Rinder signifikant nachhaltiger sein können als herkömmliche. Dies gilt nicht nur für das Füttern der Rinder mit Insekten an sich, sondern auch für die nachhaltige Nahrungsmittelversorgung der Insekten selbst – bestenfalls mit organischem Abfall. Hierbei glänzt besonders die Schwarze Waffenfliege, deren Zucht und Verarbeitung sich inzwischen die Schweizer Firma BITS angenommen hat. Der Kernaspekt bei diesem Ansatz ist vor allem die Ergänzung von Soja- und Fischmehl – ein anderer, aber nicht weniger bedeutender Aspekt in der Klimafrage, da die Sojaproduktion mit der Abholzung der Regenwälder einen wichtigen CO2-Speicher bedroht.

Die Würmer sind eine enorme Proteinquelle, leicht verdaulich und ausgesprochen krankheitsresistent. In der Produktion ist es vorgesehen, dass 50 bis 500 Tonnen an organischem Material an die Larven verfüttert wird. Dass sich Insekten gerade für die Rinderzucht hervorragend eignen, liegt auch an der Tatsache, dass bislang noch keine Hinweise darauf gefunden werden konnten, dass diese Krankheiten wie BSE übertragen können.

In der Debatte um die Verbesserung der Klimabilanz von Rindern scheint auch eine Nutzung von Insekten nicht ausgeschlossen.
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In der Debatte um die Verbesserung der Klimabilanz von Rindern scheint auch eine Nutzung von Insekten nicht ausgeschlossen.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Zurück zur Alge – momentan deutet vieles daraufhin, dass der Rindermast in nicht allzu ferner Zukunft ein methanreduzierender Zusatzstoff beigemischt werden wird. Ob er aus Algen stammt oder synthetisch produziert wird, steht noch nicht fest und dürfte am Ende vor allem eine finanzielle Frage sein.

Dennoch ist das letzte Wort offenbar noch nicht gesprochen, was die wissenschaftlichen Grundannahmen angeht. Wilhelm Windisch, Professor an der Technischen Universität in München und Experte für Tierernährung, spricht von einer verzerrten Debatte um den Methanbeitrag der Rinderzucht: Klimakiller Kuh, das ist ihm zufolge ein »irreführendes Narrativ«, wie er der deutschen Nachrichten-Seite ntv Ende Oktober in einem Interview sagte. Die Begriffe Konzentration und Emission würden fortlaufend verwechselt, so Windisch: »Die Konzentration an Methan in der Atmosphäre ist wie eine Badewanne: Wenn man Wasser reinlaufen lässt und unten den Stöpsel zieht, dann läuft es wieder raus und ich habe den gleichbleibenden Wasserstand.« Bei CO2 sei das ganz anders: »Wenn Sie Kohlendioxid emittieren, bleibt das Jahrtausende in der Atmosphäre. Das kriegen Sie nicht mehr raus, Sie müssen es irgendwie aktiv binden.«. Die Zahl der Kühe sei zudem im Vergleich zu vor 100 oder 150 Jahren gleich geblieben, so Windisch: »Man hat auch früher sehr viele Wiederkäuer als Nutztiere für die Arbeit gehabt.« Auch Windisch räumt aber ein: Sinkende Methan-Emissionen hätten einen »sehr schnellen kühlenden Effekt«.


Warum Heu nachhaltig ist

Eine Studie plädiert für eine ganzheitliche Betrachtung der Rinderernährung.

Heuwirtschaft ist die ursprünglichste Form der Milcherzeugung. Doch ist sie auch die nachhaltigste? Die ARGE Heumilch ließ diese Frage wissenschaftlich erörtern und gab eine Studie bei der Universität für Bodenkultur Wien in Auftrag. Das Ergebnis: Der Erhalt der Grünlandflächen durch die Bewirtschaftung der Heumilchbauern ist von klimapolitischer Bedeutung, da diese Böden wertvolle CO2-Senken darstellen. Auch das Image der Kuh als »Klimakiller« sei nicht richtig. Es komme auf die Systeme der Tierhaltung und Futterbereitstellung an. Auf die bewirtschaftete Fläche bezogen weist die Heuwirtschaft insgesamt ein um 40 Prozent geringeres Treibhauspotenzial auf als industrialisierte Agrarsysteme.


Juliane Eva Reichert
Autor
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