Lena Golker, Mara Feißt, Katharina Six und Friederike Duhme.

Lena Golker, Mara Feißt, Katharina Six und Friederike Duhme.
beigestellt © The Female Wine Collective

The Female Wine Collective: »Wir sind ein Safe-Space für Flinta Personen in der Weinbranche«

Warum es zu wenig ist, von den Frauen in der Branche zu sprechen, über die Bagatellisierung von sexistischen Übergriffen und wie man die vorhandene Schieflage aufzeigen sowie den Diskurs öffnen will, darüber sprechen die Initiatorinnen im Interview.

»Kann ich den Chef / Sommelier / Winzer sprechen?«: Sowohl in der Top-Gastronomie  als auch in der Weinbranche sind immer noch vergleichsweise wenige Frauen anzutreffen. Diese Ungleichheit lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Das Female Wine Collective hat sich vor drei Monaten formiert, um neue Standards für Sichtbarkeit, Gleichberechtigung und respektvollen Umgang in der Branche zu schaffen. Falstaff hat mit Friederike Duhme, Katharina Six, Kira Huber, Lena Golker und Mara Feißt über ihre Pläne und Ziele gesprochen.

In der Spitzengastronomie sind nur zehn Prozent Frauen vorzufinden, auch in der Weinbranche sind Frauen wenig sichtbar. Der Ruf nach Geschlechtergleichheit ist aber immer stärker spürbar und auch im Netz schwillt bereits eine hitzige Diskussion an. Wie beurteilen Sie den Status Quo? Wie würden Sie die allgemeine Stimmung bezüglich Diversity in der Gastronomie- und Weinbaubranche beschreiben?

Bezüglich des Status Quo lässt sich die folgende Diskrepanz beobachten. Einerseits arbeiten sehr viele Flinta (das steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen) hauptberuflich in der (Spitzen-)Gastronomie und in der Weinbranche—sei es im Handel oder im Weingut, als Restaurantleiter:innen, in der Sommelerie oder im Weinjournalismus. So konnte das Female Wine Collective auch innerhalb kürzester Zeit auf 50 Personen wachsen. Bezeichnend dabei ist, dass sich viele Personen zuvor nicht bis kaum kannten.

Und genau das ist die andere Seite des Status Quo. Flinta Personen erfahren unzureichende bis keine Sichtbarkeit und Anerkennung für ihre Arbeit. Sie sind seltener bis gar nicht in Führungspositionen. Ihnen wird seltener eine Bühne geboten, sie werden auch seltener ausgezeichnet.

Bestrebungen diese Missstände aufzuzeigen, resultieren, wie in den Beiträgen des Female Wine Collectives zur Rolling Pin erkenntlich, in viel Zustimmung von Personen der Branche, auch in konstruktiver Kritik und legitimem Diskurs. Leider muss man doch auch feststellen, dass die Legitimität und Wichtigkeit queer-feministischer Bestrebungen von Teilen der Szene in Frage gestellt wird, und auch jene sexistischen Stereotypen, die es aufzuarbeiten gilt, in den Kommentaren unter den Beiträgen reproduziert werden. Demnach kann man die Stimmung der Branche bezüglich Diversität als ambivalent beschreiben.

Sie benützen den Begriff Flinta – was sind die Hintergründe? Kann man mit den Begriffen Female und Diversity zu wenig aussagen?

Der Begriff Diversity ist etwas zu schwammig und nicht gut greifbar. Auch wenn female Teil des Namens des Kollektivs ist, gehen unsere Bestrebungen darüber hinaus. Wir wollen nicht nur females der Weinbranche einschließen, sondern mit dem Ausdruck Flinta konkret eine marginalisierte Gruppe sichtbar machen und generell alle Personen, die von dem patriarchalen System der Weinbranche und der Gastronomie benachteiligt und diskriminiert werden, unterstützen.

Gibt es in ihrer Branche spezifische Herausforderungen oder Diskriminierungserfahrungen, mit denen Frauen häufiger konfrontiert sind als Männer?

Es gibt einerseits branchenübergreifende Herausforderungen und Diskriminierungserfahrungen, die Flinta Personen generell betreffen wie zum Beispiel: equal-pay, Möglichkeit der Kinderbetreuung, Machtmissbrauch, generelle Kompetenzabsprache, die Reproduktion sexistischer Stereotypen und die Diskriminierung, die daraus folgt. Wie bereits erwähnt, sind Flinta Personen seltener bis gar nicht in Führungspositionen. Ihnen wird seltener eine Bühne geboten, sie werden auch seltener ausgezeichnet.

Eine Herausforderung, die speziell in der Gastronomie und in der Weinbranche zusätzlich besteht, ist, dass aufgrund der Arbeit mit Alkohol die Grenzen der Freund:innenschaft und Professionalität oft verschwimmen. Das hat zur Folge, dass unter Alkoholeinfluss stattfindende sexuelle Belästigungen oder Übergriffe oft bagatellisiert werden.

Zusätzlich findet man noch in vielen Betrieben verpflichtende binäre Kleiderordnungen wie Absatzpflicht bei Schuhen für weiblich gelesene Personen.

Welche Unterstützungssysteme oder Netzwerke stehen Frauen/Flintas in Ihrer Branche zur Verfügung, um mit Diskriminierung umzugehen und ihre Karriere voranzutreiben?

Das Female Wine Collective soll eine vorhandene Lücke schließen. Die Interessenvertretungen, die es für die Gastronomie oder für die Weinbranche gibt, setzen sich unseres Wissens nur bedingt mit den diskutierten Missständen auseinander. Aufgrund der Struktur der Betriebe unserer Branche gibt es auch selten Betriebsräte.

Zudem muss man sagen, dass zum Beispiel die Gastronomie generell nicht sehr für ihren Arbeitnehmer:innenschutz bekannt ist. Es gibt natürlich Netzwerke, die sich branchenübergreifend einsetzen wie die Frauendomäne und The Sorority, Solidarity Sister!, um hier nur zwei zu nennen, die eine tolle Arbeit leisten.

Wie kam es eigentlich dazu, das Female Wine Collective ins Leben zu rufen? Was sind Ihre Ziele?

Das Female Wine Collective entstand aufgrund des Bedürfnis nach einem Safe-space und einem Netzwerk, in dem sich Flinta Personen der Weinbranche austauschen können, gegenseitig empowern und gemeinsam fortbilden. Mit den Zielen nach außen einen Standard für Sichtbarkeit, Gleichberechtigung und respektvollen Umgang für die Branche zu schaffen. Wir wollen so die vorhandene Schieflage aufzeigen und den Diskurs öffnen.

Haben Sie persönlich oder in Ihrem Umfeld Diskriminierung (gegenüber Frauen) oder Auswüchse von Sexismus und Chauvinismus beobachtet? Können Sie Beispiele teilen?

Es gibt unzählige Beispiele für die bereits erwähnten Missstände wie die der generellen Kompetenz Absprache— »Kann ich den Chef / Sommelier / Winzer sprechen?« —Reproduktion sexistischer Stereotypen—während männliche Kollegen »standhaft« sind und »Führungsqualitäten zeigen«, wird das gleiche Verhalten bei Flinta Personen als »bossy« bezeichnet—fehlende Sichtbarkeit von Winzerinnen, vor allem wenn sie den Betrieb mit ihrem Partner gemeinsam führen. Weiters kommt es zu (misogynen) Beschimpfungen zur Normalisierung sexistischer Bemerkungen und Übergriffe von Gästen, als auch zur Bagatellisierung von sexistischen Aussagen und sexuellen Übergriffen von (männlichen) Personen der Branche, die jede einzelne von uns ein diversen Situationen erleben musste.

Welche Maßnahmen oder Initiativen ergreifen Sie, um die Geschlechtergleichheit zu fördern und Diskriminierung entgegenzuwirken?

Um Gleichstellung zu fördern, planen wir (Online-)Kampagnen, die aufklären und den Diskurs weiter öffnen sollen. Außerdem sind Workshops, Verkostungen und Master-Classes geplant. Das Kollektiv ist derzeit im Aufbau. Aktiv gibt es uns erst seit drei Monaten. Der Großteil der Arbeit passiert gerade intern. Es darf sich auch langsam entwickeln, vor allem wenn man berücksichtigt, dass wir das alle in einer 40+ Stunden Arbeitswoche unterbringen müssen. Einmal im Monat organisieren wir zudem einen Roundtable, bei dem sich alle Mitglieder treffen, austauschen und vernetzen. Mit der Vereinsgründung setzten wir viele Projekte an, die sich je nach Zeit und Ressourcen schneller oder langsamer realisieren dürfen.

Welche strukturellen Veränderungen müssen Ihrer Meinung nach in der Branche vorgenommen werden, um die Geschlechtergleichheit zu verbessern? Wie kann man diese herbeiführen? Welche Rolle können Männer dabei spielen?

Für eine strukturelle Veränderung ist zunächst einmal das Eingeständnis der Schieflage notwendig. Ohne Einsicht, dass es ein strukturelles Problem gibt, wird man es, wenn überhaupt nur punktuell, d.h. im eigenen Betrieb, jedoch nicht strukturell lösen können.

Die Rolle, die Männer hier spielen können, vor allem die, die viel Macht und Einfluss in der Branche haben, ist, die eigene Verantwortung zu reflektieren, beziehungsweise, die eigenen Privilegien zu erkennen und öffentlich zu thematisieren. Die Bereitschaft, die Missstände zu beseitigen, hat auch zur Folge, die eigenen Privilegien aufzugeben.

In weiterer Folge ist aktives Handeln notwendig. Dabei spielen journalistische Medien und Bewertungskriterien auch eine große Rolle. Wenn eine Berichterstattung, die fünf Wiener Betriebe auszeichnet und bei drei von fünf Betrieben, die Sommeliers beziehungsweise die verantwortlichen Personen namentlich erwähnt werden – drei Männer, bei den beiden anderen Betrieben, die für den Wein zuständigen Personen nicht erwähnt, aber genau diese weiblich besetzt sind, dann stellt sich die Frage, ob das ein Zufall ist. Es geht nicht darum, hier jemandem etwas vorzuwerfen, sondern aufzuzeigen, wie unsichtbar Flinta Personen der Weinbranche sind, selbst wenn ihre Betriebe ausgezeichnet werden.

Gibt es für Sie persönlich Beispiele für Frauen, die in der Weinbranche erfolgreich sind und als Vorbilder dienen können? Wie haben sich diese ihren Weg geebnet und welche Hindernisse mussten sie überwinden?

Natürlich gibt es viele Beispiele für Frauen, die in der Weinbranche erfolgreich sind und als Vorbilder dienen können. Eine oder zwei herauszuheben geht gegen die Bestrebungen des Kollektivs. Wir wollen eben zeigen, dass es in der Weinbranche und Gastronomie eine Vielzahl von Flinta Personen gibt, die es alle wert sind, genannt und sichtbar gemacht zu werden. Anstatt Personenkult zu betreiben, hier ein Auszug einiger Mitglieder:innen des Female Wine Collectives:

Adriana Lichtenberger-Gonzalez, Agnes Mantler, Alina Binstorfer, Anna Arndorfer, Anna-Katharina Lex, Anna-Marie Brouwer, Barbara Huber, Betty Fischer, Carolina Sophia Steinhuber, Caroline Derler, Cecile Tulli Manardo, Christina Stahl, Claire Yuan, Daria Viel, Elisabeth Strömer, Elli Hackstein, Ester Sökjer-Petersen, Friederike Duhme, Ivanna Kuspita, Judith Beck, Julie Hoch, Katharina Gessl, Katharina Gnigler, Katharina Six, Katrin Lautner, Kim Bechinger, Kira Huber, Lara Bertl, Lena Golker, Lena Mattson, Lydia Nittnaus, Lydia Schima, Madlaina Dosch, Manaho Shimokawa, Mara Feißt, Mina Härter, Nina Gutschi, Sarah Rizzo, Sara Wanek, Sara Weissteiner, Selina Maria Weratsching, Stefanie Renner, Stefanie Wiesner, Piano Plupthong, Viktoria Schödl.


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Julia Emma Weninger
Julia Emma Weninger
Chefredakteurin Online
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