Von hier ging einer der wesentlichen Impulse zur Lagenklassifikation aus.

Von hier ging einer der wesentlichen Impulse zur Lagenklassifikation aus.
© Wood T. Herner

VDP: Der lange Weg zum großen Gewächs

Seit 1999 gab es in Deutschland »Erste Gewächse«, seit 2003 erzeugt der Winzerverband VDP nach eigenen Statuten »Große Gewächse«.

Bettina Bürklin-von Guradze erinnert sich noch sehr gut an ihre Stimmung, als sie 1990 das Weingut ihrer Familie übernahm: »Der deutsche Wein hatte keinen Ruf, und wir hatten große Mengen im Keller. Kurz: Wir sahen für diese Art, zu wirtschaften, keine Zukunft und stellten uns darum die zentrale Frage: Was ist eigentlich das Wertvollste unseres Besitzes? Und das war ganz leicht zu beantworten: Es sind die Lagen. Kirchenstück, Jesuitengarten, Pechstein, und ein Dutzend weitere. Unsere Vorfahren wussten doch genau, was sie taten, als sie diese Weinberge gekauft haben. Lagen wie diese waren nach wie vor das Kapital im deutschen Weinbau, nur das Bewusstsein dafür war verloren gegangen«.

Jeder Weinliebhaber kennt und achtet die Klassifikationen Burgunds und Bordeaux’, man weiß (oder kann es im Zweifelsfall nachschlagen), dass beispielsweise Château Lafite-Rothschild höher steht als der Nachbar Duhart Milon oder dass ein Chambertin aus einer besonders privilegierten Grand-Cru-Lage stammt, während ein Gevrey-Chambertin als Wein der Villages-Stufe zwar aus derselben Gemeinde kommt, aber eben nicht aus dem besten Weinberg des Orts, sondern aus einer der Lagen am Rand der Gemarkung. 

Beide Vorbilder einer Klassifikation gehen aufs 19. Jahrhundert zurück und haben in den zurückliegenden 150 Jahren Profil und Prestige geschaffen – und das übrigens auch für diejenigen, deren Weinberge eher auf den unteren Stufen der Klassifikation stehen. Schaut man auf die Preise für Rebland, dann ist heute selbst ein Hektar Bourgogne tout-court (also der Regionalappellation) etwa sechsmal so wertvoll wie ein Hektar einer anderen französischen Herkunft, die keine Klassifikation kennt. Alleine die Tatsache, dass die Weinberge kritisch in Augenschein genommen und in Güteklassen unterteilt werden, schafft am Markt Vertrauen und Nachfrage

Bettina Bürkling-von Guradze
©Foto beigestellt
Bettina Bürkling-von Guradze

Die Anfänge

»Nachdem wir verstanden hatten, dass wir nicht einfach so weitermachen konnten, sind die Gedanken rasch zu dem Thema Klassifikation geschweift«, erinnert sich Bürklin-von Guradze weiter, »und da stieß man sofort auf Bernhard Breuer, der ein kluger Kopf und ein Vordenker war und der sich bereits mit dem Thema beschäftigt hatte.« Breuer hatte bereits 1984 eine Vereinigung (mit)gegründet, die man als Geburtshelfer der deutschen Klassifikation verstehen kann: die Gruppe der Charta-Weingüter. Der Charta-Riesling müsse, so heißt es im Statut, »aus besten Rheingauer Lagen« stammen. Auch sei der Wein frühestens nach zwölf Monaten in den Verkehr zu bringen. Diese Regel gilt auch heute beim »Großen Gewächs«. »Bernhard Breuer war der Spiritus Rector«, führt Bettina Bürklin-von Guradze weiter aus. »Möglicherweise war er sogar derjenige, der uns Pfälzern vorgeschlagen hat, uns am vierstufigen Klassifikations-Modell aus Burgund zu orientieren.

Die Mittelhaardt ist ja geologisch und klimatisch Burgund nicht unähnlich und auch in der Art, wie die Weinberge daliegen, mit einem Höhenzug im Rücken und sich zu einer Flussebene hin öffnend.« Im Jahr 1994 war es dann soweit, und die VDP-Weingüter Christmann, Mosbacher, Bürklin-Wolf und Koehler-Ruprecht veröffentlichten eine »Erklärung der vier«, die den Startschuss in die Lagenklassifikation der Pfalz gab. Schon im Jahr 1999 gelangten 80.000 Flaschen Pfälzer »Erste Gewächse« in den Verkauf, von der Weinkontrolle argwöhnisch beäugt: Anfangs durften Attribute wie »G.C.« und »P.C.« – von Bürklin für sich geschützt – oder »Erstes Gewächs« nicht auf dem Etikett stehen, mancherorts gab es sogar Ärger mit den Behörden, wenn solche Bezeichnungen auf Preislisten oder in Probenbooklets auftauchten. Trotzdem gründeten auch andere Weinbaugebiete ein »Comité Erstes Gewächs«, und der Name »Erstes Gewächs« sollte sich (vorläufig) für den Grand-Cru-Wein aus Deutschland durchsetzen.

Ausgerechnet im Rheingau jedoch, in Bernhard Breuers Heimatregion, nahm das »Erste Gewächs« eine unvorhersehbare Wendung: Um diese Bezeichnung gesetzlich und für alle Winzer zu etablieren, verlangte das Bundesland Hessen eine wissenschaftliche Begleitung der Klassifikation. Diese wurde von der Hochschule Geisenheim entlang eines Parameters vorgenommen, der schon damals eher fragwürdig war: Die Betrachtung von »Wärmesummen« schloss Breuers kühl in der Höhe gelegene Monopol-Lage Rauenthaler Nonnenberg als nicht klassifizierungswürdig aus – anders als rund drei Viertel der Weinberge im Rheingau. Das offizielle »Erste Gewächs« kam mit dem Jahrgang 1999, Breuer als einer der wichtigsten Gründungsväter der Klassifikation trat unter Protest aus dem VDP aus – und verzichtete forthin auch für seine klassifizierten Rüdesheimer Lagen auf die Bezeichnung »Erstes Gewächs«. 

© Weingut Karl Haidle

Zwanzig Jahre Aufbau

In den 20 Jahren nach 1999 hat die Klassifikation der Anfangstage immer wieder Modifikationen erfahren. Aus den »Ersten Gewächsen« sind bundesweit »Große Gewächse« geworden, und das gegenwärtig tonangebende VDP-Modell ist letztlich eine Rückkehr zu derjenigen Idee, die Bürklin-Wolf schon 1994 mit den betriebsinternen Zusätzen »G.C.« und »P.C.« vor Augen stand: »Großen Lagen« stehen über »Ersten Lagen«, und diese wiederum über Orts- und Gutsweinen. Die Klassifikation hatte im Lauf der Jahre auch immer wieder mit Problemen logischer Kohärenz zu kämpfen. Einer ihrer Geburtsfehler ist sicherlich, dass sie nicht vom Markt her kam und zugleich über eine Fülle von Anbaugebieten mit völlig unterschiedlichen Weinstilen ausgebreitet wurde.

Die Mosel beispielsweise – seit Beginn ihres internationalen Ruhms für fruchtige und edelsüße Weine berühmt – tat sich anfangs schwer mit dem Gedanken, überhaupt einen trockenen Prestigewein zu definieren. Auch ein weiteres Problem ist letztlich noch nicht befriedigend gelöst: dasjenige, das unter dem Schlagwort »Lagenverbrauch« diskutiert wird. Das Problem beginnt mit einer harmlos klingenden Vorschrift: Das Große Gewächs ist der trockene Wein aus einer Großen Lage. Der Stolperstein für viele, gerade größere Betriebe liegt darin, dass der Lagenname mit dem Großen Gewächs für andere trockene Weine »verbraucht« ist: Es kann etwa neben einem Würzburger Stein Silvaner GG keinen weiteren trockenen Stein-Silvaner geben. Jede solche Kelterung, vielleicht mit Absicht in der leichteren Art eines Kabinett gehalten, muss zu Würzburger Ortswein deklassiert werden, selbst wenn die Trauben aus dem Stein kommen.

Ein anderes Problem treibt den VDP Rheinhessen um: Um dem Ortswein als Kategorie eine höhere Wertschätzung zu verleihen, hat er unlängst die Kategorie »Ortswein aus Ersten Lagen« eingeführt, die nicht nur etwas verwirrend klingt, sondern vor allem daran krankt, dass der VDP Rheinhessen in seiner internen Klassifikation gar keine »Ersten Lagen« definiert hat.
In anderen Anbaugebieten gibt es das Problem, dass Lagen mit großer flächenmäßiger Ausdehnung so inhomogen in Boden und Kleinklima sein können, dass die Ausweisung von »Großen Lagen« die Abtrennung einzelner Parzellen oder Gewanne erfordert. Der Rest der Lage wird dann in der VDP-Nomenklatur zur »Ersten Lage«. Gibt nun das Rebkataster keinen verwendbaren Namen für die Teilflächen »Große Lage« her (oder hat die Weinkontrolle Einwände), kann dies zu der kuriosen Situation führen, dass für das Große Gewächs ein Phantasie-name auf dem Etikett steht, während man den eigentlich bekannten Lagennamen auf dem eine Qualitätsstufe tiefer angesiedelten Wein findet.

»Man könnte es als Konstruktionsfehler ansehen, dass der VDP oben begonnen hat mit der Klassifikation, die Erste Lage als Zwischenstufe zwischen Ortswein und Großem Gewächs wurde erst im Nachhinein eingeführt«, sagt mit Armin Diel ein Winzer und langjähriger VDP-Vorstand, der die Klassifikation selbst maßgeblich begleitet und geformt hat. Diel weist allerdings auch darauf hin, dass in den Anfangsjahren durchaus eine gewisse Wucht erforderlich gewesen sei, um die Idee der Klassifikation überhaupt erst in die Köpfe von Branche und Weinkennern zu bringen. »Aber aus heutiger Sicht wäre es wahrscheinlich besser gewesen, wenn wir gesagt hätten: Jetzt definieren wir erst einmal die Premiers Crus und entwickeln dann aus ihnen heraus die Grands Crus.« 

Paul und Sebastian Fürst
© Kathrin Koschitzki
Paul und Sebastian Fürst

Ein Welterfolg

Sicher wäre es auch zu viel erwartet, wenn man glaubte, dass eine Klassifikation, wie sie der VDP in den Neunzigerjahren begonnen hat, in zwei oder drei Jahrzehnten zur Perfektion reift. Die Klassifikation des Médoc, die 1855 festgeschrieben wurde, blickte zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine fast einhundertjährige Geschichte zurück, in der immer wieder neue Autoren neue Listen veröffentlicht hatten.

»Das Große Gewächs ist heute ein Welt-erfolg«, zieht Armin Diel jedenfalls eine positive Bilanz. Und die Zahlen geben ihm Recht: Im Jahr 2020 haben die 200 VDP-Winzer nahezu zwei Millionen Flaschen GG umgesetzt. Es gibt kaum einen Winzer, der nicht von der Klassifikation profitiert hat. Manche produzieren nur ein Fuder und nützen die paar hundert Flaschen als Bannerträger für das Prestige des Weinguts. Ein großer Betrieb wie Robert Weil erzeugt aus einer einzigen Lage, dem Gräfenberg, 30.000 Flaschen. Dieter Greiner von den Hessischen Staatsweingütern, die besonders reich mit Großen Lagen gesegnet sind, hält sich bedeckt über Produktionsmengen, betont aber, dass das GG »gerade in den letzten Jahren nochmal enorm an Stellenwert gewonnen« habe.

Und es gibt Betriebe der mittleren Größe, die sich regelrecht auf die Erzeugung von Großen Gewächsen spezialisiert haben. Konrad Salwey etwa, der Burgunder-Experte vom Kaiserstuhl, scrollt durch seine Buchhaltung und liest fürs Jahr 2020 vor: »30.644 Flaschen«. Er berichtet weiter, dass seine Spätburgunder-GGs inzwischen sogar nach Belgien gehen – in einen Markt, der traditionell nach Burgund blickt und dort das Beste vom Besten kauft. Keine Frage, das GG aus deutschen Landen hat schon viel erreicht. Und dabei hat seine Erfolgsgeschichte gerade erst begonnen. 

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2021

Zum Magazin

Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
Mehr zum Thema