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Wissenschaft: Die neue nordische Kost

Die Küche im Norden ist wie jene im mediterranen Raum mit einem Gesundheitsnimbus behaftet. Das war nicht immer so. Was steckt dahinter und vor allem – was ist dran?

Traditionelles Essen in Europas nördlichen Ländern ist durchaus deftig. Die übliche nordische Küche wird daher auch nicht unbedingt als sonderlich gesund angesehen. Doch weil vor etwa vier Jahrzehnten noch, insbesondere in Finnland, die frühzeitige Sterberate vor allem aufgrund koronarer Herzkrankheit (KHK) sehr hoch war, wurde in umfassende Gesundheitsaufklärungsprogramme investiert. Ein Teil davon bezog sich auf Ernährungsumstellungen. So wurde anfänglich die mediterrane Ernährung beworben, die grundsätzlich im Norden ebenso ihre Vorteile brachte wie sie das im Süden tut: Bei Menschen, die sich daran halten, sinkt das Gesamt- und LDL-Cholesterin um bis zu 20 Prozent, sowie etwaiger Bluthochdruck. Großes Manko war jedoch: Die lokale Bevölkerung akzeptierte die mediterrane Diät nicht in dem Ausmaß, wie man sich das erwartete. Zu schwierig schien die Umstellung gewohnter Ernährungsgewohnheiten, zu groß waren die Unterschiede bei den Geschmacksvorlieben und in kultureller Hinsicht. Zu all dem kam noch die
begrenzte Verfügbarkeit der für die mediterrane Kost relevanten Lebensmittel.

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Gastronomie, Ernährungs- und Umweltexperten entwickelten daher mit dem Anspruch auf eine in den Kulturkreis eingebettete, wohlschmeckende, gesunde und nachhaltige Ernährung 2009 die »Neue Nordische Diät« (NND). Das Konzept entspricht im Wesentlichen den aktuellen Ernährungsempfehlungen der skandinavischen Länder Schweden, Norwegen und Dänemark und berücksichtigt vor allem die regionalen Essmuster. Im Fokus stehen dabei: heimische
(d. h. wilde) Beeren, Kohl, heimischer Fisch und Meeresfrüchte, heimische Wild- und Weidetiere, Rapsöl sowie Haferflocken und Roggenbrot – vor allem in der Vollkornvariante. Hinzu kommen Wurzelgemüse, Äpfel und Birnen sowie Kartoffeln und Nüsse.

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Aus Wildnis und Wasser

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirken mag, die neue nordische Küche ist der mediterranen in ihren Grundzügen recht ähnlich. Die wesentlichen Unterschiede liegen bei der Fettempfehlung (statt Olivenöl kommt Rapsöl zum Zug), im Schwerpunkt auf Vollkorngetreide sowie dem Fokus auf Wildpflanzen und Fleisch von Wildtieren. Im Vergleich zur typischen Dänischen Kost ist um etwa ein Drittel weniger Fleisch vorgesehen. Die Konzentration auf Wild ist indes unter Gesundheits- und Nachhaltigkeitsaspekten günstig. Denn Wildtiere veredeln das für Menschen nicht verdauliche Gras zu verwertbarem Fleisch. Wildbret weist zudem im Schnitt einen niedrigeren Fett- und höheren Eiweißgehalt auf. Weiters ist die Fettsäurezusammensetzung vom Fleisch frei lebendender Rehe, Hasen oder Hirschen günstiger als das Fleisch von im Stall gehaltenen Tieren (mehr ungesättigte Fettsäuren). Das liegt an der uneingeschränkten Bewegungsfreiheit und der freien Nahrungsselektion von Wildkräutern und -gräsern. Omega-3-Fettsäuren stammen sonst – und in deutlich höheren Mengen – von den Fettfischen und Rapsöl. Beeren wiederum werden wegen des Gehalts an Vitamin C und vor allem an sekundären Pflanzenstoffen, die antientzündlich wirken, sowie der Ballaststoffe geschätzt.

Zahlreiche Benefits

Studien rund um die gesundheitlichen Effekte der neuen nordischen Diät häufen sich zunehmend. Freilich ist immer einschränkend zu berücksichtigen, dass sich an solchen Experimenten stets Freiwillige beteiligen, die ein gewisse Affinität zu gesunder Ernährung haben und sich in den Ergebnissen weder die Studienabbrecher noch die weniger an Gesundheit interessierte Bevölkerung widerspiegeln. Dennoch, bei jenen, die sich an das Konzept halten, lassen sich einige Benefits beobachten. Da ist zum einen der Effekt auf das Körpergewicht. Übergewichtige, die ein halbes Jahr lang nach Lust und Laune bei der nordischen Diät zulangten, hatten im Schnitt 4,7 kg abgenommen. Weil sie mit den Speisen durchaus zufrieden waren, nahmen sie auch nach Ende der Intervention weniger an Körpergewicht wieder zu als Probanden mit der üblichen Dänischen Kost. Das Konzept wird daher auch als Weg raus aus dem Jo-Jo-Effekt erachtet. Davon abgesehen wirkt die Neue Nordische Diät positiv auf den Blutdruck und verbessert das Blutfettprofil. Das bedeutet weniger vom bösen LDL-Cholesterin und Gesamtcholesterin. Gleichzeitig verbessert sich die Insulinsensitivität. Das liegt am hohen Anteil an ballaststoffreichen, pflanzlichen Lebensmitteln, wie Obst, Beeren, Gemüse und Vollkornprodukten, sowie an den günstigen Fettsäurelieferanten Rapsöl, Nüssen, Fisch. Die Kost kann aber nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder von Vorteil sein. Bei ihnen waren die hohen Spiegel an Omega-3-Fettsäuren im Blut mit einer besseren Lesefähigkeit, höheren Aufmerksamkeit im Alltag und insgesamt einer stärkeren schulischen Leistung verbunden. In Summe also hat die Neue Nordische Diät vergleichbare gesundheitliche Effekte wie die mediterrane Ernährung. Zudem scheint sie durch die lokalen Anpassungen im Alltag gelandet zu sein.


Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2022

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Marlies Gruber
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