© Doris Weigl

Wissenschaft: Mit »Don Giovanni« zum Nachtmahl

Ist unser Appetit auf Schnitzel, Braten, Fisch oder Süßes davon abhängig, was wir vorher gehört oder gesehen haben?

Essen und Trinken sind für uns so alltäglich, dass wir eigentlich gar nicht mehr überlegen, was uns veranlasst, etwas zu uns zu nehmen, beziehungsweise wann wir welche Mahlzeit bevorzugen. Hunger allein ist es nämlich in den meisten Fällen nicht – Neugier ja, Gewohnheiten ebenso. Viele Faktoren wirken in einem komplexen Steuerungssystem zusammen, das überdies auch von kulturellen Einflüssen bis hin zu Moden – wie etwa den wechselnden Schlankheitsidealen – beeinflusst wird, sagt uns die Ernährungspsychologie.
Ob diese Erkenntnisse auch dann anzuwenden sind, wenn man nach dem Besuch einer Oper, eines Theaters oder eines Balletts aus den diversen Speisekarten wählt, bedarf vielleicht am Ende einer eigenen Beobachtung. Offenbar haben neben der Länge des Stückes, das ja dann auch die Uhrzeit der in Folge eingenommenen Mahlzeit bestimmt, auch die Inhalte ihren Einfluss. So ergaben Nachforschungen bei den Klassikern der Wiener Gastronomieszene nach dem Kunst-Besuch – also im Hotel Sacher, dem Hotel Bristol und bei Gerstner –, dass der Küchenchef aus den Bestellungen seiner Gäste ersehen kann, ob diese vorher Richard Wagners »Ring«, ein klassisches Ballett oder ein angesagtes Theaterstück gehört oder gesehen haben.

Die Leichtigkeit des Seins

»Ich jubiliere in den Lüften über meine Freiheit und die Gewissheit, dass der Boden mich wieder sicher auffangen wird. In der Luft und am Boden ist es wunderschön und ich genieße es...«, formulierte der große Tänzer Rudolf Nurejew. Und seien wir ehrlich mit uns selber, wer möchte nach einer der luftig-leichten Aufführungen der Ballette der Großmeisterinnen und Großmeister der Szene und nach dem Eintauchen in die Kunst der leichtfüßigen Tänzerinnen und Tänzer einen üppigen Braten oder ein kalorienbeschwertes Schnitzel genießen? Dazu braucht es vielleicht gar keinen psychologischen Hintergrund, um festzustellen, dass man hier mit einem leichten Fischgericht oder einer Portion Grünzeug auf dem Teller den Lichtgestalten auf der Bühne näher ist. Vielleicht aber machen manche Opern auch Lust darauf, das zu essen, worüber gerade gesungen wurde? Allerdings wäre man dabei dem Champagner näher als dem Braten. Schauen wir uns zum Beispiel Wolfgang Amadeus Mozart an.

In seinem »Don Giovanni« wird das einzige echte Gericht aller seiner Opern genannt, der Fasan. Im zweiten Akt ahnt der Weiberheld, dass er seine Henkersmahlzeit einnimmt, als er sich alleine an die Tafel setzt. Seinen Diener Leporello, dem das Wasser im Mund zusammenläuft, lässt Mozart schimpfen: »Welch barbarischer Appetit! Welch riesige Bissen!« Don Giovanni lässt ihn aber nur den Wein einschenken: »Versa il vino! Eccelente marzimino!« singt Don Giovanni und setzt dieser Rebsorte damit ein immerwährendes Denkmal. Leporello allerdings möchte unbedingt ein Stück des Fasans kosten: »Dieses Stück Fasan will ich ganz leise zu mir nehmen«, klagt er sehnsüchtig und nach dem Unerreichten darbend. Und natürlich gibt es da auch noch das Zuckerbrot in der »Zauberflöte«. Dann sind da offenbar noch die kuriosen Beobachtungen einiger Restaurants, in denen Opern- und Theater-Gäste gerne dinieren, aber empirisch zu ergründen ist das nicht.

Der Magen ist der Meister der Musik

»Der Magen ist der Meister der Musik, der das große Orchester der Leidenschaften bremst oder anspornt«, schreibt der berühmte Komponist, Bonvivant und Gourmet Gioacchino Rossini. Das führt nun zu Überlegungen, natürlich nicht wirklich wissenschaftlich belegbaren, zum Genuss nach der Oper. Dieser ist heute, wo die Menschen so viel mehr auf die Gesundheit achten, auch sehr oft ein Genuss vor der Oper. Bei den Salzburger Festspielen, im Wiener Opernjahr oder in Bregenz am See sehen die Menschen das Dinieren als Teil des »Gesamtkunstwerkes Opernerlebnis«. Wer in Wien im legendären Hotel Sacher, in der Bristol Lounge oder im berühmten Gerstner-Haus in der Kärntner Straße seinen Opernabend einläutet oder ausklingen lässt, der orientiert sich vielleicht an dem, was ihn erwartet oder gerade erbaut hat. Also doch ein leichter Fisch nach dem Ballett oder ein Tafelspitz nach einer klassischen Oper? Wer weiß das schon so genau. »Unsere Gäste sollen Alltag und Hektik hinter sich lassen und in eine Welt des Wohlfühlens und Genießens eintreten«,  sagt Oliver W. Braun, geschäftsführender Gesellschafter von Gerstner. Mit Blick auf die Staatsoper tafelt man dann wahrscheinlich doch einfach nach persönlichem Gusto und nicht nach dem Opernprogramm. Das ist in Wien nicht anders als in Paris oder Salzburg. »Essen, Lieben, Singen, Verdauen sind die vier Akte der komischen Oper, die Leben heißt«. Wieder ein Zitat von Gioacchino Rossini, das eigentlich alles sagt.

Erschienen in
Opernball Spezial 2020

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