Die Bedeutung von heimischem Wildfang wird immer größer. Sogar von Seiten des Staats soll er gefördert werden – als Eiweißquelle der Zukunft.

Die Bedeutung von heimischem Wildfang wird immer größer. Sogar von Seiten des Staats soll er gefördert werden – als Eiweißquelle der Zukunft.
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Schwimmende Schätze: Wie es um den Fischbestand der Alpenseen steht

Unsere Alpenseen sind Heimat reicher Fischbestände. Kulinarisch spielten sie bislang nur eine Nebenrolle. Mit dem Ruf nach mehr Nachhaltigkeit und Regionalität ändert sich dies jedoch gerade. Die See-Tiere werden zunehmend als das wahrgenommen, was sie sind. Auch den Vergleich mit ihren Verwandten aus dem Meer brauchen sie nicht mehr zu scheuen.

Von wegen Seeromantik. Für die Fischer vom Tegernsee beginnt der Arbeitstag zwischen vier und fünf Uhr in der Früh, egal bei welchem Wind und Wetter. Vom Ostufer des Sees aus fahren sie mit dem Motorboot hinaus in Richtung Egerner Bucht, zu den am Vortag ausgelegten Netzen. Wenn nicht gerade Nebel oder Regenschauer ihre Sicht trüben, blicken die Fischer dabei ringsum auf Berge, steuerbordseitig liegt das ehemalige Benediktinerkloster, das heute je zur Hälfte das örtliche Gymnasium und die berühmte herzoglich bayerische Brauerei beherbergt.

Für die beiden Tegernseer Fischermeister Simpert Ernst und Christoph von Preysing ist dieses prächtige Panorama allerdings nicht mehr als eine Nebensache, schließlich haben sie es täglich vor Augen. Ihr Hauptinteresse gilt sowieso dem, was unter der Oberfläche liegt – oder besser schwimmt: Renken, Hechte, Saiblinge und Seeforellen. Sind die Netze erst eingeholt, geht ein Teil des Fangs direkt in die Theke ihres kleinen Fischladens in Tegernsee, ein weiterer an die umliegende Gastronomie. Der Rest wird weiterverarbeitet: Zu Aufstrichen, Fonds, Matjes, Steckerlfisch, Salaten und Frikadellen. Vor allem aber zu Räucherfisch, den sie täglich frisch zubereiten. Zwar macht der heimische Fang gut 70 Prozent ihres Angebots aus, sich ganz darauf beschränken und Exotisches wie Steinbutt, Seezunge oder Loup de mer ausklammern, möchten die Tegernsee-Fischer jedoch nicht: »Die Bevölkerung hier hat sich in den vergangenen 20 Jahren stark gewandelt, es sind viele wohlhabende Menschen hergezogen. Die wollen nicht nur Renke und Saibling, sondern auch Hummer, Austern und Jakobsmuscheln.« Die Nachfrage regele nun mal eben den Markt, sagen sie. Das lässt sich nicht bestreiten.

Fisch Ohne Maß und Ende

Um es konkret zu machen: In Deutschland beträgt der jährliche Fischverbrauch rund 13 Kilogramm pro Kopf (zum Vergleich: der Pro-Kopf-Fleischkonsum in der Bundesrepublik lag 2022 bei 52 Kilo). Zwar liegt die Schweiz mit neun Kilo pro Kopf und Jahr und Österreich mit nur acht Kilo Fisch und Meeresfrüchten pro Kopf nochmals deutlich dahinter. Alle drei Länder haben jedoch gemein, dass nur ein Bruchteil des verzehrten Fischs auch innerhalb der eigenen Landesgrenzen gefischt wird: Lediglich ein Fünftel der von den Deutschen konsumierten Fische und Meeresfrüchte stammt aus dortigen Gewässern, in Österreich sind es nur ungefähr sieben Prozent – kein anderes Land in der EU hat einen so geringen Selbstversorgungsgrad mit Fisch. Und in der Schweiz stammen sogar nur drei Prozent der Fische und Meeresfrüchte, die auf den Tellern landen, aus dem Land selbst. Der große Rest wird importiert – rund 1,9 Millionen Tonnen allein in Deutschland.

Auf die Region kommt es an

Natürlich kann man fragen, ob das wirklich sein muss, wo das Gute doch so nahe liegt – nämlich in unseren heimischen Seen. Und in der Tat tun das auch immer mehr Konsumenten. Denn Regionalität steht auch bei Fisch und Meeresfrüchten immer höher im Kurs. Aus Tierwohlgründen ist diese Entwicklung ohnehin längst überfällig, gehört der marine Fischfang doch – sofern nicht auf schonende, dafür aber umso kostspieligere Weise mit der Angel betrieben – zu den umweltschädlichsten und grausamsten Formen überhaupt, tierische Lebensmittel zu gewinnen. In riesigen Fangflotten ziehen Fischdampfer mit gigantischen Schleppnetzen über die Meere, ohne Rücksicht auf Verluste. Unerwünschter Beifang wie Haie, Rochen oder Schildkröten werden, oftmals schwer verletzt, einfach zurück ins Meer geworfen. Zwar stammt der Großteil des Salzwasserfischs, der in Deutschland, Österreich und der Schweiz konsumiert wird, inzwischen ohnedies aus Zuchtbetrieben. Nur ist deren Vorgehen in vielen Fällen auch nicht vorbildlicher als das der Hochseefangflotten. In vielen Zuchten werden Fische auf allerengstem Raum gehalten, schwimmen in ihren Exkrementen und sind vollgepumpt mit Antibiotika.

Aus ethischen Gründen und aus Umweltbewusstsein gleichermaßen führt also kaum ein Weg an der heimischen Binnenfischerei vorbei – zum großen Vorteil unserer Seen. »Wir leben und arbeiten mit der Natur, da wäre es doch schlimm, wenn wir Raubbau an ihr betreiben würden«, sagt Tegernsee-Fischer Simpert Ernst. Würden sie nicht nachhaltig arbeiten, wäre ihr Arbeitsort binnen weniger Jahre leergefischt: »Und wir hätten uns die eigene Existenzgrundlage genommen.«

Fürsorge für den See

Viele heimische Seen haben ein riesiges Potenzial, erklärt der Kärntner Fischforscher und Berufsfischer Martin Müller. Der Weißensee in Kärnten etwa, an dem er lebt, sei ein Paradies für Berufsfischer, dort könnten langfristig viel größere Erträge erzielt werden – natürlich nur unter der Voraussetzung, dass nachhaltig gearbeitet wird. Tatsächlich geht mit der Pacht des Fischereirechts, das in der Regel der Staat vergibt – meist für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren – auch eine Fürsorgepflicht für den See und seinen Fischbestand einher. Denn ganz ohne Nachhilfe geht es meistens nicht: Viele Berufsfischer fangen daher zur Laichzeit an Bachmündungen heimische Arten, die dann, wie man in der Fischer-Sprache sagt, »abgestreift« werden. Das heißt, ihre Eier und der Samen werden durch leichten Druck entlang der Bauchseite aus der Geschlechtsöffnung herausgedrückt und dann in speziellen Bruthäusern bebrütet, um den Nachwuchs nach dem Anfüttern wieder auszusetzen. Meist sind das mehrere Millionen Jungfische im Jahr, von denen aber nur ein winziger Prozentsatz nicht gleich wieder gefressen wird, sondern das Erwachsenenalter erreicht.

Politischer Rückenwind

In Deutschland, Österreich und der Schweiz hat auch die Politik die offenkundigen Vorteile des heimischen Fischs erkannt und es sich zur Aufgabe gemacht, dessen Erzeugung zu steigern. Schließlich ist er aufgrund der schwindenden Bestände an Meeresfischen einer der wichtigsten Proteinlieferanten der Zukunft. Deutschland und Österreich etwa haben in ihren »Nationalen Strategieplänen für Aquakultur und Fischerei« das Ziel ausgegeben, ihre heimische Süßwasserfischproduktion zur Erhöhung des Selbstversorgungsgrades zu fördern. Das Problem nur: An vielen Stellen behindert sich der Staat dabei selbst – etwa beim Thema Naturschutz. An der Müritz, dem größten See innerhalb Deutschlands, wird das besonders deutlich: Jedes Jahr von August bis Oktober wird sie von einer regelrechten Kormoran-Plage heimgesucht. Die durchziehenden Vögel verspeisen in dieser kurzen Zeit zusammen mehr Tonnen Barsch, als die dortige Fischerei in einem kompletten Jahr fängt. Früher war eine Jagdprämie auf die gefiederten Diebe ausgesetzt, heute darf aber nur noch in Ausnahmefällen auf sie geschossen werden, wovon sich die Vögel natürlich nicht vertreiben lassen.

In Österreich kommt ein ähnliches Problem mit dem Fischotter hinzu, der dort denselben übersteigerten Schutz genießt. Allein im Waldviertel gibt es nach vorsichtigen Zählungen bereits über 800 Exemplare dieser Raubtierart. Dazu kommt noch die Überbürokratisierung, die den lokalen Fischern genauso zusetzt wie allen anderen Unternehmern.


Zahlen, bitte!

13 Kilo Fisch und Meeresfrüchte isst der Durchschnitts-Deutsche pro Jahr. In der Schweiz sieht es mit neun Kilo pro Kopf und in Österreich mit acht Kilo auch nicht viel besser aus. Und: Alle drei Länder haben einen besorgniserregend geringen Selbstversorgungsgrad mit Fisch. In Deutschland liegt dieser unter 20 Prozent, in Österreich nur bei sieben und in der Schweiz gar nur bei drei Prozent.

Dafür gibt es viele Ursachen: Eine davon ist, dass die Beliebtheit von Salzwasserfisch die von heimischen Süßwasserfischen nach wie vor übersteigt – was den Berufsfischern das Leben alles andere als einfach macht. In der Schweiz sind nur noch 260 hauptberufliche Fischer unterwegs. Im flächenmäßig fast neunmal so großen Deutschland ergab sich mit nur 346 gewerblichen Fischereien bei der letzten Erhebung ein neuerlicher Tiefstand. Ganz zu schweigen von Österreich: dort ist die Berufs- und Wirtschaftsfischerei überhaupt nur mehr in sehr geringem Maß am Neusiedler See, an einzelnen Seen des Salzkammergutes und am Bodensee in Ausübung.


Vorbehalte und Gerüchte

Und auch das mit dem Geschmack von Süßwasserfischen ist so eine Sache: Dass er weitaus weniger aromatisch ist, als seine Artgenossen aus dem Meer, ist zwar eine haltlose Behauptung, nur leider eine, die sich seit Jahrzehnten hartnäckig hält. Zwei-Sterne-Koch Thomas Kellermann vom »Parkhotel Egerer Höfe« in Rottach-Egern hingegen ist bekennender Liebhaber des Saiblings. Der heimische Fang ist sowas wie die feste Größe in den Menükreationen des 52-Jährigen. Mal confiert mit Sauerampfer und Apfelsud, mal auf glaciertem Spargel und Zitronen-Hollandaise. Aktuell hat er ihn mit eingelegter Gurke und Grüner Peperoni auf seiner Karte.

Noch schwerer hat es der als geringwertig angesehene Weißfisch, der als Beifang vielerorts sogar in Biogasanlagen landet, weil er kaum an den Kunden zu bringen ist. Davon berichtet etwa Andy Braschler, der seit 32 Jahren täglich seine Netze im Zürichsee einholt: »Restaurants wollen im Grunde nur Egli, Felchen und Hecht. Ich fange aber noch zehn andere Fischarten, wie Rotaugen oder Brachsmen. Die Gastronomen kaufen diese Fischarten aber nicht, weil die Gäste nur selten Neues probieren.« Vor allem die Brachsme oder Brasse, wie man außerhalb der Schweiz sagt, sei jedoch als Speisefisch absolut unterschätzt, findet Braschler: »Würden wir beginnen, nicht immer nur Reinanke, Saibling und Zander zu essen, wäre das Fisch-Angebot mit einem Schlag um ein Vielfaches größer.«

Dafür müsste man gar nichts neu erfinden, ein Blick in die Vergangenheit reicht. Edelfisch wie der Zander, der heute auf jeder Wirtshauskarte steht, war lange Zeit Wohlhabenden vorbehalten und wurde nur zu besonderen Anlässen serviert.  Sonst wurden vor allem Weißfische gegessen. Lukas Nagl, Chefkoch des Restaurants »Bootshaus« am Traunsee und der vielleicht beste Fischkoch Österreichs, zeigt, wie köstlich Weißfische sein können. Er macht flaumige Fischknöderl aus ihnen, legt sie sauer ein wie Heringe, vergärt sie wie Matjes, oder frittiert kleine Fische knusprig, sodass sie im Ganzen, samt Gräten und Kopf genossen werden können, wie frittierte Sardinen. Und sein Fischleberkäse ist ohnedies längst Legende.

Besseres Wasser, weniger Fisch

Kreativität ist das eine, nicht zu vernachlässigen ist aber auch die Wasserqualität der Seen. Und die hat sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten durch Kläranlagen deutlich verbessert, was aber nicht unbedingt nur gut ist. In den 50er- und 60er-Jahren war etwa der Bodensee, Europas Trinkwasserspeicher Nummer Eins, durch phosphathaltige Abwässer, die fahrlässig hineingeleitet wurden, erheblich überdüngt – zur Freude des dortigen Fischbestandes. Denn je mehr Algen im See, desto mehr Nahrung für die Fische. Allerdings gilt das nur bis zu einem gewissen Grad. Ist ein bestimmter Schwellenwert überschritten, kippt der See, was das Absterben alles dortigen Lebens bedeutet.

Diese Gefahr ist inzwischen durch Kläranlagen gebannt. Der Bodensee etwa ist dank Milliardeninvestitionen deutlich sauberer geworden. Auch dem Tegernsee wird eine hervorragende Wasserqualität bescheinigt. Doch je größer diese Erfolge, desto geringer fällt der Ertrag für Fischer aus. Denn weniger Phosphor bedeutet weniger Futter im See – und damit erheblich kleinere Fische. Im Jahr 1960 zum Beispiel hatte eine Durchschnitts-Renke im Tegernsee gut ein Kilo Gewicht, heute sind es noch lediglich 200 Gramm. Ausgerechnet die geringere Ausbeute der Fischer ist also ein Indikator für den positiven Zustand unserer Seen.


Tipps & Adressen

Fischerei Tegernsee
2014 übernahmen Simpert Ernst und Christoph von Preysing den Traditionsbetrieb, um ihn in die Zukunft zu führen: zum Beispiel mit Catering, das per Helikopter auf Wunsch bis nach Mailand geflogen wird. Ihr am gegenüberliegenden Ufer befindliches Bistro hat inzwischen den höchsten Großflaschenverbrauch von Champagner und Co. in ganz Deutschland. Besuchen und Mitfeiern!

Seestraße 42, 83684 Tegernsee
T: +49 8022 1561, fischerei-tegernsee.com

Dichter
Erst letzten April wurde das frisch umgebaute Gourmetrestaurant im Luxushotel »Egerner Höfe« mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Küchenchef Thomas Kellermann verarbeitet liebend gern, was der Tegernsee hergibt. Sogar der gewöhnlichen Renke verhilft er zu einem Höhenflug: als Tartar auf einer schaumigen Beurre Blanc aus Weißbier mit Holunderblüten.

Aribostraße 19, 83700 Rottach-Egern
T: +49 8022 666566, gourmetrestaurant-dichter.de

Bootshaus
Küchenchef Lukas Nagl zaubert hier österreichische Küche aus einer wunderbaren Mixtur aus Tradition, Innovation und  konsequenter Regionalität.. Das  »Bootshaus«, im Vier-Sterne-Hotel »Das Traunsee« gelegen, punktet mit einer wunderschönen Seeterrasse. Wie der Name schon verrät, liegt das Restaurant gleich oberhalb eines Bootshauses und ist stilvoll mit hellem Holz, Blautönen und den Farben des Traunsees gestaltet.

Klosterplatz. 4, 4801 Traunkirchen
T: +43 7617 2216, dastraunsee.at


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Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2023

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Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
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