Eine Weltstadt, die Wehmut auslöst: In Tokio kann man sich wunderbar im Schein der Neonlichter verlieren.

Eine Weltstadt, die Wehmut auslöst: In Tokio kann man sich wunderbar im Schein der Neonlichter verlieren.
© Shutterstock

Tokio für Foodies: Die besten Insider-Tipps für einen Streifzug durch die Megametropole

Wer überragend japanisch essen will, muss nach Tokio. Wahre Meisterschaft entsteht hier durch jahrelange Hingabe und Wertschätzung der noch so kleinen Details. Eine kulinarische Reise in die vielleicht schönste Stadt Asiens.

Gutes Sushi bekommt man in Tokio an jeder Ecke. Und exzellentes Sushi? Dafür kann man zum Beispiel ins Botschaftsviertel Hiroo fahren, zum Restaurant »Sushi Zai« von Takahiro Okada. Die Basis eines ausgezeichneten Sushis sei nicht der Fisch, sondern der Reis, der »shari«, erklärt der Meister. 

Es fängt an mit der richtigen Menge an Wasser, mit der exakten Kochzeit und Temperatur. Der Essig muss untergemischt werden, wenn der Reis noch sehr heiß ist, ohne viel Druck, sondern mit schnellen Schneidebewegungen. Nur so verteilt er sich, ohne den Reis zu verkleben. Schließlich folgen der Fisch und ein Pinselstrich Sojasauce. Timing und Präzision. »Du musst den gesamten Prozess beherrschen, von der Vorbereitung der Zutaten bis zum finalen Stück Sushi, für das der Gast am Ende bezahlt«, sagt Okada. Seit 28 Jahren übt er sich in dieser Kunst. Das Ergebnis ist nicht weniger als eine Offenbarung. Lediglich acht Gäste kommen jeden Abend in den Genuss des Omakase-Menüs, bei dem der Koch über die Speisefolge entscheidet. Eine Karte gibt es nicht, der Preis steht nirgends. Man sitzt an einem schlichten Holztresen und schaut bei der Zubereitung zu.

Was Okada an kunstvollen Miniaturen präsentiert, entführt in eine Geschmackswelt, die man noch nie zuvor betreten hat: gedämpfter Aal mit Kirschblüten; frischer Seeigel; Leberpastete vom Seeteufel mit Wasabi und Algen-Tempura; Abalonen-Risotto; frittierte Seebrasse mit Schuppen. Dann folgen die Nigiri, die man in die Finger nimmt und im Ganzen isst: Tintenfisch, buttriger Thunfisch, Pazifikhering (kohada), Sardine, Wolfsbarsch, Garnele, Meeraal. Das alles schmeckt so aufregend und zugleich harmonisch, dass man anschließend völlig euphorisiert in die Nacht hinaustritt. Was auch am Wein und Sake liegen könnte, der das Menü auf Wunsch begleitet, eher untypisch für Highend-Sushi in Tokio.

Ohnehin: Wer sich Okada als strenge Autorität vorstellt, die ungnädig die alten Traditionen verteidigt, wird überrascht. Der Küchenchef, der im Sternerestaurant kochte, bevor er 2019 das »Sushi Zai« eröffnete, unterhält sich gerne mit seinen Gästen, lacht viel. Er nimmt sein Handwerk ernst, doch das Erlebnis in seinem Lokal soll leger sein. »Die Sushi-Welt ist heute sehr viel offener als früher«, sagt er. Und es ist nur eine von vielen Welten, die sich in dieser sagenhaften Stadt auftun. 

Glücksversprechen

Tokio ist ein Schlaraffenland, das Feinschmecker und Foodies, aber auch alle anderen Neugierigen erst wie magisch anzieht, dann verzaubert und schließlich verändert wieder entlässt. Japans Hauptstadt – einst hieß sie Edo – liefert einen konstanten Rausch für die Sinne, nicht nur für die Zunge. Man lässt sich treiben durch diese Megametropole und verliert immer wieder die Orientierung, fühlt sich wie unter Spannung gesetzt: vom Neonschein der Hochhausfassaden; vom Menschengewimmel der Metro-Stationen; vom Blinken und Piepen der Pachinko-Spielhallen; vom Konsumrausch und Glücksversprechen der Nobelkaufhäuser; von all den Zeichen, Bildern und Gesten, die man nicht versteht. Und von Gerüchen und Geschmäckern, die manchmal vertraut und oft fremdartig erscheinen. Was es heißt, japanisch zu essen, wird man nach einem Besuch anders beurteilen als vorher.

Konzentrierte Spitzenküche

In keiner anderen Stadt konzentriert sich so viel Spitzenküche wie in Tokio. Der Guide Michelin listet aktuell zwölf Restaurants mit drei Sternen, 33 mit zwei Sternen und 137 mit einem Stern. Ja, man kann in Tokio teuer essen und wird damit kaum fertig, möchte man jede Empfehlung von Rang und Namen durchprobieren. Doch das Gute muss nicht kostspielig sein. Davon zeugen auch 126 Bib-Gourmands.

In Ginza, dem vornehmsten Teil der Stadt, in dem das alte Tokioter Geld spazieren getragen wird, bereitet Yasushi Matsumura eine Weltklasse-Ramensuppe für 1.200 Yen zu. Keine zehn Euro, mit Foie-gras-Trüffel-Ravioli knapp das Doppelte. Der Küchenchef blickt auf mehr als 30 Jahre Erfahrung in der gehobenen französischen Gastronomie zurück, kochte in Spitzenhotels.

Hier in seinem »Ginza Hachigo«, einem unscheinbaren Lokal mit nur sechs Plätzen vor der offenen Küche, zelebriert er die Einfachheit, mit einer Nudelsuppe, die für jeden erschwinglich ist. »Ich möchte nun, gegen Ende meiner Karriere, wieder den Menschen näher sein und ihr Lächeln sehen«, sagt Matsumara. Das dürfte häufig passieren. Was seine Ramen-Suppe von anderen unterscheidet, ist der Verzicht auf Saucenkonzentrat, das üblicherweise als Gewürz verwendet wird. Die Brühe gleicht einer Consommé. Ihr Geschmack entsteht durch das Einkochen von Huhn, Ente, Jakobsmuscheln, getrockneten Tomaten, Kombu-Alge, Shitake-Pilzen, Ingwer, Frühlingszwiebeln – und Prosciutto. Auch bei »Ginza Hachigo« begeistert die Hingabe für ein simples Gericht, das perfektioniert wird. Einheimische und Auswärtige reißen sich um eine Reservierung. Täglich werden 70 bis 80 Gäste bedient. Von 11 bis 12.30 Uhr bekommt man ohne Buchung einen Platz, muss dann aber vorher oft mehrere Stunden warten.

SO GEHT RAMEN ZUHAUSE

Entdeckungsreise   

Zwar ist das Angebot an erstklassigen Restaurants in Tokio unüberschaubar groß. Doch auch die Nachfrage scheint gewaltig, einschlägige Adressen verbreiten sich schnell. Viel wohlhabende Kundschaft kommt etwa aus China, Korea und Taiwan und ist ausgezeichnete asiatische Küche gewohnt. Entsprechend schwierig sind Plätze zu bekommen. Am besten fragt man den Concierge im Hotel. Doch Tokio hält auch unzählige Köstlichkeiten bereit, die kein aufwendiges Buchungsprozedere erfordern, für die man sich bloß mit Appetit ins Getümmel stürzen muss. Klassiker wie Sashimi, Tempura, Yakitori-Spieße und Soba-Nudeln kann man zu Bier und Sake in einer der unzähligen Izakayas bestellen, der traditionellen japanischen Kneipe. 

Ein beliebtes Teppanyaki-Gericht ist Okonomiyaki, was häufig etwas unglücklich als japanischer Pfannkuchen bezeichnet wird. In der Nähe der Shibuya Station mit ihrer berühmten Fußgängerkreuzung empfiehlt sich das »Imari«. Die Tokioter Variante des Gerichts heißt Monjayaki, der Teig ist hier viel flüssiger. Für diese Spezialität fährt man zur Tsukishima Station. Dort reihen sich Dutzende Monja-Imbisse aneinander. 

Ein Menü wie ein Orchester

Chankonabe, den Eintopf der Sumoringer, bekommt man im Viertel Ryogoku, wo die wichtigen Sumo-Ställe sitzen, etwa bei »Tomoegata Chanko«. Probieren sollte man auch Unagi, gegrillten und marinierten Süßwasseraal. Wer den herzhaften Genuss mit japanischen Süßigkeiten abrunden möchte, besucht ein Wagashi-Café, wie das elitäre Teehaus »Higashiya« in Ginza. Fotos streng verboten! Kakigori, geschabtes Eis, ist noch immer ein Hit. In Shinjuku hat das angesagte »Azuki to Kiori« aufgemacht, wo man zwingend reservieren muss und wo die Gewinnmarge sicherlich üppig ausfällt. Das Gleiche gilt für das Spektakel, das sie bei »Koffee Mameya Kakeru« aufführen, drei Barista-Gänge nach Omakase-Art: Man lässt sich einfach überraschen.

Eine kulinarische Tour durch Tokio wäre kaum komplett ohne japanisches Wagyu-Beef. Eine Topadresse dafür ist »Yoroniku«, dessen jüngster Ableger in Azabudai Hills eröffnet hat, in einem todschicken Wolkenkratzer mit Fine Dining und Luxusboutiquen. Hier trifft man den Gründer und Chefkoch Hideyuki »Vanne« Kuwahara, der als DJ anfing und seine Passion für Yakiniku entdeckte, japanisches Barbecue. Er erzählt, wie er 70 Mal im Jahr sein Lieblingsrestaurant besuchte, bis ihn die eigenen Ideen nicht mehr losließen. Heute gilt Kuwahara als Innovator, der einen eigenen Stil etabliert hat. Der Chef und sein Küchenteam braten jedes Stück Fleisch für den Gast am Tisch auf den Punkt, was man vorher so nicht kannte. 

Der Musiker vergleicht sein besonderes Menü mit einem Orchester. Die Qualität des Fleisches heiße noch nichts. »Nur weil du ein Steinway-Piano hast, bedeutet das nicht, dass deine Musik gut klingt.« Zutaten und Gänge müssen ein harmonisches Zusammenspiel ergeben. Kuwahara tritt als genialer Dirigent auf. Der erste Happen schmilzt im Mund, roh wie Sashimi. Dann serviert der Meister diverse köstliche Cuts, auch Zunge und Magen, um langsam zum Höhepunkt überzuleiten: Katso Sando, Chateaubriand ­in Panko-Kruste zwischen geröstetem Brot mit einer aromatisch-dicken Sauce – das womöglich beste Beef-Sandwich in Tokio. 

Um die Dimension des Geschmackserlebnisses einzuordnen, zieht Kuwahara noch einen Vergleich: »Das ist wie Gitarrenmusik vor und nach Van Halen.« In Tokio, dieser Stadt der diskreten und bescheidenen Meister, mag ein solches Selbstbewusstsein ungewohnt wirken. Widersprechen kann man nicht. 


Adressen

Restaurants 

Tempura Kondo
In seinem Gourmettempel in einer der exklusivsten Straßen von Ginza legt Küchenchef Fumio Kondo meisterhaft Frittiertes auf die Tellerchen. Die Ikone der japanischen Tempura-Kunst gilt als Pionier, weil er das Gemüse vom Beiwerk zur eigentlichen Sensation erhob.

Sakaguchi Bld. 9 F, 5−5−13 Chuo City
Ginza, 104-0061 Tokyo

T: +81 3 5568 0923, tempura-kondo.com/en

Narisawa
Satoyama sind Orte, an denen Menschen noch in Harmonie mit der Natur leben. Diese Philosophie beeinflusst die ausgefallenen Kreationen von Starkoch Yoshihiro Narisawa. Der Vorreiter der Farm-to-table-Bewegung bringt buchstäblich den japanischen Wald auf den Teller, etwa durch Baumrinde und Wildblumen – ein unvergleichliches Erlebnis.

2−6−15 Minami Aoyama
Minato City, 107-0062 Tokyo

T: +81 3 5785 0799, narisawa-yoshihiro.com

Kotaro
Die Izakaya südlich der Shibuya Station ist ein unscheinbares Lokal, in dem man dennoch nicht leicht Platz bekommt. Doch probieren sollte man es. Küchenchef Kotaro Hayashi serviert in gemütlicher After-Work-Atmosphäre eine überzeugende Auswahl an Klassikern. Gerühmt wird der Kartoffelsalat mit geräuchertem, weichgekochtem Ei.

28-2 Sakuragaokacho
Shibuya City, 150-0031 Tokyo

T: +81 3 5428 5705

Hotels 

Aman Tokyo
Das reduziert-elegante Luxushotel thront erhaben in einem Wolkenkratzer über dem Finanzdistrikt Otemachi. Sein Interieur greift die klare, geradlinige japanische Design-Tradition auf, die augenblicklich das Gemüt beruhigt. Die weite Lobby im 33. Stock strahlt eine Ruhe aus; wer aus dem Pool aufs Lichtermeer schaut, findet endgültig seine Mitte.

The Otemachi Tower, 1-5-6 Ōtemachi
Chiyoda City, 100-0004 Tokyo

T: +81 3 5224 3333, aman.com

The Kitano Hotel Tokyo
Das Boutique-Hotel von Relais & Châteaux im zentral gelegenen Viertel Hirakawachō empfiehlt sich als wohltuender Rückzugsort. Geräumige, stilvoll eingerichtete Zimmer, Dachterrasse, erstklassiger Service. 

2-16-15 Hirakawachō
Chiyoda City, 102-0093 Tokyo

T: +81 3 3288 0015, kitanohotel.co.jp/tokyo/

Park Hyatt Tokyo
Das Fünf-Sterne-Hotel im Shinjuku Park Tower verfügt über Zimmer, die einen grandiosen Blick auf den heiligen Berg Fuji ermöglichen. Die »New York Bar« im 52. Stock wurde durch den Film »Lost in Translation« mit Bill Murray und Scarlett Johansson zu einer Legende. 

3-7-1 Nishishinjuku
Shinjuku City, 163-1055 Tokyo

T: +81 3 5322 1234, hyatt.com

Drinks 

The Bellwood
Atsushi Suzuki lernte sein Handwerk unter anderem in New York und Shanghai, bevor er zuhause in Tokio ein Herzensprojekt umsetzte. Seine Bar in Shibuya lehnt sich an die Tradition japanischer Kaffeehäuser aus der Taisho-Ära an. Die Cocktail-Karte ist einem traditionellen Kaiseki-Menü nachempfunden, der Vibe unkonventionell gesellig. Probieren sollte man den Melon Cream Paradise (Pisco, Pandan, Champagner, Gorgonzola).  

41-31 Udagawacho, Shibuya City
150-0042 Tokyo

T: +81 3 6452 5077

Bar Benfiddich
Obgleich in der Barszene fest etabliert, verströmt diese Institution in Shinjuku den Charme eines Moonshine-Etablissements. Barchef Hiroyasu Kayama bezieht viele seiner Zutaten von einer Farm außerhalb von Tokio und destilliert diese, um daraus etwa Absinth zu kredenzen.    

1−13−7 Nishishinjuku
Shinjuku City, 160-0023 Tokyo

T: +81 3 62580309

Virtù
Die Hotelbar im 39. Stock des »Four Seasons« in Otemachi überrascht mit ihrer für Tokio eher untypischen Opulenz und Offenheit. So gibt es einen Gemeinschaftstisch mit 16 Plätzen, an dem Fremde ins Gespräch kommen können. Ansehnlich sind nicht nur die Cocktails, sondern auch das Art-déco-Interieur. Drink-Empfehlung: der »Takara« mit Hekishu-Whisky.  

Four Seasons, 1-2-1 Ōtemachi
Chiyoda City, 100-0004 Tokyo

T: +81 3 6810 0655, fourseasons.com


Nichts mehr verpassen!

Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an.

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2024

Zum Magazin

Philipp Laage
Mehr zum Thema
Gruß aus der Küche
Honey & Bunny: Tokio calling
Während einer Reise in die japanische Hauptstadt erlebte »honey & bunny« nicht nur allerlei...
Von Sonja Stummerer, Martin Hablesreiter