Auf die Idee, ihre künstlerische Arbeit dem Thema Food Design zu widmen, kamen Martin Hablesreiter und Sonja Stummerer während einer Tokio-Reise.

Auf die Idee, ihre künstlerische Arbeit dem Thema Food Design zu widmen, kamen Martin Hablesreiter und Sonja Stummerer während einer Tokio-Reise.
© Honey & Bunny | Ulrike Koeb | Daisuke Akita

Honey & Bunny: Tokio calling

Während einer Reise in die japanische Hauptstadt erlebte »honey & bunny« nicht nur allerlei kulinarische Offenbarungen. Das Künstlerduo fand dort auch die Inspiration für sein kreatives Schaffen.

Vor fast 23 Jahren saßen wir sehr aufgeregt in einem Flugzeug Richtung Japan. In einem Architekturbüro in Tokio war uns, gleich nach dem Studium, ein Job angeboten worden und wir hatten angenommen. Mit jeweils einem Koffer und ziemlich vollen Hosen landeten wir in einer Stadt, in einer Kultur, die unser Leben nachhaltig verändern sollte.

Fast jede unserer Falstaff-Kolumnen zeugt davon, denn damals lernten wir den großartigen Fotografen und fantastischen Menschen Daisuke Akita kennen. Er steht bei vielen Ideen von »honey & bunny« hinter der Kamera und gibt den Locations, Requisiten und uns den letzten Schliff. Abgesehen davon lieben wir seine japanische Comic-Ästhetik.

Unser leider verstorbener Chef und Meister, Architekt Arata Isozaki, erkannte unser Interesse für das Essen und handelte entsprechend. Er forderte uns dazu auf, unsere weitere berufliche Laufbahn dem Food Design zu widmen. Während eines gemeinsamen Abendessens sagte Isozaki zu uns, dass nach 1945 der Bedarf an Konzepten und Ideen für alle Arten von Architektur sehr groß gewesen sei. Hier wie dort hatte der widerliche Faschismus die Welten in Schutt, Asche und Tod verwandelt. Er kann nichts anderes. Danach mussten Wohnungen, Siedlungen, Städte wieder und neu aufgebaut werden. Isozaki hatte großen Anteil daran, doch bei diesem gemeinsamen Essen sagte er, dass nun an der Schwelle zum 21. Jahrhundert alle Kreativität aufgewendet werden müsse, um die stark anwachsende Weltbevölkerung mit sozial und ökologisch nachhaltigem Essen zu versorgen. Wenig später begannen wir mit der Arbeit an unserem ersten Buch: »Food Design – von der Funktion zum Genuss«.

Viele der Fotos von »honey & bunny« leben von der japanisch anmutenden Comic-Ästhetik des Fotografen Daisuke Akita.
© Honey & Bunny | Ulrike Koeb | Daisuke Akita
Viele der Fotos von »honey & bunny« leben von der japanisch anmutenden Comic-Ästhetik des Fotografen Daisuke Akita.

Aus Fehlern lernt man

In Isozakis Atelier und in der Stadt lernten wir, dass nichts – absolut nichts – im Leben peinlich ist. Vielleicht merkt man das beim Betrachten unserer Fotos. Viele Verhaltensregeln kannten oder konnten wir nicht. Viele Fehler passierten uns einfach. Das Leben in der Fremde ist ein riesiger Fettnapf. Beidbeinig und ausdauernd sprangen wir ein Jahr lang darin herum. In Restaurants flutschten uns Speisen aus den Stäbchen auf den Nebentisch. In der Running-Sushi-Bar hielten wir eine Art kleinen ­Stahlzapfhahn für einen Wasabi­spender. Heraus kam kochendes Teewasser und der japanische Sitznachbar fragte trocken, ob wir rohen Fisch nicht mögen und ihn demnach kochen. Nicht selten war unsere Gesichtsfarbe ähnlich dunkelrot wie Thunfisch­-Sashimi. Ja eh! And so what?

Niemals wurden wir ausgelacht. Niemand wies uns je zurecht. Keiner tuschelte über uns. Ganz im Gegenteil. Überall auf diesen vier pazifischen Inseln wurden wir überaus freundlich empfangen und mit Hochachtung behandelt, auch wenn wir laufend für peinliche Situationen sorgten. In Japan lernten wir Gastfreundschaft kennen. Wir erlebten wahre Esskultur, nämlich eine Symbiose aus Toleranz, Wertschätzung und dem Willen, einander zuzuhören und für einen Augenblick lang füreinander da zu sein. Genau das macht ein gelungenes Essen aus. Wir lernten, dass Kultur ausschließlich von Menschen erdacht und gemacht ist und demnach in jedem Moment veränderbar ist. Gerade die Speisekultur kann jederzeit und ohne Aufwand an jede beliebige Situation angepasst werden, um die Würde des anderen zu achten und um Gastfreundschaft walten zu lassen.

Viele Facetten der  eigenen Esskultur lernt man erst durch einen Blick von außen richtig kennen.
© Honey & Bunny | Ulrike Koeb | Daisuke Akita
Viele Facetten der eigenen Esskultur lernt man erst durch einen Blick von außen richtig kennen.

Essen ist Hochkultur

In Japan war nichts so wie daheim. Alles war anders und alles war gut. Niemand isst richtiger und keiner isst falscher. Japanerinnen und Japaner haben an unserer Esskultur nichts auszusetzen. Sie interessieren sich sogar für unsere Art zu Essen.

Ständig fragten uns Freunde, Kollegen und sogar völlig Unbekannte zum europäischen Essen aus. Aber wir hatten keine Ahnung. Wir wussten nicht, warum wir mit einem scharfen Messer, also einer Waffe, essen. Wir hatten uns noch nie darüber Gedanken gemacht, warum Spagetti lang, dünn und schwer zu essen sind und weshalb Zuckerwürfel gar keine Würfel, sondern Quader sind. Und die Frage, warum dieses Brot in der Kirche, das überhaupt nicht nach Brot schmeckt, weiß, rund und bröselfrei ist, ließ uns ratlos zurück. Das und noch viel mehr wurden wir ständig gefragt und wir stellten bedrückt fest, dass wir nicht wissen, was wir essen. Traurig, eigentlich!

Wir mussten in Japan leben, um zu lernen, dass im Winter weder Tomaten noch Weintrauben wachsen. Selbst in dieser unfassbaren Weltstadt Tokio, dieser unendlich innovativen Metropole gibt es (fast) nur saisonale, lokale Zutaten zu kaufen. In Österreich war damals nur der Spargel einer Jahreszeit zugeordnet. Verblüfft stellten wir fest, dass eine Stadt mit 30 Millionen Einwohnern auch ohne omnipräsente Supermarktketten überleben kann. In Tokios Wohnvierteln kauft man den Reis bis heute beim Reishändler und das Gemüse beim Gemüsehändler. Und wir lernten, dass es über das Essen unfassbar viel zu wissen gibt. Unsere Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen können stundenlang über Essen reden. Mit Begeisterung erzählen sie von Gewässern, deren kalte Strömungen genau diese eine spezielle Textur des Fischs ausmachen, den sie gerade verspeisen. Sie verehren reife Kirschen oder Pfirsiche als etwas annähernd Göttliches und kennen dabei jede Herkunft und jede Sorte.

Und nein, das sind keine abgehobenen Gourmetgespräche, keine elitären Genussrunden, sondern ganz einfach japanische Bürger, die ihr Essen und die Produzenten wertschätzen. In Japan werden sowohl die Produkte als auch das Essen an sich als Hochkultur gewürdigt. Das bewundern wir bis heute.

© Honey & Bunny | Ulrike Koeb | Daisuke Akita

Honey & Bunny

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie, sich für Food Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren Eat-Art-Performances und schreiben bzw. illustrieren Bücher.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2024

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