Pflanzlich und regional ist die Küche des hohen Nordens, vor allem aber ist sie radikal neu gedacht. Wie fast alle Trends aus Skandinavien kommt diese neue Sicht auf das Kochen langsam auch bei uns an.

Pflanzlich und regional ist die Küche des hohen Nordens, vor allem aber ist sie radikal neu gedacht. Wie fast alle Trends aus Skandinavien kommt diese neue Sicht auf das Kochen langsam auch bei uns an.
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

Honey & Bunny: Mehr als nur Essen

Das Künstlerduo Honey & Bunny geht dem Erfolgsgeheimnis der skandinavischen Küche auf den Grund – und entdeckt dabei auch das grossartige Zusammenspiel zwischen Kochen, Kunst und Wissenschaft.

Erinnerungen grenzen manchmal an das Unvorstellbare: Martin bereiste als vierzehnjähriger Schüler den hohen Norden Europas. Doch inmitten der berühmten Landschaften war es beinahe unmöglich, Wirtshäuser zu finden. Wenn es ausnahmsweise gelang, war das Essen eh essbar. Es ist also gar nicht so lange her, dass Skandinavien auf der kulinarischen Landkarte nicht ganz so kräftig punktete. Höhenflüge am Teller, derentwegen heute Foodies aus aller Welt in den hohen Norden pilgern, waren selten. Es gab gebratene Lachsfilets mit Kartoffelpüree, Hering in drei verschiedenen, essigsauren Ausführungen und Krabbenbrötchen. Eh nicht schlecht, aber tendenziell eintönig. Alkohol (für den Vater) war sündhaft teuer und schwer zu bekommen. Okay, beschwingende Getränke sind immer noch ziemlich kostspielig, aber das Essen wurde innerhalb weniger Jahre gewaltig gut.

Regionale Exotik

Na gut, das skandinavische Küchenwunder ist bekannt und rauf und runter gehuldigt, aber es betrifft nicht nur die recht weltberühmten «big names», sondern auch einfache Lokale ums Eck. Knapp vor der Pandemie flüchteten wir zum Beispiel vor strömendem Regen in ein unscheinbares Wirtshaus gegenüber der Kunstakademie in Göteborg. Das servierte Essen war extrem kreativ und richtig gut. Hauptsächlich kam Pflanzliches auf den Tisch und weil das Zeug aus der Umgebung stammte, wurde es gleich exotisch für uns Österreicher. Einige Zutaten kannten wir gar nicht und andere nur vom Hörensagen. Regionalität schmeckte ungewöhnlich, radikal und wirklich gut. Das ist uns vorher nur bei einem gastronomischen Projekt im Mühlviertel passiert. Dabei verkochte der oberösterreichische Koch Georg Friedl an ungewöhnlichen Orten jene Zutaten, die einst im Mühlviertel Verwendung fanden. Er berief sich auf alte Rezepte und suchte tatsächlich auf Wiesen und in Wäldern nach Wildpflanzen, um sie zu verkochen. Das Ergebnis war radikal ungewöhnlich. Damals kamen wir gerade von unserem Arbeitsaufenthalt in Tokio zurück und die japanische Küche kam uns weniger exotisch vor als die Gerichte, die uns Friedl servierte. Dabei ist Martin im Mühlviertel aufgewachsen.

In der nordischen Küche liegt der Fokus auf richtig guten, regionalen Grundprodukten. Der Fehler, beim Einkauf nur in Landesgrenzen zu denken, wird hier aber kaum begangen.
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita
In der nordischen Küche liegt der Fokus auf richtig guten, regionalen Grundprodukten. Der Fehler, beim Einkauf nur in Landesgrenzen zu denken, wird hier aber kaum begangen.

Mit solchen Ideen käme Regionalität weg von dieser durchgelutschten Marketingmasche, die dem Begriff sonst überall anhaftet. Das ist dann eben nicht der folierte A4-Zettel beim Skiortfrühstücksbuffet, der regionalen Fruchtsalat aus Pinzgauer Ananas und Gailtaler Wintermelone anpreist. Es ist auch nicht dieser widerwärtige Kulinariknationalismus, der Regionalität als kulturellen Grenzschutz missversteht. Ungarn zum Beispiel liegt deutlich näher an Wien dran als Vorarlberg. Bayrische Produkte in Berlin sind etwas weniger regional als polnische. Gelebte Auseinandersetzung mit lokalen, essbaren Produkten hat auch wenig mit jenen betrügerischen Methoden zu tun, die immer wieder durch die Gastronomie geistern. Vor wenigen Wochen erzählte uns beispielsweise ein wohlmeinender und engagierter Salzburger Fleischhauer und Autor, dass Wirte beim ihm wenige Stücke einkaufen, um dann mit seinem Namen und seiner radikalen Regionalität zu werben. Bloss werden bei ihm dann statt der gebrauchten zwanzig Tafelspitz nur zwei gekauft. Der Rest stammt aus dem Grosshandel. Betrug ist so alt wie das Essen selbst, aber immer ekelhaft!

Kochen als Wissenschaft

Zurück nach Skandinavien. Den internationalen Erfolg der dortigen kulinarischen Szene einzig auf die Verwendung regionaler Produkte zurückzuführen wäre eine Frechheit, eine Missachtung der kreativen Leistung der nordischen Köche. Diese Leute haben Ideen und sie trauen sich etwas. Sie sind vergleichbar mit richtig guten und kreativen Designern oder Künstlern.

Gestaltung heisst – zumindest für uns – immer Research, Research, Research und dann: «Nichts scheißen». Das internationale Handwerk, wissenschaftliche Erkenntnisse und kulturelle Entwicklungen zu kennen ist unerlässlich. Es ist kein Zufall, dass Köche wie René Redzepi bei Ferran und Albert Adrià lernten und arbeiteten. In Barcelona und mittlerweile auch im Baskenland suchen kreative Gastronomen seit Jahrzehnten die interdisziplinäre Ko­operation mit Wissenschaftlern, Designern und Künstlern, und die Köche dort pfeifen seit Jahren auf Traditionen, Konventionen und Restaurantguides. Sie fürchten weder (gesellschaftlichen) Tod noch (schreibende) Teufel. In Spanien und später in Skandinavien wurde vorgemacht, was später die Kunstszene als «Arts & Science» entdeckte. Kochen als weitgefasste, wissensbasierte Kreativdisziplin war plötzlich die absolute Avantgarde. Hell yeah!

© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

Kulinarische Grenzgänger

Renommierte Neurowissenschaftler wie der Oxforder Universitätsprofessor Charles Spence bemühten sich plötzlich nicht mehr um eine Reservierung, sondern um Zusammenarbeit. Und genau diesen Arbeitsansatz von Research und Risiko verbanden die Nordköche mit der aufkeimenden Notwendigkeit, sich mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. In gewisser Weise nahm die skandinavische Küche sogar Greta vornweg. Das führt auch dazu, dass ein ganzer Landstrich eine neue Attraktion hat. Das Essen repräsentiert immer eine Kultur. Manchmal ist das berühmter und manchmal nicht so. Im Norden hat’s geklappt.

Und unter uns: In Österreich geht auch was weiter momentan. Vom Burgenland bis zum Arlberg machen sich verdammt gute, intelligente und radikale Köche Gedanken über die Zukunft des Essens. Das machen sie gut und auch bei uns sollten sich weiters Wissenschaftler, Designer und Künstler schleunigst darum bemühen, mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten.


© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

Honey & Bunny

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren «Eat-Art-Performances» und schreiben bzw. illustrieren Bücher.


Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2022

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