Honey & Bunny: Mehr als Mittelmeer
Das Künstlerduo Honey & Bunny über die Legende von der gesunden mediterranen Küche und welche neuen Kulinarik-Legenden die Welt benötigen würde.
Es ist wieder so weit, die Badesaison beginnt. Die Freude ist gross, nur ein Faktor könnte das Vergnügen trüben: die Strandfigur. Doch bekanntermassen wird ein schöner Körper ja auch beim Essen gemacht, und passend zum Sommerurlaub bietet sich die sogenannte Mittelmeerküche an, denn die – sagt man – macht schlank.
In vielerlei Hinsicht wirkt das durchaus plausibel: Die servierten Gerichte beeindrucken durch die Vielfalt der verwendeten pflanzlichen Produkte, es kommt viel weniger Fleisch auf den Tisch, und das Fett ist kaum tierischen Ursprungs. Das alles, so der Tenor, hält die Figur und ist obendrein gesünder als der tägliche Verzehr von Fleisch mit Sättigungsbeilage. Kein Wunder also, dass seit Jahrzehnten hartnäckig auch an die gesundheitsfördernde Wirkung der mediterranen Küche geglaubt wird.
Was ist «mediterran»?
Was aber ist mediterrane Küche überhaupt und warum gilt sie wirklich als eine der gesündesten der Welt? Die erste Frage ist wohl nicht zu beantworten, denn der Mittelmeerraum ist riesig und sehr divers. Trotzdem werden unter dem Überbegriff mediterrane Küche primär der Verzehr von Olivenöl und die Verwendung einer Handvoll italienischer Rezepte verstanden. Die kulinarischen Ideen der Levante, Ägyptens oder Algeriens zählen offenbar nicht dazu. Warum hier immer pauschalierend vom Mediterranen gesprochen und dabei doch primär Italien gemeint wird, entzieht sich unserer Kenntnis.
Die zweite Frage, nämlich jene nach dem Gesundheitsaspekt, wurde vom US-Historiker Harvey Levenstein erforscht. In seinem Buch «Fear of Food: A History of Why We Worry about What We Eat» geht er der Geschichte des US-Arztes Ancel Keys, des Urhebers des Mythos der gesunden mediterranen Diät, auf den Grund. Demnach besuchte Keys in den 1950ern einen Kollegen in Neapel, und sie tauschten sich auch zu medizinischen Fragen aus. Keys war danach beeindruckt von den vergleichsweise niedrigen Todesraten infolge von Herz-Kreislauf-Krankheiten im Spital seines Freundes und machte sich Gedanken über die Ursachen. Und er begann, die lokale Küche für die gesunde Bevölkerung verantwortlich zu machen und Bücher und Artikel dazu zu schreiben. Seine Texte fielen in den USA auf fruchtbaren Boden. Die Geschichte schien plausibel zu sein, und die mediterrane Ernährung legte in der Folge eine Weltkarriere als Gesundheitsbringer hin. Der Historiker Harvey Levenstein hält in seinem Buch allerdings fest, dass Doktor Keys bei seiner Analyse ein winziges Detail entging: Im Neapel der Fünfzigerjahre war medizinische Versorgung kostspielig. Kaum jemand konnte sich einen Spitalsaufenthalt leisten, und so starben die meisten Menschen daheim. Aus diesem Grund gab es auch keine verlässlichen Zahlen über Todesursachen.
Mittlerweile sieht die Datenlage längst besser aus – und siehe da: Die internationalen Unterschiede bei Todesfällen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind längst nicht so eklatant wie damals angenommen. Doch die mediterrane Ernährung gilt noch immer als besonders gesund.
Ob das etwa die Erntehelferinnen und -helfer auf den Plantagen in Andalusien oder Süditalien auch so sehen, sei dahingestellt. Schätzungen zufolge rackern dort mehr als 150'000 Menschen aus Afrika unter oft menschenunwürdigen Bedingungen, um gesundes Obst und Gemüse für den wohlhabenden Norden bereitzustellen. Wenn sie nicht gerade in den riesigen Plastiktunneln arbeiten, welche als Gewächshäuser dienen, hausen sie zusammengepfercht in Elendsquartieren. Diese sind auch Brutstätten für Krankheiten. Ob Corona in den Baracken ebenso wütete wie in den widerwärtigen Quartieren der Fleischverarbeiter im Norden Europas, ist nicht publiziert. Auch wie der fruchtbare Boden behandelt wird und wie viel sauberes Wasser in diesen Regionen noch zur Verfügung steht, ist nicht so genau bekannt. Die Lebensräume entlang dieser Plantagen sind, so viel weiss man, jedenfalls nicht gesund. Und elendiglich vegetieren auch Zigtausende süditalienische Büffel dahin, die den gewaltigen globalen Hunger nach echter Mozzarella befriedigen müssen.
Dass in Wien, Berlin oder Zürich die mediterrane Küche an allen Tagen des Jahres gleichermassen vorhanden sein, 365 Tage im Jahr vollreife Paradeiser, grün leuchtendes Basilikum und frischer Wildfangwolfsbarsch erhältlich sein müssen, zeitigt auch eher ungesunde Folgen für Mensch, Klima und Biodiversität. Als stünden entlang der Amalfiküste ganzjährig Paradeiser zur Verfügung. Als gäbe es in Andalusien keinen Winter. Dann dürfen die südlichen Länder des Mittelmeerraums aushelfen und aus Ägypten oder Marokko Gemüse und Frischfisch liefern, damit hierzulande Italien oder Spanien gespielt werden kann.
Worauf es ankommt
Auch wir lieben die mediterrane Küche. Wir bewundern den wertschätzenden, geschmackvollen und kreativen Umgang mit so vielfältigen pflanzlichen und tierischen Produkten. Bei der Zubereitung vegetarischer Gerichte greifen wir ständig zu spanischen, griechischen und italienischen Rezepten. Doch was man nicht vergessen sollte: Auch im europäischen Süden gibt es eine saisonale Küche.
Und es ist auch kein Geheimnis, dass wir gute Geschichten mögen. Ob die mediterrane Küche nun wirklich so viel gesünder oder schlankmachender ist als, sagen wir, die skandinavische, ist letztlich egal – die Legende dahinter hört sich gut an. Und wie man sieht, können derartige Erzählungen sogar das globale Essverhalten beeinflussen. Toll! Jetzt brauchen wir nur noch viel mehr kreative KöchInnen, GastronomInnen und SchreiberInnen, die solch tolle Geschichten auch für eine nachhaltige und sozial verträgliche gesunde Ernährung erzählen wollen. Es gibt viel zu tun für euch!
Honey & Bunny
Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren «Eat-Art-Performances» und schreiben bzw. illustrieren Bücher.