New York war dem Rest der Welt immer schon ein paar Schritte voraus, wenn es darum ging, die Zukunft des Essens zu definieren. So könnte es auch jetzt wieder sein …

New York war dem Rest der Welt immer schon ein paar Schritte voraus, wenn es darum ging, die Zukunft  des Essens zu definieren. So könnte es auch jetzt wieder sein …
© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

Gruß aus der Küche: New York und die Zukunft des Essens

New York ist seit Langem der Nabel der kulinarischen Welt. Derzeit finden hier aber auch einige der wichtigsten Forschungsarbeiten zum Thema »Die Zukunft unserer Ernährung« statt.

Es herbstelt! Da wächst das Verlangen nach einem saftigen Apfel – immerhin verspricht die Frucht Süße und Gesundheit. Abgesehen davon ist der Apfel ein wichtiges Symbol. Wegen eines einzigen Bissens wurden wir Menschen aus dem Paradies verbannt! Immerhin haben wir aber die Erkenntnis mitnehmen dürfen – und praktischerweise war nach dieser Verfehlung die Frau als Schuldige an eigentlich allem rasch identifiziert. Trotz des Vorfalls im Garten Eden ist der Apfel wichtig geblieben. Gekrönte Männer hatten beim Regieren gerne einen goldenen in der Hand, Isaac Newton fiel einer auf den Kopf, woraufhin ihm die Idee der Schwerkraft in denselben schoss. Und heute haben wir öfter einen Apfel am Ohr als im Mund und bezeichnen eine der aufregendsten Städte der Welt als »Big Apple«.

Thema der aktuellen Forschung in New York: Welchen ökologischen Fußabdruck hinterlässt die Nahrungsmittelindustrie?
© Honey & Bunny, Ulrike Köb, Daisuke Akita
Thema der aktuellen Forschung in New York: Welchen ökologischen Fußabdruck hinterlässt die Nahrungsmittelindustrie?

Big apple – great city

New York City ist spätestens seit den siebziger Jahren als »Großer Apfel« bekannt. Das Stadtmarketing bediente sich dabei einer Frucht, die nachweislich bereits vor 6000 Jahren im kasachischen Almaty gehandelt wurde. Damit sollte die Stadt am Hudson River als eine vor Leben strotzende, kraftvolle und verführerische Stadt dargestellt werden – dieses sexy Image wird der Apfel wohl nie wieder los. Die Bezeichnung Big Apple stammt übrigens eigentlich aus den 1920er-Jahren und kam aus dem Pferderennsport. Der Begriff bezeichnete damals ein hohes Preisgeld, und Siege auf New Yorks Rennbahnen waren besonders hoch dotiert. Ab den 1930er-Jahren besangen Jazzmusiker den Big Apple. Damals gründeten auch ehemalige Tänzer des russischen Balletts den »Russian Tea Room« in der Stadt. Das Restaurant im spätimperialen russischen Stil bewirtete jahrzehntelang unzählige Promis und gilt als einer der ersten Gourmet-Tempel von Weltrang. Mit der Idee, Design und Küche aus einem anderen Teil der Welt zu inszenieren, waren die Russen aber nicht allein. Menschen aus allen Kulturen siedelten sich in New York an und brachten Zutaten, Rezepte und kulinarische Konzepte mit. Das war der Ursprung unserer heutigen, so wunderbar diversen Restaurantkultur. New York, dieser fantastische Schmelztiegel der Kulturen, erschuf die Idee, die ganze Welt eressen zu können. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde internationale Gastronomie schließlich zur leistbaren Alltäglichkeit. Plötzlich hatte man die Qual der Wahl, ob man zum Dinner in einem chinesischen Streetfood-Lokal, einer Tiroler Almhütte oder auf einer mexikanischen Hazienda einkehren wollte. Die New Yorker entwickelten ein Faible für fremdländische Restaurants mit Unterhaltungswert, die ihre Gäste nicht nur kulinarisch, sondern auch atmosphärisch in eine andere Realität entführen.

Brennpunkt der Forschung: Die New Yorker Rockefeller Foundation präsentiert demnächst mehrere Studien zum Thema Nahrungs-
mittel.
© Honey & Bunny / Ulrike Köb / Daisuke Akita
Brennpunkt der Forschung: Die New Yorker Rockefeller Foundation präsentiert demnächst mehrere Studien zum Thema Nahrungs- mittel.

Die Zukunft des Essens

Aber auch in der kulinarischen Theorie ist die Stadt zu Hause. Derzeit arbeiten angesehene New Yorker Denkfabriken am aufwendigsten Forschungsprojekt zum Thema Ernährung, das je unternommen wurden. Und kommendes Jahr wird die Rockefeller Foundation eine gewaltige Datensammlung zum Thema nachhaltiges und gesundes Essen präsentieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt arbeiteten dafür jahrelang zusammen. Dabei wurde u. a. die Verträglichkeit von sogenannten Komponentenkombinationen untersucht. Was zum Beispiel machen fettes Olivenöl, vitaminreiches Basilikum und eiweißreicher Mozzarella im Zusammenspiel mit unserer Darmflora? Das ist ein brandneuer Forschungszweig, denn bislang achtete die Wissenschaft eher vor allem auf die gesundheitlichen Auswirkungen von Fetten oder Kohlehydraten oder Eiweißen.

Ein weiterer neuer Forschungszweig: Inhalt und Wirkung des letzten Prozents der Nahrungsmittelinhaltsstoffe. Denn beinahe alle Komponenten etwa einer Wurstsemmel oder einer panierten Zucchini sind bekannt – aber etwa ein Prozent konnte nicht im Detail detektiert werden. Und gerade dieses Prozent besteht aus einer Vielzahl von Komponenten. Was aber macht diese Unbekannte mit unserem Körper? Genau das erforschte man jetzt. Zusammen mit der aufkommenden Mikrobiomforschung, also der Auseinandersetzung mit unseren Darmbakterien und deren Einfluss auf unsere Gesundheit, wird unsere Ernährung mit den erwartbaren Daten in ein völlig neues medizinisches Licht gerückt. Zudem betreibt die Rockefeller Foundation das engagierteste Forschungsprojekt zum Thema ökologischer Fußabdruck unserer Nahrungsmittel, das je durchgeführt wurde.

Jahrelang wurde weltweit geforscht, um evidenzbasiert die dringend notwendige Transformation zu klimafreundlicherer und verträglicherer Ernährung realisieren zu können. Das ist bemerkenswert – und notwendig. Bekanntlich wird Essen in der Medizin wie in der Gesundheits- und Sozialpolitik schmählich vernachlässigt. Forschung zum Thema Essen dient hauptsächlich der Lebensmittelindustrie, und die Auswirkungen weltweiter Agrarpolitik auf Lebensraum und Menschenrechte werden konsequent ignoriert. Wir sollten endlich begreifen, dass wir unsere Kreativität und unser Innovationspotenzial für die Entwicklung und Etablierung eines klima- und menschenfreundlichen Nahrungsmittelsystems brauchen. New York hat bereits in den Apfel der Erkenntnis gebissen – wir sollten nicht den Anschluss verlieren.

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Honey & Bunny

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren »Eat-Art-Performances« und schreiben bzw. illustrieren Bücher.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2023

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