Ob auf Binnengewässern oder den sieben Weltmeeren: Schiffe leisten seit jeher einen unschätzbaren Beitrag zur kulinarischen Entwicklung der Menschheit.

Ob auf Binnengewässern oder den sieben Weltmeeren: Schiffe leisten seit jeher einen unschätzbaren Beitrag zur kulinarischen Entwicklung der Menschheit.
© Honey & Bunny | Alexandra Pace

Honey & Bunny: Ein Schiff wird kommen

Zuerst kletterte der Mensch in Boote, um dem Wasser Nahrung zu entreißen, später erforschte er neue Kontinente und brachte kulinarische Spezialitäten mit, heute tuckert der Großteil unserer Lebensmittel übers Meer in unsere Supermärkte.

Während eines Corona-Lockdowns haben wir einmal auswärts gegessen! In Neusiedl am See mieteten wir uns ein knallrotes Elektroboot, packten eine Tasche voller Speisen und fuhren drauflos. Dann picknickten wir mitten am Neusiedler See, aßen Salzstangerl mit Schinken und tranken dazu eine lässige Flasche Wein. Damals hat das richtig gutgetan.

Überhaupt gefällt uns Essen an eher ungewöhnlichen Orten. Dabei fühlen wir uns ein kleines bisschen ungezogen. Beim Picknick auf der Wiese, im Zug oder am Wasser ist das schreckliche bürgerliche Ideal herrlich weit weg. Fernab von familiären und anderen kulturellen Zwängen, wird das Essen zur Lust. Auf Booten zu essen mögen wir besonders gern. Ob es vielleicht daran liegt, dass uns das sanfte Schaukeln an das wohlig-behütete Ernährtwerden im Mutterbauch erinnert? Wer weiß …

© Honey & Bunny / Alexandra Pace

Von der Galeere zur Galeone

Die Schifffahrt an sich korrespondiert seit ihrer Erfindung mit Ernährung. Menschen wagten sich zunächst auf Gewässer, um daraus allerhand Schmackhaftes nach oben zu holen. Das machen wir bis heute. Doch das Schiff ist mehr als ein Hilfsmittel für die Jagd nach Fischen und Meeresfrüchten. Spätestens während der Antike bauten Händler Galeeren, um Weizen aus Ägypten nach Rom zu bringen. Später entwickelten portugiesische Seefahrer Methoden zur Navigation auf hoher See und schickten wagemutige Mannschaften rund um das Horn von Afrika oder in die Karibik, um Zucker, Pfeffer, Zimt oder Muskatnuss aus fernsten Weltregionen nach Europa zu bringen. Diese Produkte waren deutlich mehr wert als goldene Teller und inspirierten Reeder und Abenteurer aus aller Herren Länder zu globalen Handels- und Raubreisen per Schiff. Venezianer, Portugiesen oder Briten machten gewaltige Geschäfte mit dem Verschiffen von Essen.

Heute essen wir täglich, was einst per Dreimaster in Lissabon oder Hamburg als Luxusprodukt anlandete. Jede europäische Koch- und Esskultur basiert auf kulinarischer Globalisierung und permanentem kulturellem und wirtschaftlichem Austausch. Und die Schifffahrt definiert bis jetzt, was bei uns auf den Tellern liegt.

Doch das Schiff brachte mehr als nur Zutaten und Rezepturen. Schiffsbäuche sind eng, dunkel und waren einst ziemlich heiß und feucht. Dementsprechend war (und ist) der Transport von Nahrung über die Meere eine Herausforderung. Zuallererst betrifft das die Ernährung der Mannschaften. Schiffsnahrung musste erfunden und zubereitet werden, um Expeditionen oder Handelsreisen überhaupt zu ermöglichen. Monatelange Passagen erforderten extrem haltbares Essen. Unter anderem dafür entwickelte die Hanse den eingelegten Hering, ein damals sehr ertragreiches Produkt. Das Rezept war streng geheim. Briten und Niederländer spitzten darauf und konnten ihre hegemonialen Gelüste erst in die Tat umsetzen, als sie das Herstellungsverfahren von den Norddeutschen stibitzt hatten.

Auch doppelt gebackenes Brot ist lange haltbar und machte als Schiffszwieback Karriere. Und der englische Kapitän James Cook soll vor seinen Matrosen eigens das vitaminreiche, aber als deutsches Gericht verabscheute Sauerkraut gegessen haben, um die Mannschaft von dieser fermentierten Speise zu überzeugen. Das konservierte Vitamin C darin schützt vor der tödlichen Krankheit Skorbut.

© Honey & Bunny / Alexandra Pace

Migration gab es immer

Noch schwieriger ist die Ernährung von Passagieren. So gab es zum Beispiel in Europa seinerzeit ziemlich viele Wirtschaftsflüchtlinge. Hunderttausende wenn nicht Millionen Iren und Italiener, Portugiesen und Spanier, Deutsche und Österreicher mussten zum Beispiel wegen Landraub, Nahrungsmittelspekulation oder religiöser Intoleranz ihre alte Heimat für immer verlassen. Diese Migranten gaben all ihre Ersparnisse für eine One-Way-Schiffspassage nach Amerika, und viele dieser Reisen starteten in Hamburg. Doch der Speisesaal der Dampfer war für die meisten dieser Menschen unleistbar. Zubereitet und gegessen wurde an Deck oder in überfüllten Innenkabinen. Der Speiseplan umfasste im Regelfall zusammengeklappte Brotscheiben mit mehr oder weniger reichhaltiger Einlage, bestenfalls handelte es sich um Fleischreste. Warmgemachte Bratenreste im Brot hießen übrigens damals in Hamburg »Rundstück Warm«. Daraus wurde auf den Migrationsschiffen kurzerhand der Hamburger, der in den USA zum Nationalgericht werden sollte.

Viele Söhne und Enkelsöhne dieser Auswandererfamilien mussten übrigens später nach Europa zurückkehren, um den alten Kontinent vom Nationalsozialismus zu befreien. Dafür brauchten Millionen Soldaten Essen. Seit den Militärstrategen des Römischen Reichs hat keine Armeeführung so viel Zeit, Mühe und Kreativität in die Entwicklung von Militäressen gesteckt wie die USA im Zweiten Weltkrieg. Essen musste haltbar, schmackhaft und leicht zu transportieren sein. Und es musste effizient in Schiffsbäuchen untergebracht werden können, denn jede einzelne Kalorie wurde aus Amerika an die Front gebracht. Das war etwa bei Brot schwierig. Einfach gebackenes Brot wird schnell hart und schimmelt. Es ist zudem meist rund und lässt sich nicht stapeln. Also erfanden Ingenieure das Toastbrot. Die Baukastenform macht es stapelbar, ein spezieller Herstellungsprozess und allerhand Zusatzstoffe konservieren fast ewiglich. Jeder Schinken-Käse-Toast ist ein kulinarisches Souvenir der U. S. Army.

Heute regiert wieder die Wirtschaft. Seit Erfindung der »Controlled Atmosphere Container« schippern tagtäglich Millionen Tonnen Nahrungsmittel über die Meere: Zwiebel aus Australien, Knoblauch aus China und tiefgefrorenes Rindfleisch aus Argentinien schaukeln schwerölbetrieben über die Wellen. Die meisten von uns essen nur selten auf Schiffen – aber so gut wie ständig von Schiffen.

© Honey & Bunny | Ulrike Köb | Daisuke Akita

Honey & Bunny

Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter studierten Architektur. Während eines Arbeitsaufenthalts in Tokio begannen sie sich für Food-Design zu interessieren, seither gestalten und kuratieren sie Ausstellungen und Filme, realisieren »Eat-Art-Performances« und schreiben bzw. illustrieren Bücher.


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Erschienen in
Falstaff Nr. 08/2023

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