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Geburtsstätte des Streetfood: Neapel und Kampanien

Pizza und Pasta haben in Neapel eine lange Tradition, die eng mit dem Sozialgefüge der Stadt und seiner historischen Rolle verknüpft ist. Doch die Hauptstadt Kampaniens kann mehr als nur Klassiker.

Neapel ist Genuss pur. Bereits Goethe stellte auf seiner Italienreise vor über 200 Jahren verblüfft fest, dass es in der Hauptstadt Kampaniens eigentlich keine Zeit im Jahr gebe, »wo man sich nicht überall von Eßwaren umgeben sähe«. 

Bis heute ist sie voller Märkte, Stände und Lebensmittelgeschäfte, deren Besuch in der von weit verbreiteter Armut und Arbeitslosigkeit geprägten Stadt lohnenswerter ist als die meisten Lokale – wenngleich Neapel sich inzwischen Domizil von gleich sieben Sternerestaurants nennen darf: »Il Comandante«, »ARIA«, »Veritas«, ­»George Restaurant«, »Palazzo Petrucci«, »Sud« und »José Restaurant«. In jedem Fall sollte eine Reise nach Neapel zum Markt auf der Via Vergini führen, an der Promenade in Chiaia, wo Fischer bei der Rotonda Diaz ihre Ware ganz frisch aus ­ihren kleinen Boten zum Spottpreis an­bieten. 

Der kulinarische Reichtum Neapels und seines Umlands speist sich aus dem in der Region milden Klima, dem mineralstoffreichen und dadurch überdurchschnittlich fruchtbaren Vulkanboden des Vesuvs und den Meeresalgen vom Golf von Neapel, die als zusätzlicher natürlicher Dünger wirken. Bis heute ist Kampanien mit reichen Ernte­erträgen beschenkt: Artischocken aus Pae­stum, Aprikosen von den Hängen des Vesuvs, Äpfel und Birnen aus Salerno, weiße Feigen aus dem Cilento, Zitronen aus Amalfi und natürlich die ursprünglich aus Mittelamerika stammenden Tomaten, die in Kampanien besonders früh eingeführt wurden. Besonders wichtig vor allem für Neapel ist Friarielli, eine bittere, erstaunlich komplex schmeckende Kohlart, die so wichtig ist für die Stadt, dass es heißt, ein Neapolitaner sei erst dann erwachsen, wenn ihm Friarielli schmeckt.

Wie prägend diese Obst- und Gemüseauswahl für Kampaniens Einwohner ist, macht die Bezeichnung »Mangiafoglia«, Blätterfresser, deutlich, mit der sie einst karikiert wurden, lange bevor sie den Sizilianern den Spottnamen »Makkaronifresser« streitig machten – was wiederum mit dem besonderen Sozialgefüge Neapels zusammenhängt.

Alles Leben öffentlich

Ende des 18. Jahrhunderts war Neapel, das noch immer zu den kriminellsten Städten Europas zählt, mit 400.000 Einwohner die mit Abstand größte Stadt Italiens und hatte mit allen denkbaren Konsequenzen zu kämpfen, vor allem fehlendem oder beengtem Wohnraum und einer folglich starken Präsenz der gesellschaftlichen Unterschicht, der »Lazzari«, die keine andere Wohnung hatten als die Straße, was auch den Verzehr von Spießen zu einer öffentlichen Angelegenheit machte.

Ein Missstand, dem wir eine der größten kulinarischen Errungenschaften überhaupt verdanken: das Streetfood. In transportablen kohlebeheizten Garküchen wurden Nudeln offeriert, Muscheln, Schnecken, frittierte Teigtaschen, Kutteln. Und natürlich zählten Pizzen zum gastronomischen Angebot von Neapels Straßen, das wohl erfolgreichste Fastfood der Welt. Die Neapolitaner essen sie überall und zu jeder Tageszeit, und zwar auf zwei Weisen: 60 bis 90 Sekunden bei 400 Grad in einem Holzofen zubereitet, dessen Gewölbe glühen muss; mit einer goldbraun gebackenen Mitte und leicht angebrannten Rändern; einem Boden, der nicht höher als drei Millimeter sein darf und maximal zwei Zentimeter hohen Rändern, echt neapolitanisch eben. Oder aber knusprig frittiert als Pizze fritte. Besonders ausgezeichnete findet man in der Altstadt, in Neapels ehemals verrufenem Stadtteil Sanità, einst berüchtigt für Armut, Gewalt, hohe Arbeitslosigkeit und die Camorra, der sich in jüngster Vergangenheit jedoch zum Szeneviertel entwickelt hat. 

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Margherita

Für eine Königin gemacht

Die Pizza, das neapolitanischste aller Gerichte, war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein der Mehrheit der Italiener ebenso fremd wie Menschen außerhalb Italiens. Richtig populär wurde sie erst 1945, ein Prozess, der ganz stark an die Entstehungslegende der Pizza Margherita geknüpft ist. Die Pizza, wie man sie auf der ganzen Welt kennt (rund, rot und mit Käse bedeckt), wurde in Italien gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfunden. 1889 präsentierte Don Raffaele Esposito, dem das berühmte Lokal Brandi in Neapel gehörte, seinen Gästen eine Art essbare Version der italienischen Trikolore (eine Pizza mit roten Tomaten, weißem Mozzarella und grünem Basilikum) zu Ehren der italienischen Königin Margherita von Savoyen – und sie schmeckte ihr. Seither trägt diese Sorte den Namen Margherita.


Restaurants

Pizzeria Brandi
Historischer als die »Pizzeria Brandi« kann ein ita-lienisches Lokal wohl kaum sein: Gegründet im Jahr 1780, gilt das Restaurant als eine der ältesten Pizzerien Italiens und gleichzeitig als das Symbol der neapolitanischen Pizza. Schließlich wurde hier 1889 zu Ehren der italienischen Königin Margherita die weltberühmte »Pizza Margherita« erfunden, die auch heute noch mit ihren einfachen und gleichzeitig aromatischen Zutaten die kulinarischen Herzen von Jung bis Alt begeistert. Versteckt in einer Seitenstraße kann man seine Pizza entweder auf einem der kleinen Tische vor dem Lokal oder im rustikalen Innenraum genießen. Aufgrund der Popularität sollte man jedoch vorab reservieren.

Salita S. Anna di Palazzo 1/2, 80132 Neapel
T: +39 81 416928, pizzeriabrandi.com

Mimi alla Ferrovia
Im Herzen Neapels eröffneten Ida und Emilio Giugliano, genannt Mimì, im Jahre 1944 das heutige Traditionslokal »Mimì alla Ferrovia«. Als einfache Trattoria gestartet, entwickelte sich das geschichtsträchtige Restaurant im Laufe der Zeit zu einem kulinarischen Bezugspunkt vieler Neapolitaner und zog bereits zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Unterhaltung oder Kultur in seinen Bann. Auch die heutige Generation des familiengeführten Betriebs weiß: »Italien geht zu Mimì«. Denn dort kommt man in den Genuss traditioneller sowie zeitloser italienischer Gerichte, die mit Handwerk überzeugen und einen in Neapel ankommen lassen.

Via Alfonso D’Aragona 19/21, 80139 Neapel
T: +39 81 5538525, mimiallaferrovia.it

50Kalo
Grob übersetzt bedeutet der Name des Restaurants »gute Mischung«. Betreiber Ciro Salvo, der im Pizzageschäft aufgewachsen ist, bietet moderne Küche mit soliden traditionellen Wurzeln. Eine der bestbewerteten Pizzerien Neapels.

Piazza Sannazaro 201/c, 80121 Neapel
T: +39 81 19204667, 50kalo.it

L’antica Pizzeria da Michele
Vor rund 150 Jahren eröffnete Michele Condurro seine eigene Pizzeria und begründete damit eine lange Tradition von Pizzameistern im städtischen wie kulinarischen Kern Neapels. Während seine 13 Kinder fast alle in der »L’Antica Pizzeria da Michele« mitwirkten, traten die Brüder Salvatore, Luigi und Antonio schließlich in Condurros Fußstapfen und widmeten ihr Leben der Kunst des Pizza-backens, um die Tradition des Vaters fortzuführen. Auch heute noch ist die »L’Antica Pizzeria da Michele« in fünfter Generation in Familienhand, seit 1930 angesiedelt in der Via Cesare Sersale, wo genau zwei Sorten Pizza zur Auswahl stehen: »Marinara« und »Margherita« – ein Entschluss gegen Masse und für die Traditionen und Zutaten Kampaniens.

Via Cesare Sersale 1/7, 80139 Neapel
T: +39 81 5539204, damichele.net

Il Commandante
Gelegen im obersten Stockwerk des »Hotel Romeo Napoli« bietet sich Gästen des mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Gourmetrestaurants »Il Commandante« eine unvergleichliche Aussicht auf den Golf Neapels und den Vesuv. In elegantem sowie diskretem Ambiente lässt sich hier ein feines Degustationsmenü von Chefkoch Salvatore Bianco genießen. Der aus dem Nachbarort Torre del Greco stammende Spitzenkoch setzt dabei auf raffinierte Kreationen unter Verwendung bester Zutaten wie Fisch oder Meeresfrüchte aus dem Mittelmeer. Beim farbenprächtigen Sonnenuntergang mit Blick auf die Bucht können Gäste Biancos Kompositionen von einem herrlichen Glas italienischem Wein begleiten lassen – und aus einer stattlichen Auswahl von mehr als 1000 Positionen schöpfen.

Via Cristoforo Colombo 45, 80133 Neapel
T: +39 81 0175001, romeohotel.it

Bars

Caffè Mexico
Vor dem Piazza Dante befindet sich das »Caffè Mexico«. Das Kultlokal ist klein, man zahlt gleich rechts am Eingang, nimmt den Zettel zur Theke am Ende des Raums, wo drei Baristas dicht gedrängt, dafür umso routinierter einen Kaffee nach dem anderen brühen. Das Interieur sieht aus wie in der Hippie-Zeit stehen geblieben. 

Piazza Dante 86, 80142 Neapel
T: +39 81 549933

Hotels

Santa Chiara Boutique Hotel
Das im historischen Zentrum von Neapel gelegene Fünf-Sterne-Hotel befindet sich im Palazzo -Tufarelli, einer historischen Residenz aus dem 17. Jahrhundert, und ist eine Hommage an die neapolitanische Gastfreundschaft. Der innovative Stil, bei dem restaurierte Fresken auf modernes Design treffen, ist der perfekte Rahmen für eine aufregende Italienreise.

Via Benedetto Croce 23, 80134 Neapel
T: +39 81 5527077, santachiarahotel.com

Grand Hotel Vesuvio 
Das 1882 erbaute »Grand Hotel Vesuvio« zählte einst Oscar Wilde, Guy de Maupassant und Enrico Caruso zu seinen Gästen. Das stattliche alte Gebäude und der Ausblick über die Bucht von -Neapel, der über Sorrento, die Insel Capri und den Vesuv reicht, sind unvergleichlich schön. Besonders schön ist der nächtliche Ausblick vom Dachgarten im neunten Stock auf die blinkenden Lichter unter dem Vesuv. In wenigen Gehminuten erreicht man die Piazza Plebiscito oder das Opernhaus.

Via Partenope 45, 80121 Neapel
T: +39 81 7640044, vesuvio.it

Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2023

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Sebastian Späth
Sebastian Späth
Chefredakteur Deutschland
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