© Kathrin Koschitzki

»Bar Tantris«: Eine Bar wie ein Kinoset

In manchen Bars hat man nette Abende, in der »Bar Tantris« hat man ein ästhetisches Erlebnis. Das liegt an den Drinks, klar. Aber vor allem an dem feinen Gespür des Personals.

Stellen Sie sich vor: Sie sitzen am Tresen einer Bar und plötzlich schwappt eine Welle aus dem Meer in Ihr Gesicht. Wenn Sie das für eine beängstigende Vorstellung halten, dann haben Sie noch nicht die Austern in der Bar Tantris gekostet. Denn die stellt die herkömmliche Vorstellung einer Bar auf den Prüfstand.

Das Tantris ist eine Legende, keine Frage. Seit Witzigmann sich dereinst entschied, die Haute Cuisine an die Münchner Freiheit zu bringen, hat alles, was hier serviert wurde, die Gäste schockiert, begeistert, in seinen Bann gezogen. Denn der Name steht synonym für herausragende Qualität und Handwerk. Wie aber lässt sich ein Konzept, das akkurat auf Fine Dining zugeschnitten ist, auf eine Bar übersetzen, ohne zu verwässern, wie ein zu lang stehen gelassener Drink?

Er weiß alles

Wenn man sich zu Barmann Jörg Krause an den Tresen setzt, ist es, als würde man Teil eines Kinofilms. Das rote Licht, das geometrische, an die 70er erinnernde Dekor, die schicken, aber nicht zu schicken Jacken des Barpersonals – das alles transportiert gleichzeitig eine gewisse Coolness und eine Erhabenheit. Und spätestens, wenn man dann einen Schluck vom ersten Drink des Abends nimmt, dem »Tantroni«, ist man am Set eines Films, in dem es nur noch um Genuss geht. Der »Tantroni«: selbstverständlich eine Eigenkreation aus einem hervorragendem Vermouth, einem Vin D’Orange und Gin.

Das Tolle an Krause ist, dass er alles weiß. Nicht nur, was die Spirituosen in seinem Regal angeht, sondern einfach alles. Aber er ist kein Barmann, der sich in den Vordergrund spielen möchte, er hält sich dezent zurück und spürt, wann sein Typ gefragt ist. Und wahrscheinlich ist es genau diese Eigenschaft, die einen guten von einem hervorragenden Barmann unterscheidet.

Man schmeckt etwas, was einen aus dem Alltag reißt

Ohne viele Worte zu verlieren, stellt er einem besagte Austern hin, weil er weiß, dass manche Produkte für sich sprechen. Und weil hier nicht nur die Austern schwappen, sondern auch das Personal des Restaurants immer mal wieder an der Bar vorbeikommt, schenkt der aufmerksame Sommelier dazu einen »Chablis Premier Cru La Forêt« ein, der die Muscheln mit einer bemerkenswerten Salzigkeit unterstützt und die Bar in eine Brandung am bretonischen Meer verwandelt.

 

Sind es nicht genau die Bars, die einem in Erinnerung bleiben, an deren Tresen man echte Erlebnisse macht? Also keine netten Gespräche, bei guten Drinks, sondern ästhetische Erfahrungen: Man schmeckt etwas, was einen aus dem Alltag reißt, in eine Welt, die nicht mehr aus Deadlines, Miete oder E-Mails besteht, sondern aus Momenten.

Im besten Sinne geschichtsrevisionistisch

Für so einen Moment haben die Tantris-Fischstäbchen gesorgt. Denn, klar: Barfood ist auch dann Fingerfood, wenn man in einem der besten Restaurants der Stadt sitzt. Wenn man eines dieser panierten Köstlichkeiten in die hausgemachte (muss man das hier überhaupt dazusagen?) Remoulade tunkt und es sich reinknuspert, ist das wie eine Zeitreise. Plötzlich sitzt man am Küchentisch seiner Kindheit – und alles ist gut. Das wohltuende Essen, das nur so gut schmeckt, weil man weiß, wie viel Liebe darin steckt, die Sorglosigkeit. Auch wenn die eigene Kindheit möglicherweise nicht so aussah: Diese Fischstäbchen sind im besten Sinne geschichtsrevisionistisch.
Den Abschluss macht ein »Dirty Martini« und danach ist’s auch wirklich, wirklich gut.


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Moritz Hackl
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