Alexander Morgenstern verzichtet in seinen Bars konsequent auf Zitrusfrüchte. Hierfür greift er auf eine ungewöhnliche Säurequelle zurück.

Alexander Morgenstern verzichtet in seinen Bars konsequent auf Zitrusfrüchte. Hierfür greift er auf eine ungewöhnliche Säurequelle zurück.
© DasPosthotel

Saure Sache: Wie eine Bar ohne Zitrusfrüchte funktioniert

Alexander Morgenstern, von Falstaff als innovativster Bartender 2024 ausgezeichnet, macht seinem Titel alle Ehre. An seinen drei Tresen - der »Eden Bar« im Hotel »MalisGarten«, der »Bar Luise« im »Posthotel« und im »GutStiluppe« in Mayrhofen - wird unter anderem äußerst kreativ mit dem Thema Säure umgegangen und konsequent auf den Einsatz frischer Zitrusfrüchte verzichtet. Was zunächst unrealistisch klingt, hat jedoch erstaunliche Vorteile.

Falstaff: Ein Whisky Sour ohne Zitrone? Eine Margarita ohne Limette? Wie soll das gehen – und vor allem: Warum sollte man darauf verzichten?

Alexander Morgenstern: Zum einen, weil ich ein großer Fan von Aromen und deren Klarheit bin. Viele Whisky Sour ähneln mittlerweile geschmacklich eher Zitronenlimonaden, die mit Whisky aromatisiert wurden. Natürlich schmeckt sowas vielen Gästen gut, denn eine Zitronen-Bourbon-Limonade ist keine schlechte Idee. Aber mir geht es in den Bars um etwas anderes. Ein Gast soll sich eine hochwertige Spirituose aussuchen können und wir bereiten diese dann so zu, dass der Zitronengeschmack sie nicht der Bühne beraubt. Ein Sour beispielsweise dient dem Gast somit als Möglichkeit, die Spirituose genießen zu können, ohne dass die Alkoholdichte die Schmerzrezeptoren der Zunge zu sehr angreift. Man bekommt die Spirituose in ihrer Aromatik unverändert, aber so angenehm eingerahmt, dass man sich ohne negative Reize mit ihr befassen kann.

 

Womit kann man Zitrusfrüchte und deren Säfte konkret ersetzen?

Ich habe mir natürlich den Verjus angeschaut und damit experimentiert, aber das hat nicht wirklich funktioniert, da die, die derzeit auf dem Markt sind, vor allem darauf abzielen, dass man sie als Zutat z.B. mit Soda aufgespritzt, verwenden kann und sind daher eher süßlich. Deshalb habe ich mich mit dem Lieselehof in Südtirol zusammengesetzt, die für nachhaltigen Weinbau bekannt ist. Die haben schon Piwi-Sorten angebaut, als es eigentlich noch verboten war. Auf 1.250 Höhenmetern haben die einen Weingarten, in dem die Reben sehr langsam wachsen. Hier wird die Piwi-Sorte Solaris angebaut, die immer wieder ausgedünnt werden muss, um die Qualität der Trauben zu erhöhen. Das, was weggeschnitten wird, ist aber unfassbar sauer, bringt aber kaum Geschmack mit. Wir haben uns dann angeschaut, wie viel Säure eine perfekte Zitrone mitbringt. Das sind im Mittel 8 Gramm. Die ausgedünnten Solaris-Trauben lassen wir nun bei 8 Gramm Säure ernten und pressen. So habe ich das ganze Jahr über eine verlässliche, gleichbleibende und vor allem sehr nachhaltige Säurequelle, denn normalerweise würden diese Trauben weggeschmissen. Und am Ende haben wir eine pure, fast geschmacksneutrale, leicht fruchtige Säure. Diese bietet der Spirituose so viel Bühne, dass tatsächlich nur noch die Säure erkennbar ist, aromatischer Zusatzdarsteller fallen weg, die Spirituose ist der große Solokünstler.

Mittlerweile sind unsere Flaschen mit der Säure so perfekt, dass wir unsere Gäste darauf hinweisen, damit wir die Nachhaltigkeit aufzeigen können. Gäste bekommen tatsächlich nie eigenständig mit, dass der Sour ohne Zitronen gemacht wurde.

 

Die Reben der Piwi-Sorte Solaris werden auf 1.250 Metern Höhe kultiviert und müssen regelmäßig ausgedünnt werden. Aus dieser »grünen Lese« lässt sich ein stabiler, mit konstanter Säure ausgestatteter Verjus gewinnen.
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Die Reben der Piwi-Sorte Solaris werden auf 1.250 Metern Höhe kultiviert und müssen regelmäßig ausgedünnt werden. Aus dieser »grünen Lese« lässt sich ein stabiler, mit konstanter Säure ausgestatteter Verjus gewinnen.

Haben Gäste den Unterschied nicht bemerkt oder reklamiert?

Nein. Bevor ich irgendwelche Experimente mache, teste ich das mit Fachleuten ganz genau aus und lasse mich in diesen Prozessen auch gern beraten. Mit der Erfahrung und den ein oder anderen Fehlversuchen wird man am Ende aber immer selbst der Experte. Mittlerweile sind unsere Flaschen mit der Säure so perfekt, dass wir unsere Gäste darauf hinweisen, damit wir die Nachhaltigkeit aufzeigen können. Gäste bekommen tatsächlich nie eigenständig mit, dass der Sour ohne Zitronen gemacht wurde.

Nachhaltigkeit ist also der Grundgedanke?

Ja. Wer Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibt, zugleich aber nicht wirklich zurückzuverfolgende Zitrusfrüchte aus Übersee nutzt, steht einfach im Widerspruch. Und wer mit frischen Zitronen, Limetten und Orangen arbeitet, der weiß auch, dass die Qualität und Säurestärken von Frucht zu Frucht unterschiedlich sind. Die perfekten 8 Gramm sind nur ungefähr vorhanden. Beim frisch gepressten Zitrussäften hat die Säure keine Zeit sich zu binden und wir verlieren nicht nur Zeit beim Schneiden und Pressen, sondern oft auch viel Saft. Die 8 Gramm Säure aus der Flasche hingegen sind stets perfekt und bleiben gleich. Hier muss nichts gepresst werden und der Verjus, denn im Endeffekt ist es ja nichts anderes, wird direkt in den Drink gegeben. Hin zu kommt: Das Pressen von frischen Zitronen kostet Zeit. Das sind schon mal 30 Sekunden pro Drink. Bei 100 Drinks ist da also locker eine Stunde Zeitersparnis drin. Und vom klebrigen Schneidebrett, der Hygiene und den ständig vollen Mülleimer reden wir noch gar nicht.

Ich habe mir viele Gedanken gemacht, welchen Bitter, welchen Gin und welchen Wermut ich nutze. All meine Bemühungen wären umsonst, würden die starken ätherischen Öle der Zesten den Zutaten die Bühne nehmen.

Dann gibt es auch keine Zesten auf deinem Negroni?

Nein. Ich benutze auch nie Tumbler und achte darauf, dass die Aromen wirklich bestmöglich im Glas aufsteigen und sich sammeln können. Und auch da ist mir wichtig, dass man die Spirituosen und die Zutaten ganz klar und unverfälscht erkennen kann. Ich habe mir viele Gedanken gemacht, welchen Bitter, welchen Gin und welchen Wermut ich nutze. All meine Bemühungen wären umsonst, würden die starken ätherischen Öle der Zesten den Zutaten die Bühne nehmen. Nicht umsonst achten wir auch darauf, dass unsere Getränke nie zu kalt sind. So lassen sich Aromen stärker und voller genießen. Zwar sind Fehler bei kühlen Drinks schneller erkennbar als bei eiskalten, aber das ist auch mein Anspruch an die Barkeeper. Die Drinks müssen perfekt sein, so dass es kein zusätzliche Kälte oder Zeste braucht, um Fehler zu verstecken. Und ja, wir sind wahrscheinlich auch eine der Bars, die am wenigsten Eiswürfel verbraucht.

Sollten jetzt alle Bars auf Zitrusfrüchte verzichten?

Nein. Jede Bar hat ihre Besonderheiten und viele Gäste möchten vielleicht auch diese Zitronen- und Orangensäfte genießen. Das bringt ja auch eine gewisse Exotik mit. Ich gehe nur meinen Überzeugungen und Vorstellungen nach, und versuche, anderen Bars immer wieder neue Impulse zu geben. Vielfalt ist und bleibt aber der Cocktail der Gastronomie.


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Alexander Thürer
Alexander Thürer
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