Bresse-Hühner: Das Feinste mit Federn
Falstaff icons: Bresse-Hühner sind nicht nur einfach Hühner, es sind gackernde Delikatessen von unerreichter Güte.
Da gackern sie, schreiten auf ihren blauen, knotigen Beinen auf der Wiese umher, plustern ihre leuchtend weißen Federn auf und rammen die robusten roten Schnäbel in den Boden, um Regenwürmer herauszuziehen. Hühner in der Bresse, in diesem Fall die Hühner von Maria und Jean-Michel Sibelle in Curtafond. Sie wissen nicht, dass sie Stars sind, auserwählt unter Milliarden geringerer Hühner auf der Welt. Sie werden nach ihrem Tod nicht zu fettigen Nuggets verhäckselt oder landen in geschmacklosem Tiefkühlfrikassee, sondern werden von großen Köchen sorgfältig zubereitet und im besten Fall von einem Kenner gegessen, der zu schätzen weiß, was er im Mund hat.
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Das Huhn der Könige
Bresse-Hühner. Ikonen. Auf fast jeder Sternetempel-Speisekarte dieser Welt zu finden: truffée, aux morilles, à la portugaise, à la crème. In den Himmel gehoben, zuerst und vor allem von Frankreichs Gourmet-Heiligem Jean Anthelme Brillat-Savarin, dessen Zitat von der »Königin der Hühner, dem Huhn der Könige« überall zu lesen ist. Das Bresse-Huhn als Nonplusultra. Das war nicht immer so. Im 17. Jahrhundert noch nannte die berühmte Marquise de Sévigné an erster Stelle Hühner aus Caen und Rennes. In Paris seien die Hühner aus Le Mans am beliebtesten; nur in Lyon seien die aus der Bresse erste Wahl. Das war, bevor die geschäftstüchtigen Geflügelzüchter aus der Bresse, jener schönen grünen Gegend nordöstlich von Lyon 1862 ihren berühmten Wettbewerb etablierten. Und vor allem vor jenem denkwürdigen 1. August 1957. Da beschloss die Nationalversammlung in Paris: Wir geben den Bresse-Hühnern das AOC-Siegel, die berühmte »Appellation d’Origine Contrôlée«. Seither ist »Bresse« eine Erfolgsstory mit zwei Motoren: rigorose Qualitätssicherung – ein Streit zwischen den Traditionalisten und Neuerern über Sojafutter und größere Produktionsmengen ging zu Gunsten der Traditionalisten aus. Und hochprofessionelles Marketing. Selbst der Präsident der Republik ist dabei, wenn es gilt, den Mythos Bresse am Leben zu erhalten. Jedes Jahr verleiht er persönlich den Preis mit dem so französisch-pompösen
Namen »Grand Prix d’Honneur et le Vase de Sèvres« an den besten Züchter. Die Sibelles haben schon sechs der begehrten Pokale und unzählige andere Trophäen, die einen großen Raum im Bauernhof bis an die Decke füllen.
Menschen und Hühner. Seit rund 4000 Jahren leben sie zusammen. Es gab schwierige Zeiten. Im Mittelalter zum Beispiel, als die Basler einen Hahn auf dem Scheiterhaufen verbrannten. Es hieß, er habe Eier gelegt. Keinerlei Feindseligkeit in Frankreich. Die Menschen dort pflegen ein Liebesverhältnis zu ihren Hühnern. Niemand hat so schöne Zitate wie Sandra Frossard-Urbano in ihrem großen Aufsatz über die Perfektion des Bresse-Geflügels. Wie das von einem Metzger, der, das blendend weiße, gerupfte Huhn vor sich, mit Pathos in der Stimme sagt: »Die Haut ist so schön, die Farbe ist so schön, die Farbe des Fetts ist so schön. Das gefällt dem Auge. Sie wollen das Huhn nur streicheln.«
Luxusleben
Da ist das Tier schon tot. Bis dahin hat es ein Luxusleben im Vergleich zu seinen Kollegen in den Batterien. In den Genuss dieses langen Hühnerlebens kommen nur Gauloises de Bresse Blanches, so heißt die Rasse, deren Erbgut laufend vom Centre de Sélection de la Volaille de Bresse auf genetische Reinheit überprüft wird. Gut 900.000 Küken gehen pro Jahr in die Zucht. Der Rest in Stichworten: Die Küken sind fünf Wochen drinnen, im Warmen. Dann wenigstens neun Wochen draußen. Mindestens zehn Quadratmeter für jedes Huhn. Schwerer, feuchter, tonhaltiger Boden, auf dem nur bestimmte Gräser und Kräuter wachsen, die den goût du terroir geben. Dazu Würmer und Käfer. Und die Bresse-Mischung, Getreide wie weißer Mais oder Buchweizen mit Milchpulver. Am Ende dieser Phase sind noch 700.000 Tiere übrig. Die anderen haben Füchse, Bussarde oder Raben von der Weide geholt. Zuletzt acht bis 15 Tage in der épinette. Das sind Holzkäfige. Jetzt gibt es Mastfutter, das Getreide wird mit Milch oder Sahne zu einer Pampe angerührt.
Zwei Kilo echte Bresse kosten leicht 50 Euro. Dafür erhält man geschmackstarkes, mürbes Fleisch, das, wie die Franzosen sagen, persillé ist: von feinen Fettadern durchzogen. / Foto: beigestellt
Wann das Tier bereit ist für den ruhmreichen Tod, den Händler und Züchter in der Bresse »le sacrifice« nennen, das Opfer? Wenn man die »jolie veine« sieht, eine große Ader unter den Flügeln. Sie darf nicht mehr rot sein, sondern muss weiß leuchten von dem Fett, das sie ummantelt. Das Tier wird sanft in einen Stahlzylinder gesteckt, damit es nicht zappeln und sich verletzen kann. Mit einer kleinen Schere werden dann, so die gesetzliche Vorschrift, im Hals des Tiers die Karotiden durchtrennt. Ist das Huhn so anästhesiert, stößt der Schlachter ein schmales scharfes Messer, ebenfalls von innen, durch den Schnabel ins Gehirn. Ausgeblutet wird es durch den Gaumen. Kein Tropfen Blut darf im Körper bleiben – sonst wäre das Fleisch nicht weiß genug. Der Darm wird mit einem schnellen Griff des Zeigefingers durch den Anus herausgezogen, damit es keine Einschnitte gibt. Sorgfältiges Rupfen, nur die Federn am Hals und am Kopf bleiben dran. So hängt oder liegt das Huhn dann in voller Pracht und ohne eine sichtbare Wunde im Laden oder auf dem Markt. Echt ist es nur, wenn sich an ihm zwei Dinge finden: der Ring um die linke Klaue, auf dem Name und Adresse des Züchters stehen. Und das metallene Amtssiegel in, natürlich, bleu blanc rouge – wie die Füße, die Federn und der Schnabel des Huhns. Für zwei Kilo echte Bresse ist man dann leicht 50 Euro los. Dafür bekommt man geschmackstarkes, mürbes Fleisch, das, wie die Franzosen sagen, »persillé« ist, von feinen Fettadern durchzogen.
Fleisch zum Streicheln
Dreisternekoch Eric Pras vom Restaurant Lameloise in Chagny liebt es, Bresse-Hühner zuzubereiten: »Sie sind der natürliche Partner für unsere Weine aus dem Burgund. Sie haben Rasse und den Geschmack des Terroirs – und gleichbleibend höchste Qualität.«
Jetzt haben wir so viel über Hühner geredet und meinten eigentlich das, was der Franzose »poulet« nennt: Hähnchen. Die machen 93 Prozent der Produktion aus. Den Rest teilen sich Puten, Poularden und Kapaune. Den Puten widmet Brillat-Savarin in seiner Physiologie du Goût, anders als den Hühnern, ein eigenes Kapitel. Poularden sind Masthühner, die aus weiblichen Küken aufgezogen werden. Kapaune, kastrierte Hähne, sind die Krönung der Züchtung. Idealerweise vier Kilo schwer, mit dem berühmten »onctueux embonpoint«. Salopp übersetzt: Der Kastrat ist korpulent. Kapaune werden nach der Schlachtung für 48 Stunden straff in Stoff eingenäht, damit das Fett sich gleichmäßig unter der Haut verteilt. Gewissenhafte Züchter wie Maria Sibelle machen la toilette: »Ich schneide den Kapaunen die Nägel, putze sie mit einer Bürste und wasche die gerupften Tiere mit Seife aus Marseille.«
Text von Christoph Teuner aus Falstaff Deutschland 02/15
Illustration: Artur Bodenstein