Icons: Cheval Blanc
Das Premier Cru Classé »A« ist ein Solitär: Es gehört zu Saint-Émilion, doch der Boden des Weinbergs ähnelt demjenigen Pomerols. Und bei der Sortenwahl ist Cheval Blanc ganz eigen.
Es muss eine ebenso spannende wie anstrengende Tätigkeit sein: Den ganzen November über stehen jeden Morgen um 11 Uhr genau 43 Verkostungsmuster auf dem Probentisch von Pierre-Olivier Clouet. Gemeinsam mit Kollegen aus dem Kellerteam, mit dem Außenbetriebsleiter und zuweilen auch mit Pierre Lurton verkostet Cheval Blancs technischer Direktor dann zwei Stunden lang jede einzelne Kelterung, die im Keller liegt. Einerseits, um zu sehen, wie weit die Extraktion gediehen ist, die Auslaugung der Inhaltsstoffe aus den Beerenschalen. Doch ebenso wichtig ist ein zweiter Erkenntnisgewinn: »Wenn man an einem Muster etwas auszusetzen hat, lässt sich sofort herausfinden, von welcher Parzelle die Trauben kamen. Dieses Feedback ist enorm: Weil sich die sensorischen Eigenschaften des Weins ganz unmittelbar auf das beziehen lassen, was man weinbaulich gemacht hat.«

Der 2011 eingeweihte Kellerneubau, entworfen vom Star-Architekten Christian de Portzamparc, ist mit seinen geschwungenen, organisch wirkenden Linien nicht nur von außen ein Hingucker. Er hat Cheval Blanc auch bei der Kellerinfrastruktur in eine neue Liga katapultiert. Und das wohlgemerkt nicht mit Hightech, sondern alleine durch die Ausstattung mit einer ausreichend großen Anzahl von Gärbehältern mit verschiedenen Füllmengen. »Die Achillesferse in den meisten Kellern ist doch«, so sagt Pierre Lurton, »dass man zu wenige und zu große Tanks hat.« Anders im Neubau von Cheval Blanc: 52 Betontanks stehen bereit, in Größen zwischen 2000 und 11.000 Litern – exakt angepasst an das Parzellengefüge des Weinguts.
Ein Mosaik von Terroirs
Und dieses Parzellengefüge hat einige Besonderheiten an sich. Zum einen lassen sich auf den 41 Hektar mindestens elf verschiedene Bodentypen unterscheiden. Welchen Quantensprung es bedeutet, die unterschiedlichen Climats (Parzellen) jeweils präzise zum richtigen Zeitpunkt lesen und angepasst vinifizieren zu können, das führte auf überzeugende Weise der 2011er Cheval Blanc vor – der erste im neuen Chai (Keller) gekelterte Jahrgang. Obgleich aus keinem ausgesprochenen Spitzenjahr stammend, übertrifft er zumindest in seiner rasierklingenscharfen Präzision, in Frische und Strahlkraft die beiden von der Papierform über ihm stehenden 2010er und 2009er um Längen.
Cheval Blancs zweite Eigenart ist in ihrer Auswirkung auf den Weintyp noch bedeutender: Das Gut ganz am nördlichen Rand der Appellation an der Grenze zu Pomerol hat kaum etwas mit den anderen Spitzengütern Saint-Émilions gemein, mit Ausnahme seines Nachbarn Château Figeac. Mit Figeac verbindet Cheval Blanc eine gemeinsame Geschichte – ein Großteil des Grunds, der heute zu Cheval Blanc zählt, gehörte einst zu Figeac. Als die hoch verschuldete Comtesse de Carles-Trajet als Inhaberin Figeacs in den 1830er-Jahren Land verkaufen musste, entstand ein anfangs namenloses Nachbargut: Bis zum Jahr 1852 verkaufte Jean-Jacques Ducasse, der gewissermaßen erste Eigentümer von Cheval Blanc, den Wein noch unter dem Namen »Figeac«, erst sein Schwiegersohn Jean Laussac-Fourcaud entschloss sich, diese Bezeichnung aufzugeben. Dabei griff er auf den Namen zurück, den ein Kaufvertrag aus dem 17. Jahrhundert erwähnte: Cheval Blanc.
Ringsum Pomerol-Adel
Nach dem Zukauf einiger weiterer Parzellen hatte Cheval Blanc im Jahr 1871 die heutige Ausdehnung erreicht. Dabei erwies sich Jean Laussac-Fourcaud als Planer von strategischer Exzellenz: Denn er erweiterte nicht nur den Weinberg um eine Parzelle des Pomerol-Nachbarn L’Évangile, er stattete auch den gesamten Weinberg mit einem Drainagesystem aus. Und nicht zuletzt setzte er bei der Sortenwahl einen Schwerpunkt, der bis zum heutigen Tag Bestand hat, indem er Cabernet Franc gegenüber Merlot bevorzugte. 58:42 beträgt heute das Verhältnis im Weinberg.Trotz der Großtaten Laussac-Fourcauds scheint die Branche mit der neu entstandenen Einheit anfangs gefremdelt zu haben: Beispielsweise handelt der Cocks & Féret von 1874 Cheval Blanc und Figeac ganz am Ende des Kapitels über Saint-Émilion ab – fast als gehörten sie eigentlich gar nicht recht dazu.
Und irgendwie stimmt das natürlich auch. Der Kies von Figeac und von Cheval Blanc hat mit dem Kalkstein bei Ausone oder dem Kalkmergel von Pavie wenig gemein. Cheval Blanc wiederum hat Parzellen, die an Petrus grenzen, an La Conseillante und an L’Évangile – also die erste Garde Pomerols. Die berühmte »crasse de fer«, die Ader von Eisenmineralen, die eine Eigenart der besten Weinberge Pomerols ist, durchzieht auch einen großen Teil der Rebflächen von Cheval Blanc und kommt hier sogar besonders nahe an die Oberfläche, an manchen Stellen liegt sie nur einen halben Meter tief.
Der Cheval-Blanc Stil
So kann es nicht erstaunen, dass der Cheval Blanc in vielerlei Hinsicht einem Pomerol ähnelt: etwa in der Seidigkeit des Gerbstoffs und in seiner eisenmineralischen Tönung. Die Wucht und Fülle eines Pétrus oder L’Évangile erreicht er allerdings nur in Ausnahmejahren wie 1947. Typischere Cheval-Blanc-Eigenschaften lassen eher an einen Médoc denken: seine Duftigkeit und eine Bündelung, die stets mit großer Frische einhergeht. Cheval Blanc ist der Inbegriff der Eleganz, die der Cabernet Franc in Bordeaux erlangen kann. Eine Anekdote besagt übrigens, dass das Château in den 1960er-Jahren auf Drängen der INAO, des französischen Instituts für Herkunftsschutz, auch einmal Cabernet Sauvignon gepflanzt und vinifiziert habe – doch in den Grand Vin haben es diese Partien niemals geschafft. Den gutseigenen Cabernet-Franc-Anlagen hingegen gilt die besondere Fürsorge des Teams: Die älteste Parzelle – gepflanzt 1920 – wird als Basis für eine eigene Massenselektion und damit zur Erneuerung der Bestände genützt.
Eine globale Marke
Seit den Anfangstagen hat Cheval Blanc nur einmal die Hände gewechselt: im Jahr 1998, als LVMH-Chef Bernard Arnault und Baron Albert Frère das Gut aus den Händen der Erben Fourcaud-Laussac erwarben. Die Umstellung in der Reihenfolge der Familiennamen ist übrigens kein Satzfehler, sie geht auf Jean Laussac-Fourcauds Sohn Albert zurück.Seit dem Einstieg von Arnault und Frère bewegt sich Cheval Blanc in ruhigem Fahrwasser. Die unaufgeregte Routine Pierre Lurtons hat sich nicht nur bei der brillanten Planung des neuen Kellers gezeigt – auch in Kleinigkeiten blitzt sie auf wie etwa in der Entscheidung, im Jahrgang 2015 auf den Zweitwein »Le Petit Cheval« zu verzichten: Von den 43 Kelterungen wurden zwei offen verkauft, alle anderen waren so gleichmäßig gut, dass sie für den Grand Vin geeignet waren.

Auch ökonomisch prosperiert Cheval Blanc – nicht zuletzt gab die Marke inzwischen auch einer kleinen, luxuriösen Hotelkette im Portfolio von LVMH den Namen: mit Resorts in St-Barth Isle de France in der Karibik, in Randheli auf den Malediven sowie in Courchevel in den französischen Alpen. Das Restaurant »1947« im Hotel »Cheval Blanc Courchevel« ist zudem im diesjährigen »Guide Michelin« gerade aufgestiegen: Es zeigt sich nun auf Augenhöhe mit jenem Wein, der ihm den Namen gab: mit drei Sternen.
Parker-Punkte
Jahrgang/Punkte- 2015:97–99 Punkte
- 2014:95–97 Punkte
- 2013:92 Punkte
- 2012:93+ Punkte
- 2011:95 Punkte
- 2010:100 Punkte
- 2009:99 Punkte
- 2008:93 Punkte
- 2007:91 Punkte
- 2006:99 Punkte
- 2005:100 Punkte
- 2000:99 Punkte
- 1998:95+ Punkte
- 1990:98 Punkte
- 1985:95 Punkte
- 1964:95 Punkte
- 1949:96 Punkte
- 1948:99 Punkte
- 1947:100 Punkte
- 1921:98 Punkte
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Aus dem Falstaff Magazin Nr. 02/2017.