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Brooklyn & Co.: Jenseits von Manhattan

Auch abseits der touristischen Trampelpfade gibt es in New York eine quicklebendige Gastroszene, die sich ständig neu erfindet. Oder besser gesagt: Es gibt zahlreiche solcher Szenen – und sie knüpfen an reiche Traditionen an.

Sonnenstrahlen spiegeln sich auf den Wellen, die Befestigungen der Segel klackern, gelb-weiß gestreifte Markisen schützen vor zu viel Hitze. In der Ferne liegt die Skyline von Lower Manhattan. Wer am frühen Abend einen Platz im Restaurant »Pilot« ergattert, hat Glück. Nur wenige Restaurants bieten, was das 99 Jahre alte Segelboot bietet, das fest vertäut im Brooklyn Bridge Park liegt: goldenes Licht, Urlaubsgefühle, einen unverstellten Blick auf Manhattan. Frauen in Sommerkleidern und Männer in Shorts sitzen an der Bar. Es gibt Austern und Cocktails mit maritimen Namen wie »Skipper Key« oder »Permanent Vacation«. Auch die Lobster Roll lohnt sich hier: Eine großzügige Portion Hummerfleisch mit würziger Sauce kommt im Brötchen, ist mit 32 Dollar aber vergleichsweise teuer. Für solche Preise bräuchte man Manhattan nicht zu verlassen – wohl aber für neue Entdeckungen. Denn in den anderen Stadtteilen der Millionenmetropole lassen sich gastronomische Highlights erkunden, die locker mit den Starköchen am anderen Ufer des East Rivers mithalten können. In Brooklyn und Queens gibt es nicht die eine, sondern sehr viele kulinarische Szenen. Und die erfinden sich ständig neu, während sie auf reiche Traditionen zurückgreifen. 

Genuss der Vielfalt

Einige der spannendsten Teile Brooklyns liegen weiter entfernt vom »Pilot« und den Gegenden um die Uferparks. Auf der ­Franklin Avenue im Viertel Crown Heights mischen sich die Gerüche karibischer Küche mit denen der Taco Trucks. Crown Heights ist bekannt für eine vielfältige Restaurant- und Barszene. Der Mexikaner »Chavela’s«auf der Franklin Avenue etwa ist eine Institution: Kaum ein warmer Abend, an dem nicht die meisten Plätze belegt wären. Die Tacos sind reichhaltig gefüllt, das Hühnchenfleisch besonders kross und doch zart. Die Margaritas kommen in großen Gläsern und bunten Varianten.

Bei »Ras Plant Based« gegenüber dreht sich alles um äthiopische Küche, ausschließlich vegetarisch. Fleisch vermisst man auch nicht bei den gut gewürzten Bohnenpasten, dem zart gekochten Kohl, den süßen Kartoffelwürfeln, alles serviert auf einem runden Stück Injera-Teigfladen. Gegessen wird mit den Händen, das Injera reißt man in Stücke, sodass sich damit die Bohnen- oder Gemüsepasten aufnehmen lassen.

Ein paar Schritte südlich des Eastern Parkway überraschen zwei andere Restaurants: »Agi’s Counter« und »Ital Kitchen«. Das »Ital« an der Union Avenue ist wie ein unerwartetes Geschenk, denn nichts deutet von der Straße aus auf den bunt dekorierten Innenhof hin. Im Lokal selbst haben vielleicht drei Tische Platz, der Weg nach hinten führt durch die Küche. Draußen sitzen unter Lichterketten Besucher auf Ottomanen und gepolsterten Liegen. Das Essen hier ist jamaikanisch und vegetarisch – niemand mache das so wie er, sagt Koch Mike Gordon. Er will Rastafari-Philosophie und Impulse aus der französischen Küche verbinden, das Gemüse in den Bowls mit Reis oder Getreide kommt aus der Park Slope Food Coop, einer Kooperative von der anderen Seite des Prospect Park, die nur von lokalen Bauern bezieht. »Agi’s Counter« nebenan an der Franklin Avenue ist einer dieser Läden, die gleich nach ihrer Eröffnung so viel positive Presse bekommen, dass sie tagelang ausgebucht sind. Das Restaurant will den Geist von osteuropäischen Gaststätten lebendig machen, aber mit hoher Qualität. Der bulgarische Feta mit Melone ist würzig, in Butter gebratenes Schweinefleisch mit Pfirsichen erinnert an das Beste, was »Home Cooking« zu bieten hat.

Gourmet Mikrokosmos

Wer es dagegen besonders elegant mag, sollte »Oxalis« nicht verpassen, ein paar Minuten weiter entfernt auf der Washington Avenue in Prospect Heights gelegen. Das »Tasting Menu« ist hier immer anders und mit 150 Dollar nicht billig. Für alkoholische Getränke kommen noch einmal 75 Dollar hinzu – Steuern und Trinkgeld nicht eingerechnet. Doch wer das ausgeben kann, wird mit dem Besten belohnt, was die »New American«-Küche zu bieten hat: dem zartesten Lachs und den filigrans­ten Carpaccios, benetzt von hauchdünn geschnittenem Rettich oder Roten Rüben, die kross frittiert sind. Die Präsentation hält, was der Preis verspricht. Bodenständiger sind die meisten Italiener – und davon gibt es in Brooklyn viele. Ganz weit vorn: das »Aita« in Clinton Hill, wo es selbstgemachte Pasta mit zartem Ochsenschwanz gibt. Etwas weniger bekannt ist die »Macosa Trattoria« mit überdachtem Garten in Bedford Stuyvesant. Hier gibt es handgeschriebene Speisekarten und ein Tiramisu, das den Namen verdient: zubereitet mit Mascarpone, nicht mit Schlagobers. Auch zwei der besten Pizzerias der Stadt sind in Brooklyn: »Saraghina« in Bedford-Stuyvesant und »Roberta’s« in Bushwick. Beide sind das, was man szenig nennen könnte, denn von hier aus geht es meist weiter in Bars und Clubs.

 

Im »International Train«

Wer noch vielfältigere kulinarische Abenteuer sucht, steigt in die Subway-Linie 7, zum Beispiel in der Grand Central Station in Manhattan. »International Train« wird die Route auch genannt, denn nirgendwo sonst kann man so unterschiedliche Kulturen und Länderküchen erleben wie entlang dieser Linie. In Queens verläuft die Strecke überirdisch, die Gleise sind auf Stahlbrücken verlegt. Darunter liegt die Roosevelt Avenue, hier leben Menschen aus Hunderten verschiedenen Kulturen zusammen. Unzählige Kebab- und Samosa-Läden lassen sich hier durchprobieren, und die meisten servieren bessere Qualität als anderswo in der Stadt – zum kleineren Preis und mit größeren Portionen. Wer zum Beispiel am Stopp 74. Straße in Jackson Heights aussteigt, findet in jeder Himmelsrichtung andere Küchen: mexikanische Taco-Trucks, kolumbianische Bäckereien, Momo-Trucks mit tibetanischen Dumpling-Varianten. In New York werden 800 Sprachen gesprochen – und nirgends sollen es mehr auf einem Fleck sein als hier in Queens.

Viele Restaurants um die Roosevelt Avenue wären mit »Hole in the Wall« treffend charakterisiert – so heißt es hier, wenn in einem Restaurant nur Platz für eine Kasse und ein paar Tische ist. Das tut der Qualität oft aber keinen Abbruch. »Khampa Kitchen« beim Stopp 74th Street und Broadway ist eines dieser kleinen nepalesischen Restaurants, die sich leicht übersehen lassen. Nur eine Handvoll Tische stehen in dem schmalen Raum, alte Malereien und Fotos hängen an der Wand, daneben Porträts religiöser Oberhäupter. Hier gibt es Dumplings, das Hühnchenfleisch ist zart und gut gewürzt. Der frisch gepresste grüne Saft aus Sellerie, Apfel und Gurken ist erfrischend. Traditionelle Gerichte wie Aloo Dam, ein Kartoffelgericht mit Gewürzen und Ingwer, oder Lhasa Shaday, Rindfleisch mit Reis, werden auch serviert.

Ein paar Blocks weiter nach Osten, und man stößt auf »Terraza 7«, eine lokale Institution für gute Drinks und Livemusik. Hier gibt es Cocktails wie den Werrengue mit Aguardiente, einem kolumbianischen Anisschnaps. Schon von Weitem sticht die strahlend blau gestrichene Fassade hervor, der Laden wird jeden Abend voll.

Die Reise mit der »International Train« endet in Flushing, nicht weit vom Tennisstadion der US Open. Um die Ecke kann man sich mit allem eindecken, was aus China kommt oder für die chinesische Küche gebraucht wird. In der »New World Mall« müssen Gäste durch einen chinesischen Supermarkt, um zu einer lokalen Institution zu gelangen: dem »Xiang Hot Pot«. In die Mitte des Tisches kommt hier eine Suppe, die ein Ofen am Köcheln hält, dann bestellt man Schwein, Huhn, Rind, Gemüse, Algen, Tofu, Pilze – alles wird im heißen Topf gegart. Chinatown in Flushing, das ist Chinatown ohne Massen von Touristen – alleine das ist die Anreise wert.

© Tagger Yancey

Restaurants

Pilot

Austern und Seafood auf einem 99 Jahre alten Großsegler im Brooklyn Bridge Park. Von hier aus hat man einen fantastischen Blick über den East River und Manhattan – besonders bei Sonnenuntergang. Dieselbe Crew betreibt auch das »Grand Banks« auf Manhattans Westseite und »Island Oyster« auf Governors Island.

Pier 6 Brooklyn Bridge Park, Brooklyn, NY 11201

crewny.com


Chavela’s

Mexikanische Tacos, Quesadillas und Cocktails in buntem Ambiente. Viele Plätze für Essen unter freiem Himmel und »People Watching« auf der Franklin Avenue. Guter Ausgangspunkt für eine Kneipentour in Crown Heights.

736 Franklin Avenue, Brooklyn, NY 11238

chavelasnyc.com


Ras Plant Based

Äthiopisches Restaurant, das ohne Fleisch auskommt. Gegessen wird mit den Händen und Injera-Fladen, die man in Stücke reißt, um die Pasten aus Bohnen, Gemüse oder Kartoffeln aufzunehmen.

739 Franklin Avenue, Brooklyn, NY 11238

rasplantbased.com


Ital Kitchen

Kleines Lokal mit romantischem Hinterhof und immer wieder Livemusik. Jamaikanische und karibische Küche mit französischen Einflüssen. Die Zutaten kommen aus der Park Slope Food Coop, einer Lebensmittelkooperative in Brooklyn.

1032 Union Street, Brooklyn, NY 11225

italkitchenbk.com


Agi’s Counter

Neues Restaurant, das jüdische und osteuropäische Einflüsse verbindet. Ungarische Pfannkuchen sind eine Spezialität. Bester Borschtsch in der Gegend, ungarische Weine und amerikanisches Craftbier. Zum Nachtisch gibt es Sachertorte.

818 Franklin Avenue, Brooklyn, NY 11225

agiscounter.com


Oxalis

Neue amerikanische Küche auf hohem Niveau. Angebot wechselt regelmäßig. Hier isst man in einem lichten Speiseraum mit Blick ins Grüne – skandinavisches Ambiente und Gourmetküche in Prospect Heights nahe am Brooklyn Museum. Tasting Menu: 150 Dollar plus Getränke.

791 Washington Avenue, Brooklyn, NY 11238

oxalisnyc.com


Aita

Romantischer Italiener mit selbstgemachter Pasta in Clinton Hill. Große Auswahl an italienischen Weinen, schöne Ecke zum Draußensitzen, nah am Fort Greene Park. Die Macher haben eine zweite Location auf der Franklin Avenue in Crown Heights.

132 Greene Avenue, Brooklyn, NY 11238

aitaclintonhill.com


Macosa Trattoria

Italienisches Restaurant mit gemütlichem
Hinterhof in Bedford Stuyvesant. Selbsthergestellte Pasta, handgeschriebene Speisekarten, gute Auswahl an Wein und leckeres Tiramisu. Guter Ausgangspunkt für Spaziergang durch die Nachbarschaft.

310 Tompkins Avenue, Brooklyn, NY 11216

macosanyc.com


Khampa Kitchen

Tibetanisches Restaurant an der Roosevelt Avenue in Queens. Traditionelle Dumplings, Gefügel- und Gemüsegerichte, frisch gepresste Säfte. Guter Ausgangspunkt für Spaziergänge in Jackson Heights und entlang der oberirdischen Straßenbahn-Linie 7, auch genannt »International Train« wegen der vielen unterschiedlichen Küchen.

75–15 Roosevelt Avenue, Queens, NY 11372

khampakitchenjh.com


Terraza 7

Lokaler Treffpunkt für Kultur und Livemusik. Kolumbianische und lateinamerikanische Gerichte, Cocktailspezialitäten und wechselndes Programm von Jazz oder Trommeln bis Poetry Slam.

40–19 Gleane Street, Queens, NY 11373

terraza7.com


Xiang Hot Pot

Typisches Hot-Pot-Restaurant in Flushings Chinatown, oben in der »New World Mall«. Der Hot Pot in der Mitte des Tisches wird mit kochender Brühe gefüllt – in die taucht man dann die gewählten Fleischsorten, Gemüse und Pilze.

136–20 Roosevelt Avenue, Queens, NY 11354

xianghotpot.com

 


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Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2023

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Frauke Steffens
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