Sternekoch und «L’Atelier Robuchon»-Chef Olivier Jean.

Sternekoch und «L’Atelier Robuchon»-Chef Olivier Jean.
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Falstaff-Talk mit «L'Atelier Robuchon»-Chef Olivier Jean

Er hat in Taipeh, in Montreal, New York, Miami, Bangkok, Shanghai oder Frankreich gearbeitet. Er hat unter dem Ausnahme-Koch Joël Robuchon gelernt und er ist seit zwei Jahren Chefkoch im Genfer Restaurant «L'Atelier Robuchon» im Hotel «The Woodward». Dort hat Olivier Jean in der kurzen Zeit zwei Michelin Sterne erkocht. Ein Gespräch über offene Küchen, Tränen und überraschende Genfer Cuisine.

Falstaff: Monsieur Jean, zwei Sterne in zwei Jahren – können Sie überhaupt noch?
Olivier Jean: Ja, ich liebe meine Arbeit. Aus vielen Gründen. Der erste ist, dass ich sehr stolz darauf bin, dass wir den Menschen dienen. Und wenn man ins «L’Atelier» kommt, dann kommt man, um etwas zu erleben. Und wir schaffen eine Interaktion mit den Gästen in dieser offenen Küche.

War das mit der offenen Küche Ihre Idee?
Nein, es war Joël Robuchon, der das erste «L'Atelier» mit offener Küche im Jahr 2003 eröffnete. Damals war ich 17 Jahre alt. Das erste Restaurant wurde in Tokio eröffnet. Und dann ein paar Monate später eines in Paris. Herr Robuchon war ein Pionier in Sachen offener Küche. Seine Inspiration war die japanische Sushi-Bar, die Tapas-Bar aus Spanien und die französische Küche. Das Konzept eines Restaurants muss sich leicht beschreiben lassen, um erfolgreich zu sein. Und dass es mal 25 «L'Atelier Robuchon»-Häuser auf der Welt gab, spricht dafür.

Wie viele gibt es heute?
Es gibt etwa 12. Und das ist verrückt, welches Konzept funktioniert schon 21 Jahre später immer noch?

Es gibt verschiedene Arten von offenen Küchen. Solche, bei denen die Köche mit den Gästen sprechen, und solche, bei denen die Interaktion nicht so ausgeprägt ist. Wie ist das bei Ihnen?
Wir müssen sehr konzentriert sein, ich meine, wir haben zwei Sterne in zwei Jahren bekommen, was ziemlich verrückt ist. Wir können es immer noch nicht glauben. Aber meine Mitarbeiter lernen zuerst wie man in der offenen Küche steht, wirkt, saubere Hände behält und ein sauberes Gesicht, denn es ist wie eine Show. Wie ein Theater.

Mit etwas Make-up?
(lacht) Das wünsche ich mir manchmal, aber nein. Meine Köche haben keine Zeit für grosse Interaktion mit den Gästen. Aber sie sehen sie, begrüssen sie. Natürlich bin ich da anders gefordert. Als ich vor 20 Jahren in dieser Branche angefangen habe, war es so, dass man in der Küche steht und Karotten schneidet und den Mund halten soll. Aber heutzutage müssen wir uns mehr ins Zeug legen.

Kommt das Konzept der offenen Küche nicht langsam aus der Mode?
Nein, das glaube ich nicht.

Aber hat nicht gefühlt jedes Restaurant heute eine offene Küche?
Es ist nun mal eine echte Live-TV-Show. Die Leute wollen eben alles über das wissen, was sie in ihren Händen halten. Und hier sehen sie alles. Sie sehen, woher das Essen kommt, wie es gekocht wird, wie es serviert wird. Das Konzept ist so frisch wie vor 21 Jahren.

Es ist ja auch von Vorteil, dass es in Küchen nicht zu grossen Streits kommen kann, wenn alle zuschauen.
Wir kämpfen natürlich nie körperlich. Wir werden nur laut, wenn wir uns verbrennen. Wir sagen aber, wenn etwas nicht gut ist. Da reicht es, die Stimme zu erheben, eine gedämpfte Stimme. Man muss nicht unhöflich werden, um auszudrücken, dass man frustriert ist. Und ein gutes Team folgt dir, egal was passiert. Ich habe mit meinem Team grosses Glück.

Aber sicher gibt es Köche, die es mehr mögen, in einer offenen Küche zu stehen. Es gibt die ruhigen und es gibt die Popstars. Was für ein Typ sind Sie?
Natürlich bin ich nicht schüchtern. Ein Chefkoch steht jeden Tag im Rampenlicht. Aber eine meiner grössten Leidenschaften ist die Menschenkenntnis. Mein Ziel ist es, jeden Tag das Beste aus meinem Team zu holen. Ich bin also der Typ, der seine Mitarbeiter positiv bestärkt, wenn sie etwas richtig machen. Als ich die Michelin Sterne bekam, habe ich zuerst meinem Team gedankt, auf das ich sehr stolz bin und habe ihre Namen genannt. Denn wir sprechen immer von Chefköchen, aber zu selten von den Souschefs. Dabei sind das die Leute, die dich beschützen. Gute Gerichte kommen nie von einem alleine. Sie entstehen durch Brainstorming, Ausprobieren und die Einflussnahme anderer Menschen.

Das Team ist also Ihr Geheimnis?
Das Geheimnis ist Zuhören. Bescheiden sein. Ich war 27 Jahre alt, als ich meinen erstes Langstreckenflug von Paris nach Taipeh gemacht habe, um im «L’Atelier» zu arbeiten. Ich schaute einen Film und weinte. Mich erwarteten viele neue Menschen, eine andere Kultur. Also musste ich zuhören. Versuchen, etwas zu lernen. Ich habe kein wirkliches Geheimnis. Ich versuche einfach, so ehrlich wie möglich zu mir und meiner Umwelt zu sein. In der Küche müssen wir unserem Gefühl folgen. Und unseren Gaumen trainieren. Der Gaumen ist ein Muskel. Und du musst mit den unterschiedlichsten Leuten arbeiten, um möglichst viel zu lernen.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie Gerichte nach Gefühlen formen. Können Sie erklären, was Sie damit meinen?
Für Menschen zu kochen ist ein Akt der Liebe. Wenn man die Menschen nicht liebt, könnte man diese Arbeit nicht machen. Denn es geht um Emotionen. Wenn man in den Urlaub ans Meer fährt, den Seetang riecht und dann gute Laune hat, oder man eine Freundin hat, die Garnelen liebt. Emotionen sind Inspirationen.

Ich habe gelesen, dass Sie geweint haben, als Sie den zweiten Stern bekommen haben.
Ja, das ist verrückt.

Ist es Ihre Superkraft, dass Sie Ihren Gefühlen nahe sind?
Ich bin sehr sensibel. Ich bin ein Krebs. Ich weine oft. Ich weine nicht jeden Tag, aber ich bin da recht menschlich.

Müssen Sie weinen, wenn Sie etwas wirklich Gutes essen?
Nein, muss ich nicht. Ich weine bei Hochzeiten. Ich weine natürlich, wenn Menschen sterben und ich weine bei einem Michelin-Stern. (lacht)

Das ist Leidenschaft.
Es ist ja auch eine wirklich verrückte Situation. Kochen bedeutet Opferbereitschaft. Man muss Tag und Nacht arbeiten und sieht seine Familie an Weihnachten nicht. Du hast keinen Samstagabend. Du liebst jemanden, wirst verlassen, weil du nicht genug Zeit hast oder nicht genug Geld verdienst. Denn wenn du in dieser Branche anfängst, verdienst du kein Geld. Und wenn du an das glaubst, was du tust, und dann kommt dieser Tag, an dem das belohnt wird, dann ist das wirklich überwältigend.

Ist es Ihr Ziel, 32 Sterne wie Herr Robuchon zu bekommen?
Nein, das würde ich nicht schaffen. Ich habe davon geträumt, diesen zweiten Stern zu bekommen. Wir haben den ersten im ersten Jahr bekommen und wir waren glücklich. Wir haben gefeiert, es gab Champagner. Und am Tag danach habe ich das Team gefragt: Okay, Leute, wo wollen wir hin? Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich keine Wahl habe. Wir mussten es versuchen. Wir müssen uns ausdrücken. Jeden Tag neu anfangen, aber die Wurzeln bewahren, und immer fragen, was wirklich notwendig ist, ob diese oder jene Komponente eines Gerichts wirklich interessant ist?

Was ist der Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Stern?
Ich weiss es nicht. Wir haben das gleiche Mass an Liebe und die gleiche Qualität der Produkte, seit wir angefangen haben. Ich denke, es geht mehr um die Vision. Und man braucht eine gewisse Zeit, um den Ablauf reibungslos zu gestalten, und das spiegelt sich in den Gerichten wider. Es gibt kein Rezept. Es geht natürlich um Kriterien wie den Zustand der Produkte, die Würze, die Präsentation, die Qualität, die Persönlichkeit des Küchenchefs. Aber am Ende muss man diesen Vibe haben.

Ich habe gelesen, dass Ihr Geheimnis, um diese harten Arbeitstage zu überleben, der Mittagsschlaf ist.
Ja, das stimmt. Wir müssen in guter Form sein und dürfen nicht zu dick werden. Deshalb beginne ich meinen Tag mit einem Proteinjoghurt, Müsli und Obst. Wir probieren ja jeden Tag insgesamt etwa 100 Löffel von den Gerichten. Da muss der Magen stark sein. Und natürlich schlafen wir nicht viel. Ich schlafe etwa fünf, sechs Stunden pro Nacht. Also mache ich Micro-naps, 15 Minuten am Nachmittag, die mich für den Abend wieder aufladen. Natürlich würde ich manchmal gerne eine Stunde liegen bleiben, aber ich kann nicht.

Was hat Ihnen Herr Robuchon beigebracht, von dem Sie heute noch profitieren?
Was er mir beigebracht hat, hat nichts mit dem Niveau der Küche oder der Techniken zu tun. Es geht um die Stimmung, darum nicht zu kompliziert zu sein. Versuche, klar und verständlich zu sein. Wenn der Gast nicht versteht, was du ihm geben willst, wirst du niemals ein guter Koch sein. Das ist der Grund, warum ich beschlossen habe, auch ins Ausland zu gehen. Um möglichst verschiedene Gäste kennenzulernen. Man ist also vielleicht ein besserer Koch, wenn man mehr Gäste bedient hat. Ich glaube, Herr Robuchon hat mir diese Offenheit mitgegeben. Um ein Robuchon-Koch zu werden, muss man keine Prüfung bestehen. Keine Schule besuchen. Es ist wie eine DNA. Man muss jahrelang mit ihm zusammenarbeiten und aus seinem Stil den eigenen kreieren.

Herr Robuchon ist 2018 verstorben. Warum, glauben Sie, sagen die Leute, dass er der beste Koch aller Zeiten war?
Ich bin mir nicht sicher, ob er der beste Koch aller Zeiten war. Es wäre sehr arrogant, das zu behaupten. Ich denke, er ist einer der Köche, die die Chance hatten, die meisten Menschen zu bekochen, weil er in vielen Ländern gearbeitet hat. Ich bin sicher, dass es viele hervorragende Köche gibt, die ihm ebenbürtig sind. Vielleicht stehen sie nicht im Rampenlicht, aber er hatte seinen eigenen Stil, war ein grossartiger Mensch. Sehr geradlinig. Sehr hart arbeitend. Und er hat verstanden, was die Leute essen wollen. Er war mit Sicherheit einer der besten Köche.

Ich habe gelesen, dass er Ihnen das perfekte Kartoffelpüree beigebracht hat.
Das esse ich jeden Tag, wenn ich arbeite. Und wenn ich im Urlaub bin, vermisse ich es.

Auch die Pizza von der Sie behaupten, Sie sei in Genf sehr gut? Was wie eine recht provokante Aussage klingt - zumindest für Italiener.
(lacht) Ich liebe Pizza. Ich bin verrückt nach der neapolitanischen Version. Der Teig muss etwa 72 Stunden ruhen. Wahnsinnig. Aber ich liebe auch Burger. Jedes Mal, wenn ich in die Vereinigten Staaten reise, ist mein erster Stop bei Shake Shack.


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Laura E. Ewert
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